Knoppke, Anhänger des Wuppertaler SV, durch eine Knieverletzung nie Fußballprofi geworden und als Zugezogener in München lebend, war zwar schon immer etwas eigen, doch über die letzten Jahre haben sich viele seiner Charaktereigenschaften verstärkt. Der Knoppke von heute ist in sich gekehrt, redet nicht über Gefühle und lässt diese auch kaum zu, er ist brummig, fast miesepetrig. Immerhin hat er als Security Steward im Fußballstadion einigermaßen Spaß. Viel hat er von den Spielen zwar nicht, denn er muss als Sicherheitsmensch ja die Zuschauer im Auge behalten – er ist, so ist es im Roman passend beschrieben, der Zuschauerzuschauer – aber er ist letztendlich mittendrin in seinem Lieblingssport, und der Job füllt den Geldbeutel ganz akzeptabel. Ach, und Silvi, mit der er zur Zeit liiert ist, das ist doch eine ganz Süße. Mann kann sich nicht beschweren.
Eines Abends, es wurde spät, bemerkt er, dass er bei seinem letzten Besuch bei seiner Liebsten seinen eigenen Wohnungsschlüssel dort vergessen hat. Mitten in der Nacht macht er sich auf den Weg zu ihr und glaubt kaum, was er da durch das Fenster zu sehen bekommt: Seine Silvi vergnügt sich mit einem anderen Kerl. Konsterniert beobachtet er das Szenario – doch was hilft es? Er muss ja in die Wohnung, damit er selbst nach Hause kann. Er könnte ja die beiden aus dem Bett klingeln. Doch Knoppke ist kein Freund des Dramas. Da fällt ihm das Versteck des Zweitschlüssels für Silvis Wohnung ein, den er sich prompt holt. Das Schleichen in die Wohnung klappt auch noch einigermaßen gut, bis er über Schuhe im Flur stolpert.
Shit. Okay. Alles verloren, Schlüssel (und noch diverse andere Dinge, die im späteren Verlauf der Geschichte wieder auftauchen werden) schnappen und raus.
Weg.
Ohne weitere Gedanken packte er alles zusammen und verschwand.
Zuerst aus Silvis Wohnung.
Dann aus Silvis Leben.
Schließlich aus seinem eigenen Leben.
Seinem alten Leben.
(S. 24)
Nach einem überraschend ruhigen Schlaf fasst er einen Entschluss. Es wird ab sofort nicht mehr gegrübelt, und eventuelle Gefühlduselei hat Sendeverbot. Der Kopf muss frei werden. Knoppke muss wieder bei sich selbst ankommen. Und zwar dort, wo man ihn in Ruhe lässt. Das funktioniert am besten dort, wo auch möglichst wenig Menschen unterwegs sind. Die schottischen Highlands sind hierfür das perfekte Ziel. Sehr bald hat er seinen ollen Ford Transit (fast ein Bulli, immerhin) fit gemacht und bricht von München aus gen Insel auf. Mit dem Nötigsten. Und ja, auch mit diesen anderen Dingen. Denen, die im späteren Verlauf der Geschichte wieder auftauchen werden.
Er wundert sich bei seiner ersten Rast, irgendwo bei Augsburg, über seltsame Geräusche, die aus dem Innern des Autos kommen. Dort sitzt zu Knoppkes Verwunderung – typisch für ihn ist diese Fast-nicht-Reaktion, ein verdattertes Bauchkratzen – eine junge Frau, Anfang 20, lange braune Dreadlocks und Silberblick, Knabberzeug mampfend: Sam, eigentlich Samantha.
Was macht die denn hier?
Sam redet und redet und spricht mit Knoppke (also zu Knoppke, denn der kommt praktisch nicht zu Wort), als kenne sie ihn schon ihr ganzes Leben lang. Inklusive frecher Kommentare. Als sie sich kurz abmeldet und vom Transit entfernt, zögert Knoppke nur kurz und stiehlt sich davon. Doch er wird sich, noch mehrmals irren bei der Annahme, er könne das junge, lebenslustige Ding, das so ziemlich das absolute Gegenteil von ihm ist, einfach so loswerden. Also resigniert Egor, wie Knoppke mit von ihm selbst ungeliebtem Vornamen heißt, und arrangiert sich mit seiner hartnäckigen Begleitung. Der Anfang eines irrwitzigen Roadtrips.
