The Missing – (TV-Serie, DVD, Blu-ray)

Für Emily und Tony Hughes wird einer der schlimmsten Alpträume wahr, der Eltern nur widerfahren kann: Ihr gemeinsamer Sohn Oliver verschwindet spurlos.

2006, während der Fußball WM, zwingt eine Autopanne die dreiköpfige Familie Hughes zu einer unvorhergesehenen Übernachtung in der (fiktiven) kleinen französischen Stadt Chalons Du Bois. Am späten Nachmittag geht Vater Tony alleine mit seinem Sohn Ollie schwimmen. Im Jubel um Thierry Henrys 1:0 gegen Brasilien, verliert Tony Hughes seinen Sohn, trotz Ermahnung an seiner Hand zu bleiben, an einem vollbesetzten Kiosk aus den Augen.Die zügig eingeleitete Suche samt zahlreicher Polizeikräfte bleibt ergebnislos. Acht Jahre später ist die Ehe der Eltern geschieden, der verzweifelte und von Schuldgefühlen zerfressene Tony Hughes hat seinen Job verloren, ist Alkoholiker und sein gesamtes Leben ist der Suche nach seinem Sohn gewidmet. Ein Foto, auf dem ein fremder Junge mit jenem Schal zu sehen ist, den Oliver am Tag seines Verschwindens trug, führt tatsächlich zu neuen Hinweisen. Julien Baptiste, der 2006 die Ermittlungen leitete und mittlerweile, mit einem verkrüppelten Bein, in Rente ist, hilft Tony bei der Suche. Es ist ein zähes Ringen, jeder Schritt zu neuen Erkenntnissen muss erkämpft werden.

Die beiden Männer, später unterstützt von Emily Hughes und ihrem Verlobten Mark Walsh, der 2006 als vermittelnder Beamter der englischen Polizei vor Ort war, müssen zahlreiche Hindernisse überwinden, Rückschläge erleiden und alte wie neue Wunden aufreißen, bis sich herauskristallisiert, was am Abend des ersten Juli 2006 geschah.

Unübersehbar orientiert sich die achtteilige erste Staffel von “The Missinig” am Fall Maddie McCann, die am dritten Mai 2007 aus einer portugiesischen Ferienwohnung verschwand und seitdem vermisst wird. So gerät Tony Hughes am Anfang der Ermittlungen selbst in Verdacht, in das Verschwinden seines Sohnes involviert zu sein. Vorwürfe, mit denen auch Maddies Eltern konfrontiert wurden. Bei Tony basieren sie auf einem gewalttätigen Vorfall in seiner Vergangenheit, doch den Ermittlern wird schnell klar, was der Zuschauer bereits weiß: Hughes ist nicht für diese Tat verantwortlich.

Mehr als den ähnlichen Ausgangspunkt verbindet die Serie kaum mit dem realen Vermisstenfall. Die beiden Autoren Harry und Jack Williams sowie Regisseur Tom Shankland erschaffen eigene Biographien und entwickeln die realitätsnahe Version einer tragischen Ereigniskette, welche die Lebenswege der Protagonisten durchkreuzt, beeinflusst und deutlich verändert.

Dabei werden Plattitüden weitgehend vermieden, der Komplexität des Geschehens und den daraus folgenden Denk- und Handlungsprozessen wird gekonnt Rechnung getragen, ohne dass man sich verzettelt, oder die zahlreich vorhandenen Nebenhandlungen und Nebenfiguren ein solitäres Eigenleben entwickeln, das vom Kern der Geschichte ablenkt. Wobei man eigentlich gar nicht von Nebenfiguren sprechen kann, denn unabhängig von der Screentime sind die zentralen Mitwirkenden komplexe Individuen, deren Biographien nicht statisch feststehen, sondern sich weiter- oder zurück entwickeln. Die Einbeziehung der verschiedenen Zeitebenen gelingt hervorragend.Im Mittelpunkt der Serie steht Tony Hughes, dessen verzweifelte Suche immer obsessivere Züge annimmt, der nur zwischen Hoffen und Bangen lebt, seine Angst ersäuft oder in hilflose Aggression ausbricht. Seine, später von ihm geschiedene Frau Emily versucht wieder Fuß zu fassen in einem Leben, dessen fester Bestandteil die persönliche Tragödie ist, aber nicht der einzige Antrieb.

