Das Jahr des Stephen King
2017 ist das Jahr des Stephen King. Hat er gleich drei neue Bücher veröffentlicht? Nein, denn das gehört ja schon fast zur Normalität bei dem als Dauerschreiber bekannten Schriftsteller. Ist es, weil er siebzig Jahre alt geworden ist? Auch das ist nicht der Grund. Vielmehr erlebt dieser Autor auf den Kinoleinwänden und Fernsehbildschirmen eine Renaissance ohnegleichen. Mit der Verfilmung seines Opus Magnum „Der dunkle Turm“ (an den Kinokassen wohl krachend gescheitert – warum kann in der Besprechung von Jasmin nachgelesen werden) und seines wohl bekanntesten Werkes „ES“ sind gleich zwei hochkarätige Produktionen in die Lichtspielhäuser gelangt. Daneben laufen/liefen aktuell in den USA die Serien zu „Mr. Mercedes“ (erfolgreich) und „Der Nebel“ (nach Staffel 1 schon wieder abgesetzt) und weitere Serien sind schon in Planung. Der Höhepunkt in diesem Jahr ist jedoch der Film um den Klub der Verlierer und ihren Kampf gegen den Clown Pennywise werden. Ist es nun wirklich das erhoffte Meisterwerk geworden, was durch den Medienrummel im Voraus prophezeit wurde oder ist es genau so ein Rohrkrepierer, wie es „Der dunkle Turm“ geworden ist? Das soll die nun folgende Besprechung des Films aufzeigen.
Ein Buch wie ein Briefbeschwerer
1985 hat Stephen King ein Buch geschrieben, welches alleine durch seinen Umfang abschreckend wirkt, dessen Inhalt bei vielen eine Clownphobie auslöste und trotz dessen von gefühlt allen ab zwölf Jahren gelesen wurde. Dabei sind die Umstände, in denen dieses Buch entstanden ist, nicht gerade prädestiniert dafür, um Großes zu erschaffen. Aus Kings Schreibbiographie ist herauszulesen, dass er immense Drogen- und Alkoholprobleme hatte. Die Zeitpunkte, als er das Buch geschrieben hat und die Sucht seinen Höhepunkt hatte, korrelieren miteinander, was man dem Buch stellenweiße auch anmerkt. Nicht umsonst sind in „ES“ Passagen dabei, die ein Mensch mit „normalem“ Geisteszustand kaum begreifen, geschweige denn zu Papier bringen kann. Und doch passen sie sich in diese Geschichte ein und machen sie zu etwas ganz Besonderem.
Kurz nach der Veröffentlichung des Romans, im Jahr 1990, wurde das erste Mal dieser Stoff verfilmt. Vor allem Tim Curry in der Rolle des Pennywise ist vielen im Gedächtnis, selbst wenn der Film nicht angeschaut wurde. Diese Figur und das damit verbundene Gesicht wird oftmals in eine Reihe gestellt mit solch illustren Horrorgestalten wie Freddy Kruger, Jason Vorheese oder Michael Myers. Der TV-Film selber, der sich eng an die Vorlage hält, insbesondere die verschachtelte Erzählweise betreffend, ist vielen dagegen nicht bleibend im Gedächtnis hängen geblieben. Und doch ist allein durch Tim Curry die Messlatte für die Neuverfilmung enorm hoch angelegt, was die Darstellung der zentralen Figur in dieser Geschichte angeht und diese kann Bill Skarsgård ausfüllen, wenn auch mit anderen Mitteln als Curry.
Dieser Clown bringt dich nicht zum Lachen
Die Geschichte im Film spielt in den Jahren 1988 und 1989, was eine große Veränderung gegenüber dem Buch darstellt, welches den Inhalt in den Jahren 1957/1958 verortet. Damit einher gehen Veränderungen bezüglich der Medieneinflüsse (Filme, die als Plakat zitiert werden, Musik und vieles mehr), der Umwelt und der Umgang der Kinder und Jugendlichen untereinander. Das ist aber nicht die größte Änderung, die diejenigen zu verkraften haben, die unbedingt Buch und Film miteinander vergleichen müssen. Essentielle Veränderungen werden auch den Hauptfiguren aus dem Klub der Verlierer in das Drehbuch geschrieben. So zum Beispiel wurden die Ängste bei Mike (Verbrennen der Eltern statt Vogel), Stanley (Frau aus dem Bild statt Wasserleichen) und Richie (Clowns statt Werwolf) geändert. Auch manche Hintergrundgeschichte aus der Vergangenheit wurde geändert. Da ist Ben Hanscomb nur ein Hinzugezogener, sozusagen „Der Neue“, und Mike lebt bei seinem Großvater, da seine Eltern bei schon erwähntem Brand ums Leben gekommen sind. Diese großen und noch einige kleine Änderungen sollten beim Anschauen des Films gegenwärtig sein. Meistens ergeben sie Sinn und werden stimmig in den Film eingebaut. Dem entgegen fließen aber immer wieder kleine und große Anspielungen auf das Buch ein, die das Wiedererkennen zu einem kleinen Aha-Erlebnis machen, wenn das Buch bekannt ist. So zum Beispiel das Fahrrad von Bill, welches den Namen Silver trägt und auch der dazugehörige Ruf „Hey Ho Silver, los“ ist zu hören, die Statue des Holzfällers Paul Bunyen ist zu sehen, die Referenzen auf frühere tödliche Ereignisse in Derry, die im Buch etwas größeren Raum einnehmen, werden zumindest erwähnt und auch die Straßennamen erkennt der Kenner der Buchvorlage wieder und auch eine Referenz auf Tim Curry ist in den Film eingebaut.