Ach, Knoppke, Du hast ja gar keine Ahnung, was alles auf Dich zukommen wird.
Und Du hast überhaupt keinen Plan, dass Du unter Umständen bald wieder der Knoppke sein könntest, der Du einst warst. Zumindest wieder halbwegs. Der alte Knoppke war nämlich bei weitem nicht so grumpy, so bedient und so stur. Und Knoppke, Du wirst mehr Menschen treffen, als Dir lieb sein wird. Du wirst Dir kaum ausmalen können, wen alles.
Was ihr beide in Schottland erleben werdet, ist keinesfalls das, womit ihr gerechnet hättet. Und überhaupt, was zum Henker soll das alles jetzt? Wer zum Teufel ist diese nervtötende, ständig Redewendungen verdrehende, aber eigentlich doch liebenswerte Sam denn nun? Was will sie von Dir? Und wieso klebt sie an Dir wie ein Kaugummi im Profil einer Schuhsohle?
Nächste Station: Roadnovel
Dem in München lebenden, 1976 geborenen Journalisten und Autor Bernhard Blöchl ist nach dem Roman “Für immer Juli” und dem satirischen Ratgeber “Schluss mit luschig!” das wohl reifste und rundeste Buch seiner noch jungen schriftstellerischen Laufbahn gelungen – der Entwicklungssprung ist enorm. An seinem Rezept hat er im Vergleich zu “Für immer Juli” nicht einmal allzuviel verändert, denn auch “Im Regen erwartet niemand …” kombiniert raffiniert “easy reading” mit Inhaltsreichtum: Der 272-seitige Roman liest sich extrem flüssig, aber während der Lektüre nimmt man als Leser so einiges mit. Man sieht diesen knurrigen Mann und erlebt, wie er dieser quirlig-quasseligen jungen Frau begegnet. Und man bekommt einen Einblick in Knoppkes Kopf geboten. Man denkt jeden Gedanken mit und schüttelt die Birne über diesen alten Miesepeter und Gefühlsbackstein, doch je mehr man ihn kennen lernt und auch über ihn erfährt, desto mehr versteht man, was ihn den Knoppke von heute hat werden lassen: Eine eigentlich ganz schön tragische Figur.
Hierbei schlägt der Roman stellenweise nahezu philosophische Kapriolen, manchmal auch der etwas anderen Art (“Fast ist scheiße”), und dem gegenüber steht hohes komödiantisches Potenzial – viele sehr unterhaltsame Szenen sorgen für herzhafte Lacher, wobei es vor allem die Dialoge zwischen den beiden sind, die das Buch so leuchten lassen, wie es der gelbe Einband nahezu zu symbolisieren scheint. Und auch hier blinken unerwartet kleine Weisheitsjuwelchen der Hoffnung in des Lesers Gesicht. Blöchl findet nicht nur Lieblingssätze – er kreiert sie auch.
Hinzu kommt, dass die Figuren nicht nur angerissen werden – man kann sich lebhaft vorstellen, wie sie aussehen. Wie die Kulissen um sie herum aussehen. Im Kopf des Lesenden entsteht ein Film, man stellt sich leibhaftig vor, wie Sam den sich am Bauch kratzenden und um Worte und Gedanken ringenden Knoppke herausfordert, verwirrt, anschielt, ihm vor den Kopf stößt. Blöchl zeigt ein beeindruckendes Talent, die Worte zu einem Stift werden zu lassen, der äußerst plastisch das Niedergeschriebene nicht nur skizziert oder konturiert, sondern auch gleich ausmalt – ohne dem Leser allerdings zu viel interpretatorischen Freiraum zu nehmen.
“Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint” ist ein sogbildender Roman über Veränderung, über Chancen, die man versiebt hat, über zweite Chancen und über das, was einen Menschen erst zu einem kompletten Menschen werden lässt oder zumindest repariert: Die Liebe.
Wer sich nicht als unsichtbarer Gast in Knoppkes Transit setzt, um diesen beiden grundverschiedenen Menschen bei ihrem persönlichen Abenteuer beizuwohnen, ist selbst schuld, denn dann hat man eine aufregende Fahrt und einen noch aufregenderen Schottlandaufenthalt verpasst. Und noch vieles, vieles mehr.
Cover © Piper Verlag
- Autor: Bernhard Blöchl
- Titel: Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint
- Verlag: Piper
- Erschienen: 03/2017
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 272
- ISBN: 978-3-492-06075-2
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 14/15 dpt