„You have nothing to be afraid of“ – nein, wir brauchen keine Angst zu haben, denn Frank Underwood (Kevin Spacey) ist zurück, um uns alle zu beschützen. Vor dem Terror. Vor unfähigen Präsidentschaftskandidaten. Vor allzu investigativen Journalisten. Frank hat alles und jeden im Griff – oder?
Am 30.05.2017 war es endlich soweit, die neue, fünfte Staffel „House of Cards“ wurde veröffentlicht. Wie bereits im Falle von Staffel vier aber nicht bei Netflix, sondern wieder bei Sky. Hieß es früher noch, die Serie sei überzogen und unrealistisch – wobei Bill Clinton verriet, dass sie zu 99 Prozent ziemlich zutreffend sei – wurde dieses Mal die Frage laut, ob die Realität die Serie in Zeiten Trumps nicht sogar überholt habe. Kevin Spacey meint dazu schlicht: „Wir haben das bessere Drehbuch“.
Zum ersten Mal ist nicht mehr Serienschöpfer Beau Willimon der kreative Kopf hinter dem Politdrama, sondern seine Kollegen Melissa James Gibson und Frank Pugliese. Keine leichte Aufgabe, die die beiden da übernommenen haben. Ihr Debüt schließt nahtlos an die vorherige Staffel an, in der ein amerikanischer Bürger von der fiktiven Terrororganisation „ICO“ (Islamic Caliphate Organization, das Serien-Pendant zu ISIS) hingerichtet wurde. Zu Beginn der Staffel nehmen die Underwoods an der Beerdigung des getöteten Familienvaters teil. Der zeitgleich stattfindende Wahlkampf gegen den Republikaner Will Conway (Joel Kinnaman) lässt sich prima nutzen, um Angst vor der allgegenwärtigen Terrorgefahr zu schüren und den Krieg gegen “ICO” zu erklären. Leider geht die Rechnung aber nicht auf und die ersten Prognosen sprechen gegen eine weitere Amtszeit Underwoods.
Das kann Frank natürlich nicht auf sich sitzen lassen und erreicht mit einem gefälschten Terroralarm eine Unterbrechung der Wahlen, während der es sein erklärtes Ziel ist, Conway zu diskreditieren. Bis zur endgültigen Entscheidung muss er das Szepter allerdings an den Vize-Präsidenten abgeben. Wie praktisch, dass es sich dabei um seine Frau Claire (Robin Wright) handelt. In den nun folgenden neun Wochen setzen die Underwoods alles daran, die Wahl letztendlich doch für sich zu entscheiden und greifen dabei – wie sollte es anders sein – mit Vorliebe zu fragwürdigen Mitteln. Was nicht passt, wird passend gemacht, könnte man salopp sagen. Wer nicht spurt, wird entweder erpresst oder aus dem Weg geräumt. Am Ende bleibt dennoch vieles unklar. Die Zukunft von Frank? Unklar. Die gemeinsame Zukunft von Frank und Claire? Unklar. Die Zukunft von Doug (Michael Kelly), Chief of Staff und Franks ergebener Untertan für schmutzige Aufgaben? Unklar. Die Zukunft der Vereinigten Staaten von Amerika? Unklar. An Stoff für eine sechste Staffel mangelt es jedenfalls nicht.
Die aktuelle Staffel hat die Fangemeinde gespalten. Während die einen von einer der besten Staffeln sprechen, bleiben die anderen enttäuscht zurück. Beide Sichtweisen sind durchaus verständlich, bedenkt man die teils sehr verworrene, manchmal unlogische, zugleich aber spannungsgeladene und vielseitige Handlung oder auch die Entwicklung einzelner Charaktere. Die Ereignisse überschlagen sich von Folge zu Folge mehr, es passiert extrem viel auf einmal und als Zuschauer muss man schon ein gewisses Maß an Konzentration aufbringen, um überhaupt noch folgen zu können. Eine Wendung jagt die nächste – das mag für manche zu viel des Guten sein, andere lieben genau diese Momente voller unvorhergesehener Überraschungen. Lässt man sich auf das Geschehen ein und hinterfragt die Handlung nicht zu sehr, macht es auch dieses Mal wieder unwahrscheinlich viel Spaß, Francis Underwoods Machenschaften hautnah mitzuerleben. Als Zuschauer schwankt man dabei unaufhörlich zwischen Fassungslosigkeit, hämischer Freude, dem einen oder anderen schwarzhumorigen Schmunzeln, überraschten Oh-Rufen, unangenehmem Hin- und Herrutschen, und, und, und – mangelndes Gefühlschaos kann man der Staffel sicher nicht vorwerfen. Ebensowenig, wie fehlende Aktualität, denkt man nur an die tatsächliche Terrorgefahr und die obskuren Vorkommnisse im Weißen Haus (auch wenn bei Entstehung der fünften Staffel noch niemand mit Trump als Präsident gerechnet hat).
