John Ronald Reuel Tolkien – Beren und Lúthien (Buch)


Beren und Lúthien-Buchcover © Hobbit PresseAn einem Montagmorgen im Zug wanderte ich durch Beleriand, besiegte den König der Katzen und dachte über Erbschaft nach: „Beren und Lúthien“.

J. R. R. Tolkien gilt als Begründer der modernen Fantasy; das World-Building, wichtiges Merkmal der sogenannten Highfantasy, geht auf seine Schöpfung Mittelerdes zurück. Viele haben sich seit dem Erfolg von „Der Herr der Ringe“ in dieser Disziplin versucht – mit mehr oder weniger guten Ergebnissen. Ein möglicher Grund, warum man als Fantasyautor*in an dieser Aufgabe scheitern muss, ist die Zeit: J. R. R. Tolkien hat wortwörtlich sein ganzes Leben lang an der Welt Mittelerdes und ihrer Mythologie gefeilt.

Das Erbe der Veröffentlichung und literaturwissenschaftlichen Aufarbeitung des Gesamtwerkes (insbesondere des „Silmarillion“) fiel dem Sohn Christopher Tolkien zu, der mit 93 Jahren nun mit „Beren und Lúthien“ sein möglicherweise letztes Buch vorgelegt hat. Gewidmet hat er das Buch, das getrost als DIE Liebesgeschichte Mittelerdes gelten darf, seiner Ehefrau Baillie Tolkien, und geschrieben wurde es «in memoriam […] wegen der tief verwurzelten Präsenz in seinem [J. R. R. Tolkiens] eigenem Leben und seinem intensiven Nachdenken über die Vereinigung von Lúthien, die er ‘die größte der Eldar’, nannte und Beren dem Sterblichen, über ihr Schicksal und ihr zweites Leben.» (19)

Seit der Extended Fassung von „Die Gefährten“ kennen alle die Geschichte: Der Sterbliche Beren verliebt sich in die Elbin Lúthien Tinuviel. Wie Arwen in „Der Herr der Ringe“ entsagt sie der Unsterblichkeit, um die Ewigkeit mit ihrem Liebsten verbringen zu können, da es einzig den Menschen gegeben ist, wirklich zu sterben und die Kreise der Welt zu verlassen.

Nachzulesen ist dies alles im „Silmarillion“, was die Frage nach dem Mehrwert einer Einzelausgabe der Geschichte aufwirft.
Es ist vor allem die editorische Leistung, die die Lektüre von „Beren und Lúthien“ in der vorliegenden Ausgabe lohnenswert macht. Christopher Tolkien hat die verschiedenen Textfassungen der Legende in Prosa und Lyrik in die zeitliche Reihenfolge ihrer Entstehung gebracht und erläutert. Angefangen bei den frühesten Versionen, die den König der Katzen als Widersacher Berens und Lúthiens enthalten (eine Figur, deren Verspieltheit bald aus dem biblisch anmutenden Textkorpus verschwindet), bis zur endgültigen Textfassung, in der der ursprüngliche Elb Beren in seiner menschlichen Natur festgeschrieben wurde.
Veränderungen der Handlung werden in der Parallellektüre ebenso deutlich, wie die Einbindung des Stoffes in die große Erzählung um die Silmaril oder die Genese von Figurennamen. Der Wechsel zwischen Prosa, Verserzählungen und editorischen Ergänzungen des Herausgebers zielt weniger auf ungebrochenen Lesefluss ab, als auf eine sprach- und literaturwissenschaftliche Einordnung.

Zur Freude der Fans ist der Band mit Zeichnungen des renommierten Tolkien-Illustrators Alan Lee versehen, die auch die verworfenen Handlungsentwürfe mit Leben füllen. Dennoch ist „Beren und Lúthien“ viel mehr eine Textedition (wenn auch eine, die ihren wissenschaftlichen Anspruch eher als Grundgedanken denn als textkonstituierend versteht) als eine illustrierte Erzählung.

Fazit: Wer eine gefällige und ungebrochen erzählte Geschichte aus Mittelerde erwartet, sollte „Das Silmarillion“ lesen. Wer aber tiefer in die Entstehung von Tolkiens Welt eintauchen will, dürfte von „Beren und Lúthien“ begeistert sein.

Cover © J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH (Hobbit Presse)

Wertung: 13/15 dpt


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