«Der Himmel war grau. Die Autos, die Straße, die Gebäude waren grau und konturlos und gingen ineinander über. Mein Leben war grau.»
Mit diesem Satz bringt es Joe ziemlich gut auf den Punkt. Er ist ein gebrochener Mann, ein Niemand. Das war nicht immer so – in einem früheren Leben war Joe in der Armee. Dann beging er Fahnenflucht und wurde Boxer, steckte ordentlich ein. Nach einem seiner Kämpfe kam er in Kontakt mit einem Mann, der sein Potenzial erkannte und ihn für einen Job anwarb. So landete Joe in der Unterwelt. Aufgrund seiner Größe und Statur reicht es meist, wenn er einfach nur anwesend ist und bedrohlich aussieht, während die anderen Beteiligten ihre krummen Dinger durchziehen.
Joes letzter Job läuft anders, als gedacht. Plötzlich vermuten die Drahtzieher, er hätte sich das ergaunerte Geld eingesteckt. Damit ist die Jagd auf Joe eröffnet. Während die Londoner Unterwelt hinter ihm her ist, versucht er herauszufinden, wer ihn übers Ohr gehauen hat – und vor allem, warum. Auf seiner Suche begegnet er einem Mädchen, das in die ganze Sache verwickelt zu sein scheint. Die Kleine erinnert ihn an die einzige Frau, die ihm je etwas bedeutet hat. Irgendwie hängt alles zusammen und Joe muss nicht nur immer tiefer in die dunkle Seite Londons abtauchen, sondern auch in seine eigene Vergangenheit.
Wir begleiten Joe, der uns seine Geschichte selbst erzählt, auf seinem Weg. Es ist ein trauriger Weg. Traurig, trostlos und düster. Der Ex-Soldat hat seine Identität abgelegt, nutzt seinen echten Namen schon lange nicht mehr. Er existiert mehr als dass er wirklich lebt, schlägt sich so durch – im wahrsten Sinne des Wortes. Emotionen sucht man bei ihm vergeblich, mittlerweile ist ihm alles gleichgültig und so schreckt er auch vor Mord nicht zurück. Ohne mit der Wimper zu zucken tötet er. Und trotzdem ist er kein Monster, trotzdem hat er nichts mit den skrupellosen Unterweltbossen gemein, trotz der Kaltblütigkeit seiner Taten ist man nicht angewidert. Eher tut er einem einfach nur leid und man wünscht ihm einen Hoffnungsschimmer. Von dem Moment, als er auf die Welt kam, war sein Leben von Kälte und Düsternis bestimmt. Liebe hat er nie wirklich kennengelernt. Bis auf dieses eine Mal, bis auf diese eine Frau, die Saiten in ihm erklingen ließ, die ihm vorher fremd waren. Joes Geschichte ist so voller Traurigkeit und Tristesse, dass man es ihm gar nicht richtig übelnehmen kann, wenn er jemanden umbringt oder krankenhausreif prügelt. Er kennt nichts anderes, er kann sich gar nicht anders verhalten und weiß sich nicht anders zu helfen. Während ihn jeder für dumm hält, merkt man als Leser recht schnell, dass dies nur der erste Eindruck ist. Tatsächlich ist Joe ein Mensch, der viel nachdenkt, der Zusammenhänge erkennt und seine Schlüsse zieht. Das macht alles nur noch schlimmer, weil es die Dramatik seiner Situation zusätzlich unterstreicht. Wäre er irgendwann in der Vergangenheit anders abgebogen, hätte sein Leben sicherlich anders verlaufen können.
Seine Odyssee zu verfolgen ist spannend. Die Londoner Unterwelt ist überzeugend dargestellt – es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass es in diesen Milieus tatsächlich wie beschrieben abläuft. Die gesamte Szenerie des Buches erinnert ein wenig an „Sin City“ – alles ist schwarz-grau, Farbkleckse sind kaum vorhanden, es regnet, es ist dunkel. Das Böse regiert, die Polizei ist korrupt. Nach der Lektüre von „To Die For“ hat man das Bedürfnis, als nächstes etwas Fröhlich-Buntes zu lesen. Mit anderen Worten: Hunter hat in Bezug auf die Atmosphäre ganze Arbeit geleistet und zieht den Leser tief in die Geschichte.
Was das Lesen ein wenig erschwert, sind die unzähligen Personen. Es tauchen so viele Namen auf, dass man sie sich kaum merken, geschweige denn sie auseinanderhalten kann. Das passt zwar zum Thema und gibt einen Eindruck davon, wie austauschbar die Menschen in der Unterwelt sind, den Lesefluss dämmt es aber streckenweise ein wenig ein.
Die Sprache in „To Die For“ passt bestens zum Plot und zu Joe. Der Stil ist trocken, nüchtern, schnörkellos und durchsetzt von Schimpfwörtern. Die Sätze sind meist knapp und wirken eher wie gesprochene Sprache. Man hat das Gefühl, als würde man mit Joe in einem kargen Raum sitzen, während er mit emotionsloser Stimme aus seinem Leben erzählt. Leider gibt es hier aber einige Wehrmutstropfen: Der insgesamt flüssige Schreibstil wird immer wieder durch ärgerliche, vermeidbare Fehler unterbrochen – „wenn“ statt „wen“, falsch geschriebene Namen, unnötige Wortwiederholungen, falsche Groß- und Kleinschreibung.
Zwar ist die Geschichte zunächst in sich abgeschlossen und kommt zu einem schlüssigen Ende, macht aber zugleich neugierig, wie es mit den Charakteren wohl weitergehen mag. Und das aus gutem Grund: „To Die For“ ist nämlich der Auftakt zur „The Killing Machine“-Trilogie. Wir dürfen also gespannt sein, was der Autor noch für Joe in petto hat. Vielleicht erfahren wir mehr aus seinem früheren Leben. Und vielleicht gibt es ja zukünftig auch einen kleinen Funken Hoffnung, ein klein wenig Licht in der Dunkelheit, die Joe umgibt. Man würde es ihm von Herzen wünschen.
Fazit: „To Die For“ ist ein Buch, das betrübt. Joes Geschichte ist ebenso tieftraurig wie brutal und auch die Nebenfiguren stehen ihm in Sachen kaputtes Leben in nichts nach. Phillip Hunter transportiert die düstere Atmosphäre der Londoner Unterwelt und das Dasein des Ex-Soldaten als gebrochener Mann ohne wirkliche Identität mithilfe seiner nüchternen, derben Sprache und den tristen Beschreibungen perfekt. Kleine Abzüge gibt es für die immense Vielzahl an Personen und die sprachlichen Fehler. Davon abgesehen ist der erste Band ein gelungener Start für die Trilogie. Wer typische Gangsterstorys, abgehalfterte Schlägertypen, fliegende Fäuste und eine unterkühlte Atmosphäre mag, wird diesen Thriller gerne lesen.
Cover © Luzifer Verlag
- Autor: Phillip Hunter
- Titel: To Die For
- Teil/Band der Reihe: 1 von 3
- Originaltitel: To Die For
- Übersetzer: Peter Mehler
- Verlag: Luzifer Verlag
- Erschienen: 06/2017
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 392
- ISBN: 978-3-95835-243-8
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 10/15 Schläge in die Magengrube