Hätte es Percy Fawcett nicht gegeben, er wäre sicher als Figur für das Abenteuergenre erfunden worden. Zahlreiche Bücher und Filme ließen sich mal mehr, mal weniger offensichtlich vom bewegten Leben des Entdeckers inspirieren, das wirklich alle Zutaten für einen spannenden Plot bereithält. Dass es bis 2016 dauerte, bis Fawcett mit einem eigenen Spielfilm bedacht werden konnte, hängt auch mit den großen Dokumentationslücken zusammen, die eine genaue Rekonstruktion seiner Expeditionen verunmöglichen. „Die versunkene Stadt Z“, der nun im Heimkinoformat erscheint, basiert auf dem bislang wohl am besten recherchierten Sachbuch mit gleichem Namen aus dem Jahr 2009 und verdankt diesem Umstand einige interessante Ansätze, die über das Mainstreamkino hinausweisen. Trotzdem bleibt das neue Werk von Regisseur James Gray größtenteils ein Abenteuerfilm – mit allen dazugehörigen Vor- und Nachteilen.
Der 1867 geborene Fawcett diente dem British Empire unter anderem als Lieutenant, Geograf und Entdecker, eine Mischung, die ihn immer wieder aufsehenerregende Reiseaufträge einbrachte. In einer Zeit, in der selbst Kartographieren noch ein Abenteuer darstellte, verschlug es ihn 1906 nach Südamerika, um durch genaue Vermessungen zu der Beilegung von Grenzstreitigkeiten zwischen Brasilien und Bolivien beizutragen. Seine Faszination für die Region ließ ihn in den darauffolgenden 20 Jahren trotz der vielfältigen Gefahren insgesamt sieben Mal auf den Kontinent zurückkehren. Besonders angetan war Fawcett von der Idee einer versunkenen Stadt, die er „Z“ nannte und in der er Spuren einer verlorenen Zivilisation vermutete. Im Zuge einer 1925 gestarteten Expedition ist der Entdecker verschollen gegangen, seitdem ranken sich allerlei Mythen um seinen Verbleib.
Generell bietet Fawcetts Leben große Räume für Spekulationen. Nur selten dokumentierten der Brite und seine Gefolgsleute ihre Erlebnisse in Südamerika, dementsprechend begrenzt sind die Möglichkeiten einer Rekonstruktion der Ereignisse. Autor David Grann wählte dementsprechend einen anderen Weg und machte sich Ende des vergangenen Jahrzehnts selbst auf die Suche nach Hinweisen im Amazonasgebiet. Neue Erkenntnisse sind Teil seines 2009 erschienenen Sachbuchs „The Lost City Of Z“, das bislang historisch akkurateste Dokument über Percy Fawcett Abenteuer. Hierin sah Regisseur James Gray nun die Chance, einen Spielfilm zu drehen, der nicht noch weitere Mythen hinzuerfinden möchte.
Das funktioniert, solange „Die versunkene Stadt Z“ auch als Spielfilm verstanden wird. Zwar bilden die realen Ereignisse das Fundament, allerdings nimmt der Film sich die nötigen künstlerischen Freiheiten für einen Spannungsbogen, der einem Abenteuer-Epos gerecht werden soll. Leider sind diese größtenteils doch recht vorhersehbar und bedienen sich eher an Genrekonventionen als dass sie ihm etwas hinzufügen. Abgeschmackte Dialoge und zur Genüge gesehene dramaturgische Kniffe wie Reisen unter Pfeilbeschuss durch halsbrecherische Strömungen sind dafür die besten Beispiele. Darauf lässt sich entgegnen, dass es sich nun mal um eine realistische und schnörkellose Bebilderung der Ereignisse handelt, die ihre Kraft daraus zieht, dass diese Ereignisse der Ursprung des Kinos sind und es umso verstörender sein muss, dass sie tatsächlich stattgefunden haben. Gray inszeniert das durchaus gekonnt und für den einfachen Unterhaltungsgenuss eines Popcornfilms angemessen, allerdings widerspricht er sich dabei mit seinem eigentlichen Anspruch ein Epos mit Ecken und Kanten zu schaffen.
Ganze 140 Minuten ist „Die versunkenen Stadt Z“ lang und widmet sich in dieser Zeit etwas zu selten mit den wirklich wichtigen Fragen, die der Film aufwirft. Eine Figur wie Percy Fawcett (hier dargestellt von Charlie Hunnam), die bis heute fasziniert und auch als Held angesehen wird, ist eben auch eine streitbare Person, beispielsweise in seinen mehrfachen Entscheidungen für die Reisen und gegen die eigene Familie. Seine Frau Nina (Sienna Miller) wird als starke Frau dargestellt, die unter den Rollenbildern der Zeit leidet, sich aber als fürsorgliche Mutter profiliert und ihrerseits Opfer für den Erfolg und die Leidenschaft ihres Mannes bringt. Noch stärker wäre das Bild allerdings gewesen, wenn ihr die Darstellung Percy Fawcetts noch ambivalenter ausgefallen wäre. Zwar fällt er zum Ende seines bekannten Lebens eine fatale Entscheidung für sich und seinen Sohn Jack (Tom Holland), größtenteils wird sein Heldenmythos durch den Film jedoch weiter unterfüttert.
