Fuminori Nakamura – Die Maske (Buch)


Fuminori Nakamura - Die Maske (Cover © Diogenes)«Ich will ein Geschwür in diese Welt setzen. Unter meiner Obhut wirst du zu diesem Geschwür heranwachsen. Ein Stachel des Bösen, sozusagen.»

Fumihiro ist gerade elf Jahre alt, als er diese Worte von seinem Vater hört. Einer grausamen Tradition folgend, zeugt das jeweilige Oberhaupt des mächtigen japanischen Kuki-Clans in hohem Alter einen Sohn, dessen einzige Daseinsberechtigung es ist, Böses in die Welt zu bringen. Der Junge weiß: Nur, wenn er den furchteinflößenden Mann tötet, wird er ein normales Leben führen können. Als er begreift, dass Kaori, seine Adoptivschwester und große Liebe, eine wichtige Rolle in dem verstörenden Plan seines Vaters spielt, ist er wild entschlossen, das Leben des Alten zu beenden. Nachdem Fumihiro sein Vorhaben mit nicht einmal vierzehn Jahren in die Tat umgesetzt hat, bricht der Kontakt zu Kaori ab. Als Erwachsener möchte er nicht länger als Mitglied des Kuki-Clans gebrandmarkt sein und ein neues Leben beginnen. Er unterzieht sich einer aufwändigen Gesichtsoperation und nimmt die Identität eines toten Fremden an. Doch die Vergangenheit lässt ihm keine Ruhe. Er kann Kaori nicht vergessen und entwickelt eine regelrechte Besessenheit von ihr.

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Die Geschichte beginnt in Fumihiros Kindheit. Als Leser begleiten wir den elfjährigen Jungen ins Zimmer seines Vaters, der ihm von seinem Plan berichtet, aus ihm ein Geschwür zu machen. Die ganze Erscheinung des alten Mannes lässt einem Schauer über den Rücken laufen. Umso mutiger – und tatsächlich nachvollziehbarer – ist Fumihiros Entschluss. Doch der Mord verändert den Jungen. Ob verdient oder nicht, der Tod seines Vaters verfolgt den Protagonisten bis ins Erwachsenenalter und versetzt ihn in den Glauben, dass ihm kein Glück mehr vergönnt sein wird. Auch körperlich nimmt die Tat großen Einfluss und lässt Fumihiro seinem ausgemergelten Vater immer ähnlicher sehen. Da er mit sich selbst nicht mehr leben kann, lässt er sich das Gesicht eines anderen transplantieren. Er übernimmt die gesamte Identität des Verstorbenen, kann die Vergangenheit aber dennoch nicht ruhen lassen. Er engagiert einen Detektiv, der ehemals für seinen Vater gearbeitet hat, und setzt ihn auf Kaori an. Fumihiro will alles über seine ehemalige Geliebte – die einzige Frau, die er überhaupt jemals lieben konnte – erfahren.

Wir verfolgen also diesen einsamen Mann, der uns seine Geschichte erzählt. Die anfängliche Vergangenheit wechselt geschickt zur Gegenwart, dabei führt uns Fumihiro sein verstörendes Leben als Junge vor Augen und lässt uns an seiner Rastlosigkeit im Erwachsenenalter teilhaben. Er ist nie wirklich angekommen, kann die Erlebnisse seiner Kindheit nicht hinter sich lassen. Die Familienverhältnisse, in denen er aufwächst, sind mehr als erschreckend. Seine Mutter lernt er nie kennen, genau wie seine älteren Geschwister, die bereits den Plänen des Vaters folgen. Erst mit dessen Tod spielen die Geschwister eine Rolle in Fumihiros Leben. Das Waisenmädchen Kaori ist die einzige, die ein wenig Sonne in sein Herz bringt. Daraus entsteht eine extreme Fixiertheit auf sie. Fumihiro lässt sie nach seiner OP beobachten, verfolgt jeden ihrer Schritte, lässt den von ihm angeheuerten Detektiv sogar eine Frau engagieren, die sich mit ihr anfreunden soll, um so noch mehr von ihr zu erfahren. Da alles aus der Ich-Perspektive erzählt wird, sind wir als Leser mitten im Geschehen und erleben Fumihiros Besessenheit hautnah mit. Das ist verstörend und unangenehm, aber auf gewisse Weise auch traurig. Der junge Mann ist nicht in der Lage, ein normales Leben zu führen. Die Erlebnisse seiner Kindheit sitzen zu tief, haben Narben auf seiner Seele hinterlassen.

Obwohl wir einen so direkten Einblick in Fumihiros Leben erlangen, fällt der Zugang zu ihm schwer. Er ist nicht richtig greifbar, seine Entscheidungen sind, gelinde gesagt, fragwürdig. Konnte man den Mord an seinem Vater noch ein Stück weit nachvollziehen, zumindest die Beweggründe verstehen, kann man über sein Verhalten als Erwachsener oft nur den Kopf schütteln. Zugleich empfindet man durchaus Mitgefühl mit ihm, wenn man sich vor Augen hält, wie er zu diesem geschädigten, fehlgeleiteten Menschen geworden ist. Die anderen Charaktere sind zwar nicht uninteressant, bleiben aber blass. Insgesamt fehlt es hier an Vielschichtigkeit – man lernt nur sehr eingeschränkte Facetten der Figuren kennen, manche scheinen lediglich Mittel zum Zweck zu sein. Wirklich nah fühlt man sich letztlich niemandem, dennoch interessiert zumindest Fumihiros Schicksal.

Seine Geschichte ist spannend und abstoßend zugleich. Erzählt wird sie in einem recht unterkühlten, distanzierten Stil. Emotionen blitzen dann auf, wenn es um Kaori geht – verständlich, ist sie doch die einzige, die Gefühle in Fumihiro auslöst. Etwas langatmig sind die immer wieder auftauchenden, nahezu endlosen Monologe, in denen die verschiedenen Charaktere über die menschliche Natur und das Sein sinnieren.

Fazit: „Die Maske“ ist ein düsterer, verstörender Blick in ein von grausamen Traditionen und folgenschweren Entscheidungen gezeichnetes Leben. Der Ich-Erzähler ist ein durch und durch kaputter Charakter, der aus dem ihm vorherbestimmten Weg nicht wirklich ausbrechen kann, sondern sich zunehmend selbst verliert. Trotz der einen oder anderen Länge mangelt es nicht an Spannung, die den Leser an die komplexe Handlung fesselt. Am Ende will der Funke aber dennoch nicht richtig überspringen. Das gewisse Etwas fehlt, an einen Murakami, mit dem Nakamura schon verglichen wurde, reicht diese Geschichte nicht heran.

Cover © Diogenes

  • Autor: Fuminori Nakamura
  • Titel: Die Maske
  • Originaltitel: Aku to Kamen no Ruru
  • Übersetzer: Thomas Eggenberg
  • Verlag: Diogenes
  • Erschienen: 02/2018
  • Einband: Gebunden
  • Seiten: 352
  • ISBN: 978-3-257-07021-7
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite 
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 10/15 transplantierte Gesichter


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