Ist der TV-Film aus dem Jahr 1990 bekannt, so wird mancher Zuschauer zu Beginn des Filmes die Stirn runzeln, denn Andrés Muschietti hat diese Eingstiegsszene mit Georgie fast 1:1 gedreht und verneigt sich hier und auch in anderen Szenen vor dem Film aus den Neunzigern. Minimale Änderungen sind zwar enthalten, aber legt man beide Filme übereinander stimmt der Anfang zu 90% überein. Jedoch ist die Sequenz im neuen Film stimmiger inszeniert und zeigt im selben Aufwasch auf, wohin der Hase mit Pennywise laufen wird. Danach gehen beide Filme getrennte Wege. Wo der Originalfilm noch auf die verschachtelte Erzählweise setzte, die auch im Buch vorzufinden ist, erzählt die Neuverfilmung nur die Geschichte, als der Klub der Verlierer noch Kinder sind und diese Entscheidung ist die einzig Richtige, um diesen Riesenballast von erzählerischen Kniffen, die die Buchvorlage aufzuweisen hat, abzustreifen. So konnte man sich ganz auf die Kinder konzentrieren und ihren Weg aufzeigen, wie sie erwachsen werden, was vor allem durch Pennywise und die durch seine Anwesenheit vollkommen verdorbene Stadt Derry forciert wird.
Abzüge in der B-Note
Ist es nun gut, was im Kino auf der Leinwand zu sehen ist? Ja ist es und doch müssen ein paar negative Punkte abgearbeitet werden, damit es zu einem Gesamtbild kommt, denn es gibt eindeutige Abzüge in der B-Note. So ist vor allem zu bemängeln, dass viele Dinge, die im Film passieren, gehetzt wirken. Zum Beispiel das Kennenlernen aller sieben Mitglieder des Klubs der Verlierer mit Pennywise beziehungsweise die Konfrontation mit ihren tiefsten Albträumen. Das alles wirkt im Buch ausgewogen und rund, dass es im Vergleich dazu im Film nur hektisch zugehen kann. Auch ist in Augen des Rezensenten der Musikeinsatz an manchen Stellen nicht zufriedenstellend gelöst, wenn mit einem Tusch das vermeintlich plötzliche Auftauchen von jemanden angekündigt wird und nur dadurch das Popcorn verschüttet wird. Da wären subtilere Methoden angebrachter gewesen, um (Er)-Schrecken zu erzeugen (außer in einer Szene und dort ist es sehr wirkungsvoll). Einige Hintergrundinfos, die im Buch immer wieder eingebunden werden, werden im Film entweder nur kurz erwähnt oder fallen ganz unter den Tisch (zum Beispiel der Indianerritus, als die beleuchtet wird, wie ES auf die Erde kam). Ebenso ist der Endkampf ein wenig zu kurz ausgefallen und wirkt im Vergleich zum Buch in seiner Art weniger logisch. Auch hier ist es dem geschuldet, dass es King durch seine ausführliche Sprache immer wieder gelingt, Atmosphäre zu erzeugen. Insgesamt fallen diese negativen Anmerkungen zwar kaum ins Gewicht, denn die Punkte, die diesen Film eigentlich ausmachen, sind allesamt perfekt getroffen, und doch sollten sie benannt werden.