Glücklicherweise übernimmt Gray nicht den übermäßigen Einsatz von Pathos, wie sie zu den Werken von Regielegenden wie George Lucas und Steven Spielberg gehören, dennoch verfällt der Filmemacher der Versuchung, Gray zu romantisieren. Fawcett lehnt sich gegen die Engstirnigkeit seiner Zeitgenossen auf, wenn es um die Anerkennung wilder Völker als zivilisierte Kulturen geht (nicht ohne Resonanz auf die Gegenwart) und mit der Verdichtung der Hinweise auf die tatsächliche Existenz von „Z“, hinter dem die Forschenden immer häufiger das sagenumwobene „El Dorado“ vermuten, wird ihm eine außergewöhnliche Menschlichkeit zugesprochen. Es bleibt aber freilich die Frage, ob nicht eine ausgewogenere Auseinandersetzung mit seinen durchaus egoistischen Verhaltensweisen auf Kosten von Menschenleben angebracht gewesen wäre.
Das verwundert, weil sich Gray in seiner bisherigen Karriere immer bemüht gezeigt hat, unangenehme Geschichten und Themen schonungslos darzustellen. Gerade mit seinem letzten Film „The Immigrant“ bewies er zudem, dass er Inhalt und Style auf künstlerisch anspruchsvolle Weise zu einem Geheimtipp zusammenzuführen weiß. Die Zugeständnisse in Richtung Hollywood hat vermutlich auch mit dem Engagement von Brad Pitt als Produzenten zu tun. Der Weltstar verliert sich in den letzten Jahren leider zunehmend in seiner Faszination für Heldengeschichten und hat damit auch schon „12 Years A Slave“ unnötig entschärft. Mehr Zuschauer und Aufsehen hat das „Die versunkene Stadt Z“ jedoch nicht eingebracht, womit die Frage erlaubt sei, ob dem Film eine kompromisslosere und dunklere Machart nicht doch besser getan hätte. Der relative Misserfolg an den Kinokassen hängt sicher auch mit den mutigen Personalentscheidungen der Verantwortlichen zusammen. Statt Stammschauspieler Joaquin Phoenix wurde Charlie Hunnam für die Hauptrolle gecastet, der immer noch hauptsächlich mit „Sons Of Anarchy“ in Verbindung gebracht wird. Schön ist derweil zu sehen, dass sich Robert Pattinson immer mehr von seiner Verbindung zur „Twilight“-Reihe entfernen kann und bereit ist, sich in ruhigere Rollen in der zweiten Reihe einzufinden.
Schlecht ist der Film keinesfalls, Abenteuerfans werden sicher auf ihre Kosten kommen. Es ist schade zu sehen, wie die Potenziale des Stoffs liegen gelassen werden. Die atemlos, faszinierend und angemessen brutal inszenierte Sequenz über Fawcetts Einsatz im ersten Weltkrieg zeigen das Regietalent Grays. In den 140 Minuten blitzt dieses aber zu selten auf, denn obwohl es richtig ist, sich mit dem Erzählen der Geschichte Zeit zu lassen, geht der Regisseur zu häufig auf Nummer sicher. Vielleicht wäre ein TV-Mehrteiler das passendere Format für das Gezeigte gewesen, die ganz großen Kinomomente schafft der Film jedenfalls nicht. Der Karriere von James Gray wird auch der relative Misserfolg an den Kinokassen sicher keinen Abbruch tun, eher im Gegenteil. Brad Pitt wird die Hauptrolle in seinem kommenden Science-Fiction-Film übernehmen, Gray scheint auf dem besten Wege zu den gefragtesten Regisseuren zu sein. Es wäre ihm zu wünschen, dass er in Zukunft seinen Mut auch in den großen Produktionen zeigen darf.
FAZIT: „Die versunkene Stadt Z“ ist größtenteils ein typischer Abenteuerfilm, den Regisseur James Gray auf unterhaltsame, aber eben auch unspektakuläre Weise inszeniert. Das wäre weiter nicht schlimm, wenn die Macher nicht den Anspruch hätten, einen Film mit Tiefe zu produzieren. Die schwierigen Seiten der bewegten Geschichte des Entdeckers Percy Fawcett werden beleuchtet, leider geschieht das aber zu selten. Statt die wirklich interessanten Fragen weiter zu verfolgen, sorgt die oberflächliche Betrachtung für die Vertiefung der Romantisierung einer Heldenfigur, zu der Fawcett auch deswegen gemacht wird, weil die Dokumentationslücken gerne mit allerlei Mythen aufgefüllt werden. Es ist schade zu sehen, wie die offensichtlichen Potenziale und guten Ansätze zugunsten einer sicheren Strategie liegen gelassen werden und „Z“ aufgrund der unausgegorenen Position zwischen Konvention und Unangepasstheit als Kinoerlebnis blass bleibt.
Cover & Pics © Studiocanal
- Titel: Die versunkene Stadt Z
- Originaltitel: The Lost City Of Z
- Produktionsland und -jahr: USA 2016
- Genre:
Adventure
Action
Drama
- Erschienen: 17.08.2017
- Label: Studiocanal
- Darsteller:
Charlie Hunnam
Tom Holland
Robert Pattinson
Sienna Miller
- Regie: James Gray
- Drehbuch: James Gray
- Kamera: Darius Khondji
- Extras:
Interviews, Making of, Berlinale Pressekonferenz, Behind the scenes, Trailer, Faltkarte „Auf den Spuren von Percy Fawcett“ - Technische Details (DVD)
Video: 2,40:1 anamorph
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2,40:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 8/15 dpt