«Es ist schon erstaunlich, wie wenig wir wirklich brauchen. Schnee, Elche, Kartoffeln, Karotten und ein paar gute Menschen. Es ist erstaunlich, wie wenig wir zum Überleben brauchen.»
Schnee, nichts als Schnee. «Er konnte einen beschützen und nähren, aber auch zerquetschen und umbringen. Schnee war ein launisches Mistzeug.» – Seit sich vor sieben Jahren die Welt änderte und der Großteil der Menschen durch eine Grippe ausgelöscht wurde, bestimmen Schnee, Eis und Kälte das Leben der 23-jährigen Lynn. Sie ist in der alten Welt aufgewachsen und wird nun in der neuen Welt erwachsen. Zum Glück lehrte sie ihr Vater das Überleben in der Wildnis, brachte ihr das Jagen bei. Nach seinem Tod lebt Lynn mit ihrer Mutter, ihrem Bruder, ihrem Onkel und dem Sohn dessen besten Freundes im Yukon. Bis auf einen weiteren Mann, der etwas abseits der Familie sein Dasein fristet, haben sie jahrelang keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Bis Lynn eines Tages auf einen mysteriösen Mann namens Jax und seinen Hund trifft. Sie nimmt ihn mit nach Hause und plötzlich gerät das zwar harte, aber insgesamt friedliche Leben ins Wanken. Denn er wird verfolgt und der Grund dafür lässt Lynn erkennen, dass nichts so ist, wie sie bislang glaubte.
Eine Grippe, die die Menschen ausrottet, ein Krieg, der die Zivilisation zerstört, Wetter, das verrücktspielt – nein, das alles ist sicherlich nicht neu. Diese Zutaten würzen immer wieder die unterschiedlichsten Endzeit-Geschichten. Und doch überzeugt „Wie Wölfe im Winter“ und zieht den Leser komplett in seinen Bann.
Lynn erzählt uns ihre Geschichte. Ihr Bericht gliedert sich in Rückblicke in die Vergangenheit, in die Anfänge der Katastrophe und in die lange Reise der Familie aus Chicago über Alaska bis in den Yukon, sowie die Gegenwart, das Leben im Schnee und Eis, das Zusammentreffen mit Jax und die erschreckende Welle an Ereignissen, die sein Auftauchen nach sich zieht. Der erste Teil der Geschichte bringt uns insbesondere das Leben der Familie näher, wir lernen sie und ihre Hintergründe kennen – das ist nicht nur sehr fesselnd und macht neugierig auf mehr, sondern trägt auch ungemein zum Verständnis ihres Verhaltens bei. Ab dem zweiten Teil nimmt die Handlung dann deutlich an Fahrt auf, die Spannung steigt mit jeder Seite. Welches Geheimnis birgt Jax? Wer sind seine Verfolger? Und was steckt wirklich hinter der Katastrophe? Gemeinsam mit Lynn decken wir die erschreckenden Hintergründe Stück für Stück auf.
Die junge Frau ist als Erzählerin der Hauptcharakter. Sie wirkt jünger als 23, erinnert in ihrem Charakter stark an die 18-jährige Elka aus „Wolf Road“, die sich in einer ähnlichen Umgebung durchs Leben schlagen muss. Lynn ist zweifellos mutig, entschlossen und unnachgiebig. Sie ist die Ernährerin, geht auf die Jagd und versorgt ihre Familie. Andererseits ist sie aber auch unsicher und misstrauisch – in einer solchen Welt ist dies kaum verwunderlich. Obwohl sie die Hauptprotagonistin ist und wir ihre Gedanken und Gefühle unmittelbar erleben, gelingt auch die Zeichnung der weiteren Charaktere ausnehmend gut. Die Figuren sind durchweg lebendig, wir lernen sie durch Lynns Augen kennen und kommen ihnen näher. Vor allem Jax und seine mysteriöse Aura nehmen den Leser für sich ein. Man kann es kaum erwarten mehr über ihn zu erfahren – und das, was man schließlich erfährt, ist gleichermaßen spannend und verstörend.
Tyrell Johnson haucht aber nicht nur seinen Charakteren Leben ein, sondern macht das gesamte Setting überaus greifbar. Fast meint man, den Schnee knirschen und die eisige Kälte selbst spüren zu können, so bildhaft und eindringlich schildert der Autor die Umgebung. Man kann sich hervorragend in der Geschichte verlieren und regelrecht ein Teil von ihr werden.
Neben der Faszination für das beschriebene Leben nach der Katastrophe überzeugt auch der Spannungsbogen. Dieser steigt zunehmend an, zieht die Leser immer tiefer in die Handlung und schickt sie gemeinsam mit Lynn auf eine gefährliche Reise. Mit der Zeit entwickelt sich der Plot in eine unerwartete Richtung, wird immer rasanter. Die Auflösung ist, wie die gesamte Geschichte, nicht wirklich neu, dennoch überrascht sie und bringt Lynns atemlose Jagd zu einem würdigen Abschluss. Das Ende ließe Raum für eine Fortsetzung.
Fazit: „Wie Wölfe im Winter“ reiht sich in die Riege der erstklassigen Dystopien ein. Auch wenn die Ideen an sich bereits bekannt sind, kommt zu keinem Moment Langeweile auf. Die eindrücklichen Beschreibungen der Natur und Lebenswelt, die tiefgehende Charakterzeichnung und die Sprache, die zwar recht einfach gehalten ist, aber trotzdem starke Bilder erzeugt, machen dieses Buch zu einem großen Lesegenuss. Es wäre mehr als wünschenswert, Lynns Weg zukünftig weiter zu verfolgen! Wer in der Realität vorstellbare Endzeit-Geschichten mag, wird Tyrell Johnsons Debüt lieben.
Cover © HarperCollins
- Autor: Tyrell Johnson
- Titel: Wie Wölfe im Winter
- Originaltitel: The Wolves of Winter
- Übersetzer: Urban Hofstetter
- Verlag: HarperCollins
- Erschienen: 01/2018
- Einband: Broschiert
- Seiten: 304
- ISBN: 978-3-959-67132-3
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Wertung: 14/15 Schneeflocken