Und fast ein Meisterwerk
In den überwiegend positiven Punkten ist vor allem die Besetzung der Kinder zu loben. Diese spielen ihre Rollen so perfekt, dass es fast schon beängstigend ist, wie gut sie das machen. Einzig Sophia Lillis als Beverly Marsh wirkt ein wenig zu abgeklärt in ihrer Rolle. Sie alle bilden Reinkarnationen ihrer Figuren aus dem Buch ab. Genauso stellt man sich Bev, Bill, Ben und Co während dem Lesen vor. Auch ihre kindliche Naivität und ihr Erschrecken über die Erkenntnis, was wirklich vor sich geht, werden wunderbar von der Kamera eingefangen und sind richtig gut gespielt. Dem gegenüber steht der Antagonist Pennywise, der nicht nur in der Form des Clowns auftritt, sondern vielmehr die Ängste der ihm gegenüberstehenden Kinder widerspiegelt. So ist er auch in Form eines zum Leben erweckten Wandgemäldes zu sehen, als Leprakranker und in den Körpern der Erwachsenen von Derry. Doch auftrumpfen darf Bill Skarsgård in der ikonischen Rolle des Pennywise. Entgegen Tim Curry, der diese Rolle eher subtil böse auslegte, wirkt Skarsgårds Pennywise irrer und abgedrehter. In manchen Momenten erinnert er an den von Heath Ledger dargestellten Joker und ist somit näher am Buch dran. Dieser Pennywise spielt mit den Kindern auf eine perverse, abgedrehte Art. Warum? Weil er Spaß daran hat, Menschen zu quälen und ihre Ängste hervorzuholen, um sich daran zu laben. Das wird in diesem Film wunderbar von Bill Skarsgård auf die Leinwand und somit auf den Zuschauer übertragen. Der Horror selbst ist in den heutigen Zeiten ein zweischneidiges Schwert. Abgestumpft durch viele Gewaltpornos, wird vielen sicher nur ein müdes Lächeln entlockt beim Anblick abgerissener Arme oder Blutfontänen aus dem Waschbecken. Andere hingegen werden kaum hinsehen können. Es ist in diesem Film ein gesundes Mittelmaß und meist soll der Schrecken nicht durch explizite Gewalt erzeugt werden, was in den meisten Szenen wunderbar gelingt.
Alles in allem erzeugt der Film eine wunderbare Atmosphäre, die nicht immer auf die gruselige Schiene angelegt ist. Er fängt vielmehr ein Lebensgefühl ein, welches für den Zuschauer greifbar ist und wie man es sich für Ende der achtziger aus Blick eines Kindes an der Schwelle zum Teenageralter vorstellt. Der Horror kommt in kleinen Stücken hervor und bricht, wie in den Stoffen von King üblich, ohne Vorwarnung in den Alltag der Figuren ein. Dabei erschafft Muschietti Bilder, die nicht unbedingt schocken, aber einen wohligen Grusel beim Zusehen erzeugen. Darstellerisch gibt es an diesem Film nichts zu bemängeln. Alle füllen ihre Rollen so aus, als seien sie direkt aus dem Buch entstiegen. Einzig ein paar Änderungen und manch hektische Erzählweise stören den positiven Gesamteindruck. Aber wie will man die Hälfte eines Romans, der 1500 Seiten hat, in knapp über zwei Stunden bringen. Daher darf man gespannt sein, was der schon angekündigte Directors Cut für die Heimkinoauswertung an neuen Informationen enthält. Ebenfalls mit Spannung kann der Fortsetzung entgegengeblickt werden und die damit verbundene Hoffnung, dass noch offene Punkte dort erklärt werden. Eines darf man bei aller Kritik nicht vergessen: Dieser Film hat „nur“ knapp 40 Millionen Dollar gekostet und sieht entgegen diesem Budget aus wie eine Großproduktion, die das dreifache gekostet hat. Wenn man als Regisseur so etwas schafft, dann hat man seinen Job richtig gemacht. Allein aus diesem Grund darf man gespannt sein, was er aus dem zweiten Teil macht, für den er definitiv mehr Geld erhalten wird.
- Titel: ES (2017)
- Originaltitel: It (2017)
- Produktionsland und -jahr: USA, 2017
- Genre:
Horror - Erschienen: 28.09.2017
- Label: Warner Bros.
- Spielzeit:
135 min - Darsteller:
Jaeden Lieberher
Sophia Lillis
Jeremy Ray Taylor
Finn Wolfhard
Jack Dylan Grazer
Chosen Jacobs
Wyatt Oleff
Bill Skarsgård
Nicholas Hamilton - Regie: Andrés Muschietti
- Drehbuch: Gary Dauberman
Chase Palmer
Gary Fukunaga - Kamera: Chung-Hoon Chung
- Schnitt: Jason Ballantine
- Musik: Benjamin Wallfisch
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Warner Germany
Wertung: 13/15 Clownphobien