J. R. R. Tolkien, George R. R. Martin, Robert Jordan (ohne R. R.) – auch wenn Letzterer im Allgemeinen nicht ganz so bekannt ist wie seine Kollegen, so hat er sich doch ganz sicher seinen Platz in dieser Reihe verdient. Mit „Das Rad der Zeit“ hat er der Fantasy-Welt eine ebenso epische Geschichte geschenkt, wie wir sie aus Mittelerde oder vom Kampf um den eisernen Thron kennen. Leider verstarb Jordan, bevor er seinen Roman-Zyklus selbst beenden konnte. Glücklicherweise hinterließ er seiner Frau zahlreiche Notizen zum weiteren Verlauf und zum Ende der Handlung, anhand derer sie das Rad gemeinsam mit dem Autor Brandon Sanderson in Jordans Sinne weiterweben und schließlich fertigstellen konnte.
Heruntergebrochen geht es im „Rad der Zeit“ um den Kampf zwischen Gut und Böse – wobei Licht und Schatten es wohl noch besser trifft. Um seine Geschichte zu erzählen, erschuf Robert Jordan, ganz so wie Tolkien und Martin, eine riesige eigene Welt: Von Völkern und ihren Sprachen über Bräuche und Mythen bis hin zu einer Vielzahl an Städten und Ländern ist es ein bis ins letzte Detail ausgearbeitetes Universum, durch das wir den jungen Protagonisten Rand al’Thor auf seinen Abenteuern begleiten. Auf seinem beschwerlichen Weg muss er erkennen, dass er nicht der Bauerssohn ist, für den er sich sein Leben lang gehalten hat, sondern dass viel mehr in ihm steckt. So viel mehr, dass davon das Schicksal der gesamten Welt abhängt. Zur Seite stehen ihm dabei neben seinen engsten Freunden die Aes Sedai (eine Art Magierin) Moiraine Damodred, die sich auf die Lenkung der Elementarmächte Luft und Wasser spezialisiert hat, sowie ihr Behüter Al‘Lan Mandragoran, Herr der Sieben Türme und ausgezeichneter Feldherr von Malkier.
Der Piper Verlag hat das komplette Epos überarbeitet und orientiert an der amerikanischen Originalfassung neu herausgegeben. Das Ergebnis ist eine sehr schön anzusehende, hochwertige Reihe in vierzehn Bänden plus die Vorgeschichte „Der Ruf des Frühlings“, die in der alten Fassung als Nr. 29 der damals insgesamt 37 Bände umfassenden Reihe erschienen ist und um die es hier gehen soll. Sie spielt kurz vor der Geburt Rands und erzählt, wie Moiraine von einer Adligen, die die „Eine Macht“ lenken kann, zur Aes Sedai wird, und wie sie ihren zukünftigen Behüter kennenlernt, um mit ihm Seite an Seite für das Licht zu kämpfen. Zu Beginn des Buches ist Moiraine bereits von einer Novizin, also dem ersten Rang auf dem Weg zur Aes Sedai, zu einer Aufgenommenen erhoben und befindet sich am Ende ihrer Ausbildung. Der Leser durchläuft gemeinsam mit ihr diese letzte Etappe, fiebert bei ihren Übungen mit und erlebt schließlich, wie sie den letzten Schritt zur vollwertigen Aes Sedai meistert. Während ihrer Dienste in der Weißen Burg, dem Hauptquartier der Aes Sedai, erfährt sie zufällig von einer Vorhersagung: Die Geburt des Wiedergeborenen Drachen, einem Mann der die Welt sowohl zerstören als auch retten kann, soll unmittelbar bevorstehen. Moiraine weiß, nur wenn sie ihn findet und zu den Aes Sedai bringt, können sie seine Macht in die richtige Richtung lenken und die Welt vor dem Untergang bewahren. Moiraine setzt nun alles daran, das Baby aufzuspüren – und trifft auf ihrem Weg Al’Lan Mandragoran.
