An der Verfilmung eines Philip-Roth-Romans hat sich schon so manch ein Filmemacher die Zähne ausgebissen. Egal ob „Portnoys Beschwerden“, „Der menschliche Makel“ oder zuletzt „Amerikanisches Idyll“, allen Filmen fehlt die Gravitas der jeweils meisterlich erzählten Buchvorlage. Neuregisseur James Schamus gelingt es nun, diese schwarze Serie zu durchbrechen und die KritikerInnen zufriedenzustellen. „Empörung“ (nun erhältlich beim Arthouse-Spezialisten vom X Verleih) ist ein effektiv und schnörkellos gedrehtes Werk, das von seiner simplen Herangehensweise profitiert. Die Macher müssen sich aber auch die Frage gefallen lassen, ob in diesem Fall eine Übersetzung in das Medium Film wirklich nötig ist.
Mit Ende 50 traut sich James Schamus sein Regie-Debüt zu. Ein Neuling ist er im Filmgeschäft aber keinesfalls, seit den frühen 1990ern tritt er regelmäßig als erfolgreicher Produzent („Brokeback Mountain“) und Drehbuchautor („Hulk“, „Crouching Tiger, Hidden Dragon“) in Erscheinung. Nun setzt er die Tradition fort, mit der Adaption eines Philip-Roth-Romans die eigene Filmemacher-Karriere zu starten. Vor allem diejenigen, die größtenteils andere Arbeitsstellen im Filmkosmos bekleiden, scheinen sich für die Idee einer Verfilmung des Roth-Stoffs erwärmen zu können. Das gilt im Fall von „Portnoys Beschwerden“ für den Drehbuchautor Ernest Lehman („North By Northwest“, „West Side Story“) genauso wie für den Schauspieler Ewan McGregor, der sich vor Kurzem „Amerikanisches Idyll“ angenommen hat.
Der Reiz ist verständlich, schließlich gilt Roth als einer der bedeutendsten lebenden Autoren. Wer mit einem der bereits genannten Werke vertraut ist, wird um die Qualität und die Wucht der Roth’schen Erzählkunst wissen und das Potenzial für die Kinoleinwand sehen. Aber genau deswegen üben sich die meisten Regisseure in Zurückhaltung, denn die Erwartungen an eine Adaption sind dementsprechend außerordentlich hoch. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Übertragung ins Medium Film überhaupt nötig ist und wenn ja, in welcher Form. McGregor wurde beispielsweise vorgeworfen, dass er die Tiefe des Stoffs nicht erfassen konnte und zu sehr auf filmtypische Dramatik statt auf die Seriosität der Vorlage setzte.
James Schamus scheint zeitgleich passendere Lehren aus den Versuchen seiner Vorgänger gezogen zu haben. Wer den Roman „Empörung“ kennt, wird ihn im Film sofort wiedererkennen, sprich: Der Debüt-Regisseur hat den richtigen Ton gefunden. Schamus profiliert sich als scharfer Beobachter, der sich von seinen bisherigen KollaboratorInnen genauso hat inspirieren lassen wie von Roths Roman. Entscheidend für seinen Stil dürften zudem Vorbildproduktionen der letzten Jahre sein, in denen er die Grundlagen für eine Adaption erkannte. Der Style erinnert an die HBO-Miniserie „Olive Kitteridge“ (ihrerseits basierend auf dem gleichnamigen Roman von Elizabeth Strout), für die Melancholie steht Todd Haynes‘ „Carol“ Pate und für die Eleganz kann Tom Fords Debüt „A Single Man“ als Referenz genannt werden.
Allerdings macht sich Schamus nicht des Ideenklaus schuldig, sondern findet einen eigenen, angemessenen Weg, um die passende Stimmung zu erzeugen. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man den sensiblen Inhalt des Romans bedenkt. Der junge Marcus Messner (Logan Lerman) muss 1951 zu einer Zeit aufs College wechseln, in der sich Amerika im Krieg mit Korea befindet. Der Tod gehört in einer besonders perfiden Form zum Alltag, Altersgenossen werden eingezogen, bleiben für Jahre weg und kommen teilweise nicht wieder zurück. Dementsprechend angespannt ist die Stimmung für die jungen Erwachsenen, die sich in diesem Alter eigentlich unbeschwert ausprobieren sollen. Marcus ist ein vorbildlicher Junge, der sich bereits erwachsener benimmt als die meisten seiner Schulkameraden, in der Fleischerei seines Vaters aushilft und nur die „ordentlichen Mädchen“ ausführt. Der Umzug aus dem beschaulichen Newark ans Winesburg College ist für ihn ein Schock, allerdings aus anderen Gründen als das normalerweise der Fall ist.
Sein Vater (Danny Burstein) zeigte sich in den Monaten vor der Abreise übermäßig besorgt um seinen Sohn und engt ihn dabei ungewollt ein. Durch das Stipendium am College ist er zwar vom Einzug in die Armee befreit, dennoch plagt die Familie wie die Gemeinde und die gesamte Nation die Angst vor dem Verlust des eigenen Nachwuchses. In Winesburg angekommen, mischt sich der Vater weiter in seine Angelegenheiten ein, was das schwierige Einleben am spießigen und strengen College weiter erschwert. Marcus fühlt sich ständig beobachtet und fällt unter dem auferlegten Druck emotionale statt rationale Entscheidungen. Der Musterschüler wird zur tragischen Figur, weil er nicht zu dem werden kann, was er eigentlich werden sollte: Ein Mustermensch, an den sich eine Gesellschaft halten kann.
