Story:
Als Tochter aus gutem Hause hat die ruhige, introvertierte Lollo nichts mit der armen, spindeldürren Anna gemeinsam, die mit ihrem arbeitslosen Vater mehr schlecht als recht über die Runden kommt. Dennoch freunden sich die beiden ungleichen Mädchen während der Sommerferien auf einer der Inseln des Schärengartens an und entdecken, dass sie mehr gemein haben, als gedacht – gemeinsam werfen sie Netze aus, erkunden mit einem Boot entlegene Inseln und erklimmen Berge. Doch während Lollo mit ihren Eltern in einem luxuriösen Strandhaus lebt, verbringt Anna die Zeit in einer besseren Bretterbude und hat gelernt sich selbst zu versorgen. Schon bald scheinen die gesellschaftlichen Unterschiede unüberwindbar – gerade für Lollo, die sich mit den Avancen des gleichaltrigen Eriks herumschlagen muss und Angst vor den Reaktionen ihrer Familie und Freunde hat, wenn sie sich ausgerechnet zu der ärmlichen, stillen Anna bekennt, die so gar nicht in Lollos schillerndes Leben passt …
Eigene Meinung:
Mit dem ruhigen Roman „Wie ein Himmel voller Seehunde“ über die erste Liebe zweier Mädchen legt die schwedische Autorin Sara Lövestam ihr erstes Jugendbuch vor. Für ihren ersten Kriminalroman „Die Wahrheit hinter der Lüge“ erhielt sie den Schwedischen Krimipreis für das beste Spannungsdebüt und gilt als vielversprechende Nachwuchsautorin.
Das Jugendbuch erzählt die Geschichte zweier Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und aus zwei vollkommen verschiedenen Gesellschaftsschichten kommen: Lollo ist reich, verwöhnt, hat hippe Freunde und geht nach den Ferien auf ein entsprechend gutes Gymnasium; Anna lebt bei ihrem Vater, der nach einem Bandscheibenvorfall nicht mehr arbeiten kann. Geld ist immer knapp, Annas Zuhause liegt in einer weniger guten Gegend und auch ihre Freunde sind kaum mit denen von Lollo zu vergleichen. Auf den Schäreninseln lernen sich die beiden kennen und nach einer Weile auch lieben, wenngleich dies nur sehr dezent angedeutet und eher mit Taten, als mit Liebesschwüren dargestellt wird. Das ist gut so – etwas anderes hätte nicht zur stillen, unaufgeregten Geschichte gepasst, in der alles ohne Hektik und Action erzählt wird. Im Grunde wird die Sache zwischen Lollo und Anna auf das Wesentliche heruntergebrochen – nur sie beide zählen, keine Familie und Freunde, die die zart aufkeimenden Gefühle mit Worten und Kommentaren hätten zerstören können. So wird auch kein verkrampftes Coming-Out gezeigt, das die Leichtigkeit hätte zerstören können, sondern nur die Liebesgeschichte zwischen Lollo und Anna. Für die Handlung war es daher unerlässlich, dass die beiden Mädchen auf den Schären Urlaub machen, denn nur dort konnten sie sich auf einer Ebene begegnen und wirklich kennenlernen.
Die Beziehung zwischen den beiden entwickelt sich langsam – Sara Lövestam gibt ihren beiden Figuren genügend Zeit, um sich näherzukommen. Man lernt die Gefühlswelten von beiden sehr gut kennen, ebenso erfährt man durch die wechselnden Perspektiven, wie Lollo und Anna die jeweils andere sehen und mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. Insgesamt erhält man einen tiefen Einblick in die Gedanken und Gefühle der beiden Protagonisten und kann sich mit beiden Mädchen gut identifizieren. Man versteht Lollos Sorgen und Bedenken, ebenso Anna und ihre Probleme. Auch die übrigen Charaktere kann man gut nachvollziehen – sowohl Lollos Eltern, die krampfhaft versuchen mit ihren Kindern einen normalen Urlaub zu machen und über all den Luxus das Wesentliche vergessen, als auch Annas Vater, der mit seinem Leben hadert und vieles im Alkohol zu ertränken versucht. Auch die Freunde der beiden Mädchen lernt man kennen, wenngleich Lollos einen größeren Raum einnehmen, weil sie beständig mit ihnen in Kontakt steht.
Stilistisch legt Sara Lövestam ein wunderschön poetisches, sehr angenehmes Jugendbuch vor. Sie hat einen Hang zu kurzen, aber präzisen Sätzen, die viel Möglichkeit zur Interpretation lassen und ihre eigene Dynamik entwickeln. Dazu scheint sie die Handlung auf das Wesentliche herunterzubrechen, ohne sich in ausufernden Beschreibungen und Dialogen zu verlieren. Zudem wechselt sie kapitelweise zwischen Lollo und Anna, gibt beiden Mädchen genügend Raum, um sich zu präsentieren. Ein wenig befremdlich ist dennoch die Distanz, die sie durch einen weiteren Erzähler aufbaut, denn oftmals befindet man sich als Leser außerhalb der Sichtweise der Mädchen. Das ist ein wenig gewöhnungsbedürftig und sorgt manchmal für eine Entfremdung und Ferne, die nicht hätte sein müssen.
Fazit:
Sara Lövestams „Wie ein Himmel voller Seehunde“ ist ein wundervolles, sehr intensives lesbisches Jugendbuch, das durch schöne, authentische Charaktere und eine sehr stille Geschichte besticht, die sich auf das Wesentliche konzentriert. Die Autorin weiß mit Worten umzugehen und schafft ein einzigartiges Werk, das perfekt zu den abgelegenen Schäreninseln passt und einen ganz eigenen Zauber entfaltet. Wer lesbische Jugendbücher sucht, wird an „Wie ein Himmel voller Seehunde“ nicht vorbeikommen – zu empfehlen.
Cover © Rowohlt
- Autor: Sara Lövestam
- Titel: Wie ein Himmel voller Seehunde
- Originaltitel: Som eld
- Übersetzer: Stephanie Elisabeth Baur
- Verlag: Rowohlt
- Erschienen: 06/2017
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 256
- ISBN: 978-3-499-21768-5
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 11/15 dpt