Auch wenn es sich um eine Vorgeschichte handelt, ist es nicht empfehlenswert, dieses Buch als erstes zu lesen. Für jemanden, der die Reihe und damit die Charaktere noch nicht kennt, könnte dieser Band ein eher zäher, stellenweise etwas langatmiger Einstieg sein. Um das Geschehen wirklich zu begreifen und auch die Details schätzen zu wissen, ist es unbedingt von Vorteil, bereits eine Beziehung zu den Charakteren aufgebaut zu haben und sich für ihre Vergangenheit zu interessieren. Nur, wenn man Moiraine und Lan schon eine Weile begleitet hat (nicht zwingend durch alle Bücher, doch aber zumindest durch ein paar), erschließt sich die Entwicklung, die beide Figuren unabhängig voneinander, aber auch miteinander durchlaufen, in Gänze. Darüber hinaus werden in „Der Ruf des Frühlings“ nicht alle dem Zyklus eigenen Begriffe erklärt, die aus den anderen Bänden geläufig sind.
Hat man die Aes Sedai und ihren Behüter hingegen schon vorher ins Herz geschlossen, ist es sehr spannend, Moiraines Anfänge zu verfolgen und zu erfahren, wie sie zu dem wurde, was sie später ist. Auch ihr Aufeinandertreffen mit Lan ist gerade dann interessant und bemerkenswert, wenn man ihre spätere, sehr innige Beziehung zueinander kennt. Insgesamt kommt dieser Teil aber etwas kurz und hätte gerne mehr Raum einnehmen können.
Die Ausgabe selbst ist in glänzendem Grün und mit dickem Papier gut gelungen – optisch wie haptisch eine große Freude. Aber: Im Vergleich zu den anderen Bänden der Reihe, deren Cover sehr detailreich illustriert sind und die jeweilige Handlung toll widerspiegeln, ist der „Ruf des Frühlings“ ein wenig nichtssagend ausgefallen. Wahrscheinlich soll das Bild Moiraine bei ihrer Erhebung zur Aes Sedai zeigen, es hätte hier aber ruhig „etwas mehr“ sein dürfen, um der Geschichte gerecht zu werden.
In die sprachliche Überarbeitung haben sich leider ein paar Rechtschreibfehler sowie recht viele Wortwiederholungen eingeschlichen. Die eine oder andere Formulierung kommt etwas holprig oder gestelzt daher. Insgesamt ist die Sprache aber genauso gewählt, wie man es von einem Fantasy-Epos erwartet: ausschweifend, blumig, detailverliebt. Der Leser wird in diese andere Welt gesogen und kann dem Alltag für einen Moment entfliehen, während er mit Moiraine für ihre Prüfungen übt, die Gänge der Weißen Burg durchschreitet oder mit Lan das Schwert schwingt.
Fazit: Für Fans der Reihe – auch solche, die noch nicht alle Bücher gelesen, Moiraine und Lan aber schon kennengelernt haben – ist „Der Ruf des Frühlings“ ein tolles Extra, das die Hintergründe liebgewonnener Charaktere beleuchtet und den Zyklus auf stimmige Weise abrundet. Sprachlich hätte dieser Band noch etwas ausgefeilter sein können. Nichtsdestotrotz kann man sich gut in der Handlung verlieren und in eine Welt voller Magie und großer Kämpfe abtauchen, in der das Rad webt, wie es das Rad will.
Cover @ Piper
- Autor: Robert Jordan
- Titel: Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte
- Teil/Band der Reihe: 0/14
- Originaltitel: The New Spring
- Übersetzer: Andreas Decker
- Verlag: Piper
- Erschienen: 05/2017 (in dieser Überarbeitung, Original: 2004)
- Einband: Hardcover
- Seiten: 352
- ISBN: 978-3-492-70317-8
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Wertung: 10/15 Räder der Zeit