Die hübsche, aber psychisch belastete Olivia Hutton (Sarah Gadon) sieht in ihm einen Partner, der zu ihrer Gesundung beitragen könnte, doch die junge Liebe wird von den Normen und Werten der sie umgebenden Gemeinschaft und Gesellschaft permanent hinterfragt. Olivia ist eine schon in jungen Jahren emotional gezeichnete und verstümmelte Frau, deren impulsive Taten oft missverstanden werden. Sie ist verzweifelt auf der Suche nach normaler Zuneigung, die ihr jedoch seit dem selbstgesetzten Schnitt am Arm verwehrt bleibt. In den Sorgen von Dean Caudwell (Tracy Letts) und der eigenen Mutter (Linda Emond) schwingt immerzu eine konservative Brutalität mit, die schlussendlich selbst den „guten“ jüdisch stämmigen Atheisten Marcus auf die Palme bringt. Wie soll sich ein gesunder Geist entwickeln, wenn selbst ein Heranwachsender jeden Fehler vermeiden muss?
Schamus hält sich nah an der Romanvorlage, was sich als die richtige Entscheidung entpuppt. Statt eines der deutlich dickeren Meisterwerke Philip Roths zu verfilmen, entschied sich der Regisseur für das 200-seitige Buch aus dem Jahr 2008. Selbst hier müssen aufgrund der schieren Dichte des Stoffs Erzählstränge und Figuren weggelassen werden, was größtenteils gelingt. Jedoch ändert Schamus den einen entscheidenden Punkt zum Ende, der das Schicksal Marcus Messners noch tragischer und sinnloser erscheinen lässt. Geändert hat sich auch die Erzählperspektive: Marcus erzählt nur noch einzelne Aspekte seiner Geschichte selbst. Das geht größtenteils in Ordnung, leider geht aber ein wenig die Beleuchtung des Innenlebens in der permanenten Drucksituation verloren. Der filmstilistische Rahmen soll die mitschwingende Bedrohung des Koreakrieges zum Ausdruck bringen, dass sie in Marcus‘ Kopf aber immerzu ausformuliert wird, fehlt bei der Empathie-Übung der Zuschauenden.
Was der Film „Empörung“ ebenfalls nicht leisten kann, ist die Verortung der Geschichte im Werk des Philip Roth. Über den Zeitraum von fünf Jahrzehnten wurden seine Romane veröffentlicht, immer wieder kehrte der Autor zu Figuren zurück und meistens spielen seine Stories in Newark. Scheinbare Details wie die Herkunft von Marcus oder sein Umgang mit dem Judentum sind eigentlich wichtige Bausteine, die zur Erklärung der Handlung beitragen. Außerdem lässt sich trefflich darüber streiten, ob eine Eins-zu-eins-Übertragung des Romans in einen Film wirklich nötig ist. Hier und da nimmt sich James Schamus zwar künstlerische Freiheiten, um eben nicht alles von A bis Z gleich zu machen, insgesamt fehlt aber ein frischer Blickwinkel auf den Stoff. Überspitzt formuliert: Wer den Roman gelesen hat, muss also nicht unbedingt den Film sehen und andersrum.
Davon abgesehen, wird Schamus Roth in jedem Fall gerecht. „Empörung“ ist minimalistisch und elegant inszeniert und bringt die nötige Ernsthaftigkeit und Strenge auf die Leinwand. Vielleicht hat Kameramann Christopher Blauvelt (u.a. „Zodiac“, „The Bling Ring“) es geschafft, die eigentlich subjektiv entstehenden Bilder beim Lesen der Zeilen visuell zu definieren. Der Film entwickelt einen ähnlichen Sog wie die Romanvorlage, denn obwohl wenig Spektakuläres passiert, wird der Zuschauende vom Gezeigten gebannt. Das Merkmal eines guten Philip Roths und nun auch – und das muss man dem Regiedebütanten lassen – für die Visualisierung von „Empörung“.
FAZIT: „Empörung“ ist die erste gute Verfilmung eines Philip Roth-Romans. Mit Ende 50 schafft es James Schamus die erzählerische Wucht des bedeutenden Autors auf die Leinwand zu übertragen, weil er sich auch visuell an die Vorlage hält. Der Roman ist sofort zu erkennen, die schnörkellose Eleganz des Films ist das, was der Lesende auch in seinem Kopfkino vorgefunden hat. Es bleibt aber die Frage, ob es bei einer solch engen Übertragung nicht ausreicht, eine der beiden Versionen zu konsumieren. Das ändert aber nichts daran, dass „Empörung“ ein guter Film ist, der die Stimmung des Romans einfängt und den Zuschauenden mit der Kraft einer packend erzählten Geschichte bannt.
Cover und Fotos © X-Verleih
- Titel: Empörung
- Originaltitel: Indignation
- Produktionsland und -jahr: USA 2016
- Genre:
Drama - Erschienen: 03.08.2017
- Label: X Verleih/Warner Home Video
- Spielzeit:
107 Minuten auf 1 DVD - Darsteller:
Logan Lerman
Sarah Gadon
Danny Burstein
Tracy Letts
Linda Emond
- Regie: James Schamus
- Drehbuch: James Schamus
- Kamera: Christopher Blauvelt
- Extras:
Trailer - Technische Details (DVD)
Video: 1,85:1
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 6
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 11/15 dpt