Saskia Calden – Der stille Feind (E-Book)


Saskia Calden - Der stille Feind (Cover © Saskia Calden)«Warum lasse ich mich immer wieder dazu hinreißen, Sebastians Träumen Glauben zu schenken?»

Diese Frage stellt sich Anika, Mutter eines siebenjährigen Sohnes. Allerdings stellt sie sich diese Frage nur so lang, bis Sebastian verschwindet, angeblich sogar tot sein soll. Plötzlich lautet die Frage eher, warum sie seine Träume nicht viel ernster genommen hat – schließlich sind schon des Öfteren die Dinge eingetreten, die der Grundschüler zuvor im Schlaf erlebt hat. Zufälle, dachte Anika. Aber jetzt…

Ein Unfall, einige Tage Koma – als Anika wieder aufwacht, bricht ihre Welt zusammen. Ihr Sohn ist gestorben, heißt es. Umgekommen in einem Feuer. Aber die Umstände passen einfach nicht zusammen, Sebastian kann nicht in dem abgebrannten Gebäude gewesen sein. Das glaubt zumindest Anika, steht damit allerdings ziemlich allein da. Die trauernde Mutter, die den Tod ihres einzigen Kindes nicht wahrhaben will – so sehen es die anderen, zu denen auch ihr Mann und ihre Schwester zählen. Aber spürt eine Mutter denn nicht, ob ihr Kind noch lebt? Und diese Begebenheiten aus ihren Träumen, die ihr wiederholt auch in der Realität begegnen, müssen doch etwas bedeuten. Anika ist überzeugt davon, dass ihr Sohn nicht gestorben ist, sondern entführt wurde. Auf eigene Faust begibt sie sich auf die Suche nach Sebastian und nach dem Stückchen Realität in ihren Träumen.

Als Leser weiß man lange nicht, ob Anika bei Sinnen ist oder nicht. Man tendiert dazu, ihr zu glauben, zweifelt aber doch immer wieder an ihrem Verstand. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr verschieben sich die Zweifel. Könnte sie recht haben? Lebt Sebastian tatsächlich noch? Was ist mit ihm geschehen? Jeder, der Anikas Weg kreuzt, scheint verdächtig zu sein. Die Autorin versteht es hervorragend, falsche Fährten zu legen und mit den Erwartungen der Leser zu spielen. Bis zur Auflösung weiß man nicht, wem man trauen kann und was mit Sebastian passiert ist.

Manchmal ertappt man sich dabei, Anikas zum Teil recht tollkühne Taten zu hinterfragen. Dann allerdings macht man sich bewusst, dass es hier um ihr Kind geht und es in diesem Fall keine Grenzen gibt. Keine. Auch wenn die eine oder andere Handlung der kämpferischen Mutter zunächst unlogisch erscheinen mag, wird sie vor diesem Hintergrund doch wieder nachvollziehbar. Anika geht bis zum Äußersten und wirkt dabei in ihrer wachsenden Verzweiflung und Angst zugleich auch stark und fokussiert. Sie verfolgt ihr Ziel, lässt sich nicht beirren und setzt alles daran, ihren Sohn aufzuspüren. 

Mit ihrer klaren, schnörkellosen Sprache, die nicht um den heißen Brei herumredet, sondern das Geschehen auf den Punkt bringt, gelingt es der Autorin perfekt, Anikas Emotionen zu transportieren. Die Ich-Perspektive tut dafür ihr Übriges. Dabei wird dem Leser nicht jede Kleinigkeit vorgekaut, vielmehr entwirrt er nach und nach gemeinsam mit Anika die Ereignisse und darf auch selbst Schlüsse ziehen. Saskia Calden unterstützt mit ihrem Erzählstil den rasanten, im positiven Sinne undurchsichtigen Inhalt auf optimale Weise. Die Seiten fliegen nur so dahin, die treffend gewählten Worte werden in Rekordzeit verschlungen. Ein besonderes Lob geht an dieser Stelle auch an das Lektorat, das bei diesem Buch ausgezeichnete Arbeit geleistet hat!

Saskia Calden ist zwar in der Welt der Bücher kein unbeschriebenes Blatt, legt mit „Der stille Feind“ aber ihr Thriller-Debüt hin. Bis dato hatte sie sich – unter Pseudonym – anderen Genres verschrieben. Der Wechsel gelingt ihr problemlos. Sie spannt ihren Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Seite (auch wenn das Ende im Vergleich zum nervenaufreibenden Rest fast ein wenig unspektakulär wirkt), überzeugt mit einem hohen Erzähltempo und führt den Leser geschickt an der Nase herum. Hinter alten Thriller-Hasen muss sie sich ganz sicher nicht verstecken. Im Gegenteil: Ihr Erstling macht definitiv neugierig auf weitere Bücher dieses Genres aus ihrer Feder.

Zum Schluss soll der Hinweis nicht fehlen, dass es sich hier zwar um einen Psychothriller handelt, aber auch übernatürliche Elemente zum Tragen kommen, die überzeugend und sinnvoll in die Handlung eingeflochten sind. Unbedingt empfehlenswert ist es, sich anschließend eingehender mit dem Leitthema des Buches zu beschäftigen, um dessen volle Tragweite – und die realistischen Möglichkeiten – zu begreifen.

Fazit: „Der stille Feind“ ist ein durchweg gut durchdachtes, spannendes Thriller-Debüt, das mit seiner klaren Sprache die Gefühlswelt der Ich-Erzählerin plausibel und nachvollziehbar transportiert. Wer einer Prise Übersinnlichem nicht abgeneigt ist, findet hier einen fesselnden, rasanten Pageturner, der Lust auf mehr macht.

Cover © Saskia Calden

Wertung: 13/15 wahrwerdende Träume


2 Kommentare
    1. Liebe Saskia,

      mich freut, dass dir meine Rezension so gut gefällt 😀

      Melde dich gerne, wenn du deinen nächsten Thriller schreibst. 😉

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