Die Charaktere sind House-of-Cards-typisch sehr speziell. Frank ist genauso eiskalt, intrigant, arrogant, manipulativ und machtgierig, wie wir ihn kennen – und paradoxerweise auch lieben. Es ist doch immer wieder interessant, wie ein solch durch und durch böser Charakter die Fans auf seine Seite ziehen kann. Trotz (oder möglicherweise sogar wegen?) seiner oftmals erschreckenden Taten, fiebert man mit ihm mit und freut sich beinahe schon auf seinen nächsten Streich. Und obwohl man diesen bereits erwartet, erstaunt die Kaltblütigkeit, mit der Frank vorgeht, am Ende doch wieder. Das der Serie eigene Durchbrechen der vierten Wand, also das direkte Adressieren der Zuschauer, nimmt in dieser Staffel neue Formen an. Ohne zu viel verraten zu wollen, wird dieses Mittel auf die nächste Stufe gehoben. In einem besonders eindrucksvollen Moment, schreitet Frank durch einen voll besetzten Raum, um mit uns zu sprechen, die Menschen im Raum wirken wie erstarrt und Underwood erscheint in diesem Augenblick noch allmächtiger als ohnehin schon. Diese Allmacht ist darüber hinaus in besonderem Maße spürbar, als wir von seinen zukünftigen Plänen erfahren. Frank überlässt dabei nichts dem Zufall, hat für seinen großen Showdown alles minutiös vorbereitet – nur in einem Punkt hat er sich verschätzt: Claire.
Die komplexe Beziehung von Frank und Claire zieht sich durch alle Staffeln. Egal, was auch passierte, in letzter Instanz standen beide immer als Einheit da – auch, wenn der Eindruck in der vierten Staffel bereits einige Risse bekam. Es gab immer diese innigen Momente, wie die gemeinsame nächtliche Zigarette (oder wahlweise den Joint) am Fenster. Kleine Augenblicke, die zwischen all den Intrigen und Lügen stets ein Stückchen Nähe und Menschlichkeit bewahrten. In der ersten Hälfte der aktuellen Staffel beobachten wir die Underwoods in ihrem privaten Kino. Traditionell schauen sie am Wahlabend „Double Indemnity“ von Billy Wilder und rezitieren gemeinsam die Dialoge. Die Szene macht Hoffnung, dass das Präsidentenpaar doch weiterhin an einem Strang zieht. Der weitere Staffelverlauf lässt die Fassade aber immer mehr bröckeln und letztlich weiß man beim besten Willen nicht mehr, wie es für die beiden weitergehen wird. Hat Frank seine Rechnung einmal zu oft ohne seine Frau gemacht beziehungsweise ihre unbedingte Loyalität einmal zu oft als gegeben hingenommen?
