Mittwochabend im Passage Kino in Neukölln: „Denial“ (OmU); die Fiktionalisierung einer wahren Geschichte, die einem nicht nur mit Blick auf „alternative Fakten“ kalte Schauer über den Rücken jagt.
Zuvor die Trailer:
„Get Out“ – Der Trailer des Horrorfilms wechselt zwischen verwischten Bild- und Tonschnitten und scheinbar cinemagraphischen Einstellungen, was eine mehr als beklemmende Wirkung entfaltet.
Filmstart: 04. Mai 2017
„Gimme Danger“ – Jim Jarmusch dokumentiert die Geschichte der Band The Stooges. Im Mittelpunkt des Trailers steht Iggy Pop.
Filmstart: 27. April 2017
Noch im verlöschenden Licht bewundern wir die Schönheit des über 100-jährigen Kinosaals. Es beginnt: „Verleugnung“.
Der britische Journalist David Irving spricht in die Kamera: Mehr Frauen seien auf dem Rücksitz des Wagens von Senator Edward Kennedy gestorben als in den Gaskammern von Auschwitz. Das Auditorium außerhalb des Bildes spendet beifälliges Gelächter. Die Szenerie wechselt zur amerikanischen Professorin Deborah Lipstadt, die in einem Seminar die vier typischen Gründe, den Holocaust zu leugnen, erklärt.
Die Lüge ist so alt wie die Menschheit selbst. Zu allen Zeiten wurde in Worten und Taten betrogen, geschummelt, beschönigt oder verleugnet. Die allermeisten Leute sind problemlos in der Lage, eine Unwahrheit von den Fakten zu unterscheiden, wenn sie über alle die Frage betreffenden Informationen verfügen: Der Klimawandel findet statt, die Erde ist rund und Elvis tot. Der Trick einer guten Lüge (wie übrigens auch jeder Verschwörungstheorie) ist es, so mit den Tatsachen umzugehen, dass sie im Kern wahr bleiben, aber im Ganzen eine Lüge werden. Wie nun geht man mit Lügner*innen um?
In Mick Jacksons „Verleugnung“ verklagt der Holocaust-Leugner Irving die Historikerin Lipstadt in den 1990er-Jahren auf Verleugnung, da er mit seiner „Forschung“ bewiesen hätte, dass der Holocaust nicht, wie in der Geschichtsschreibung dargestellt, stattgefunden hätte und es folglich keine Lüge sei, dies zu behaupten. Mit Rachel Weisz und Timothy Spall stehen sich zwei glänzende, wenn auch ein wenig stereotype Darsteller*innen gegenüber: Spall spielt Irving als perfide Verkörperung des aufrechten Wissenschaftlers und liebevollen Familienvaters, der sich in seinem Antisemitismus, seinem Rassismus und seiner Frauenverachtung völlig im Recht fühlt. Spalls Irving ist jemand, der Menschenfeindlichkeit für eine Meinung hält.
Weisz, als Lipstadt ihm gegenüber, ist eine überzeugte Wissenschaftlerin, deren Emotionalität vor allem in der Fassungslosigkeit angesichts der Ignoranz gegenüber Wahrheit und Fakten zum Ausdruck kommt. Weisz stottert, wird häufig hysterisch, lässt auch den Schmerz über Lipstadts jüdisches Erbe in ihr Spiel einfließen und schafft eine – in der männerdominierten Gerichtswelt – teilweise unemanzipierte, aber authentische Figur.
Als Anwälte ergänzen Andrew Scott und Tom Wilkinson den Kerncast des Films. Scotts Wandlungsfähigkeit als Darsteller zeigt sich in „Verleugnung“ nicht zuletzt in dem Kunststück, das er mit seiner Stimme vollbringt: Viel tiefer als etwa Sherlocks Moriarty oder in „Pride“ trägt sie sein Spiel als ehrgeizigen Verteidiger, Anthony Julius, der den Fall um jeden Preis gewinnen will, ohne den Kern der Geschichte aus den Augen zu verlieren.
Nahbarer und kauziger spielt Tom Wilkinson den Anwalt Richard Rampton, der bei Gericht für Lipstadt spricht. Es liegt eine gewisse Schwere, aber auch Wärme in Wilkinsons Spiel, vielleicht ist es die Müdigkeit des Alters, die Ramptons Figur überzeugend macht.
Jackson baut „Verleugnung“ als klassisches Drama in fünf Akten auf: Nach der Einführung der Personen und des Konflikts folgt im zweiten Akt die Beweisaufnahme in Auschwitz: Natürlich ist es Winter, keine Filmmusik hilft den Zuschauer*innen, Blaufilter liegen über dem Bild. Die Szenerie wirkt beklemmend, auch und vor allem durch das Spiel von Wilkinson: Er tritt als Ermittler auf, sucht Spuren, macht forensische Arbeit – an einem Ort, der das im Grund nicht zulässt. Die Wahrheit (der Lüge in dem Punkt viel zu ähnlich) duldet kein Mitleid.
Die gute Hälfte der 110-minütigen Laufzeit nimmt das Gerichtsverfahren ein. Von den musikalischen Spannungsbögen Howard Shores verbunden, gipfelt es im vorläufigen Sieg der Lüge, wenn es Irving gelingt, ernsthafte Zweifel am Zweck der Gaskammern in Auschwitz zu säen. Ganz dem klassischen Aufbau folgend, kippt die Handlung in diesem Moment: Es geht nicht mehr länger um die Frage, welchem Zweck die Gaskammern in Auschwitz dienten, sondern ob Irving ein Lügner ist, also jemand, der wissentlich und willentlich die Unwahrheit sagt. Der juristische und folgend der dramaturgische Spieß wird in Richtung all jener gewendet, die die Wahrheit zur Widerlegung ihrer Lügen nötigen wollen. Dem verweigerten sich seinerzeit Lipstadts Anwälte und dem verweigert sich auch „Denial“: Irving wird nachgewiesen, dass er den Holocaust leugnet. Die Frage aber, ob es ihn gab, wird nicht angetastet.
Fazit: „Verleugnung“ ist gerade in Zeiten, da die „alternativen Fakten“ zum geflügelten Wort werden, ein guter und sehenswerter Film mit starken Darsteller*innen und einer soliden Filmmusik.
Cover © SquareOne/Universum
- Titel: Verleugnung
- Originaltitel: Denial
- Produktionsland und -jahr: USA, GB, 2016
- Genre: Drama
- Kinostart: 13.04.2017
- Label: BBC Films
im deutschen Verleih bei Universum
- Spielzeit: 111 Minuten
- Darsteller*innen:
Rachel Weisz
Timothy Spall
Tom Wilkinson
Andrew Scott
- Regie: Mike Jackson
- Drehbuch: David Hare
- Kamera: Haris Zambarloukos
- Schnitt: Justine Wright
- Musik: Howard Shore
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Website zum Film
Wertung: 12/15 dpt