Überragend wie immer, oder nein, vielleicht noch überragender als sonst, spielt Michael Kelly seinen Doug Stamper. Seine Leistung ist umso erwähnenswerter, wenn man den Schauspieler in Interviews erlebt hat: sympathisch, humorvoll, herzlich. Diese Adjektive wären die allerletzten, die man zur Beschreibung seines Seriencharakters wählen würde. Kürzlich erzählte Kelly, beim Dreh der ersten Staffel sei die Ansage gewesen, Doug ohne jegliche Emotion zu spielen. Dies hat der Schauspieler zweifelsohne über die einzelnen Staffeln perfektioniert. Doug ist der Inbegriff von Emotionslosigkeit, gleichzeitig ist er ausschließlich davon getrieben, Frank zufriedenzustellen. Sein gesamtes Tun, sein gesamtes Sein zielt einzig und allein darauf ab, Frank zu unterstützen und zu schützen, koste es, was es wollte. Im Duden könnte neben dem Begriff „Loyalität“ Dougs Bild stehen. Für Frank tut er alles, ausnahmslos und ohne Grenzen, wie die Staffel einmal mehr und in besonderer Intensität zeigt. Eine Schlüsselszene, in der Frank und Claire Doug in einen ihrer perfiden Pläne einweihen, bei dem letztendlich er selbst der Geschädigte ist, zeigt in aller Deutlichkeit, dass Doug sich selbst lieber komplett aufgibt als Frank zu enttäuschen. Michael Kelly spielt die Rolle erschreckend überzeugend und hinterlässt neben den Underwoods den nachhaltigsten Eindruck.
Altbekannte Charaktere gehen, neue kommen – das trifft auf die aktuelle Staffel wohl mehr denn je zu. Eine ganze Reihe neuer Gesichter taucht plötzlich aus dem Nichts auf. Allen voran ist Jane Davis (Patricia Clarkson), stellvertretende Staatssekretärin für den internationalen Handel, zu nennen. Ebenso intrigant wie die Underwoods selbst, weiß man eigentlich nie genau, auf welcher Seite sie steht. Jedes Mal, wenn man der Ansicht ist, sie durchschaut zu haben, wird man eines Besseren belehrt. Es bleibt spannend, wie ihr Part sich zukünftig weiterentwickeln wird. Andere Charaktere – welche, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten – müssen ihr Leben lassen, um den Vormarsch der Underwoods weiterhin zu garantieren. Insbesondere ein Mord hinterlässt dabei einen recht schalen Geschmack. Die fragliche Szene ist verstörend absurd – und zählt zu einem der Punkte, an dem sich die Geister scheiden. Wie man sie auch bewerten mag, für ein unangenehmes Gefühl sorgt sie in jedem Fall.
Fazit: Die erste Staffel unter neuer Leitung ist ein einziges Verwirrspiel, in dem nichts so ist, wie es zunächst scheint. An der einen oder anderen Stelle hätten sich die Macher vielleicht etwas zurückhalten und stattdessen mehr Zeit auf die Einführung neuer Charaktere verwenden können. Insgesamt sind die einzelnen Episoden aber gewohnt spannungsgeladen, nah am aktuellen Geschehen und überraschen mit unvorhergesehenen Wendungen. Frank und Claire stehen als Paar wieder stärker im Fokus und erreichen in ihrem Machthunger – alle beide – ein neues Level. Das Ende markiert einen entscheidenden Wendepunkt und macht definitiv Lust auf eine sechste Staffel.
Cover © Sky/Netflix
- Titel: House of Cards
- Originaltitel: House of Cards
- Produktionsland und -jahr: USA, 2016
- Genre:
Drama
Politdrama - Erschienen: 30.05.2017
- Label: Netflix (Erstausstrahlung in Deutschland: Sky)
- Darsteller:
Kevin Spacey
Robin Wright
Michael Kelly
Patricia Clarkson
Campbell Scott
Paul Sparks
Derek Cecil
Neve Campbell
Jayne Atkinson
Joel Kinnaman
Dominique McElligott
Boris McGiver
Korey Jackson
Colm Feore
Damian Young
James Martinez - Regie:
Daniel Minahan
Alik Sakharov
Michael Morris
Roxann Dawson
Agnieszka Holland
Robin Wright - Drehbuch:
Michael Dobbs
Andrew Davies
Frank Pugliese
Melissa James Gibson - Kamera:
David M. Dunlap
Lisa Bromwell
Tim Norman - Schnitt:
Lisa Bromwell
Yuka Shirasuna
Katherine Skjerping
Michael Ruscio - Musik: Jeff Beal
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite bei Sky
Wertung: 12/15 Kartenhäuser