Der pädophile Vincent Bourg, der früh zu den Verdächtigen gehört, kämpft über die Jahre gegen seine verhängnisvolle Neigung an, versucht mit Medizin und Gott gegen sein Verlangen zu bezwingen, doch ahnt man bereits früh, dass es nicht gut enden wird. Besonders spannend ist seine Beziehung zu dem zwielichtigen Bauunternehmer Ian Garrett, der sich als jovialer Geldgeber in die Ermittlung einmischt. Doch sehr schnell wird klar, dass seine scheinbare Hilfsbereitschaft finsteren Motiven folgt.

Eine weitere tragende Rolle spielt der skrupellose, von seiner Karriere besessene Journalist Malik Suri, dessen Beteiligung einige Menschen in den Abgrund reißt und letztlich die mögliche Aufklärung verzögert. An ihm wird besonders deutlich wie diffizil Buch und Regie während ihrer Charakterstudien vorgehen. Zunächst ist Suri einer jener Journalisten in der medialen Nachfolge von Kirk Douglas‘ Chuck Tatum, jenem ikonographischen “Reporter des Satans” (“Ace in the Hole”). Voller bedenkenlosem Ehrgeiz geht er buchstäblich über Leichen, immer den Spruch, “ich erledige nur meine Arbeit”, als Rechtfertigung parat. Im späteren Verlauf der Serie, bekommt er, besonders im Umgang mit seinem an Mukoviszidose erkrankten Sohn, ein menschlicheres, empathischeres Gesicht, die Fassade bröckelt und eine weitere zerstörte Seele wird sichtbar.

Das besitzt der leitende Ermittler Julien Baptiste von Beginn an. Obwohl er fehlbar ist, letztlich aber hartnäckig zu Tony Hughes steht und den Fall am Laufen hält, egal, welche Folgen das für ihn zeitigt. Ihm wird man in der zweiten Staffel wiederbegegnen.

All diese Charaktere funktionieren nicht alleine wegen eines exzellenten Skripts, sondern weil sie hervorragenden Darstellern interpretiert werden. James Nesbitt ist eine Naturgewalt als Tony Hughes, der jede Facette, vom freundlichen, liebenden Vater bis zum gewalttätigen Vollstrecker und verzweifelt Verlorenen, gekonnt interpretiert. Ihm zur Seite Frances O’Connor, die zerbrechlich und gleichzeitig stark aufspielt. Dabei bleibt ihre Darstellung sehr differenziert, plumpe Stereotype vermeidet “The Missing” fast vollständig.

Hervorragend auch Titus De Voogdt als gebrochener und unendlich trauriger Vincent Bourg, den er sensibel und nie diffamierend spielt. Dies gelingt auch Ken Stott, sonst eher in Polizistenrollen zu finden (beispielsweise als Ian Rankins John Rebus), der das Monströse seines Ian Garrett durch hintersinniges Understatement betont.

Eine besondere Freude ist es, den charismatischen Tchéky Karyo in einer positiv konnotierten Rolle mit hoher Auftrittsfrequenz zu sehen. Er spielt den Ermittler Julien Baptiste leidenschaftlich und gleichzeitig fein austariert, selbst die spätere körperliche Deformation wirkt in Karyos Darstellung völlig natürlich. Schauspielerkino vom feinsten.Durch die Bank, denn auch die weiteren kleineren und größeren Rollen sind überzeugend besetzt. Visuell ist “The Missing” ebenfalls sehr stimmig inszeniert. Auf hektische Schnitte und übertriebene Gewalt wird verzichtet, stattdessen schaffen die dunklen, klaren Bilder, die beständig gegen die Kälte anzukämpfen scheinen, eine manchmal fast surreale Atmosphäre, die die allgegenwärtige Zerstörung im Kleinen wie Großen betont. Unterstützung findet die Gestaltung durch den eindringlichen Soundtrack Dominik Scherrers. Im gesamten Verbund wird die beklemmende Serie nie zum nervenden Canossagang durch ein Jammertal.

Eine negative Anmerkung gibt es leider doch zu machen: So überzeugend sich die ersten sieben Folgen der verschachtelten Geschichte entwickeln, so enttäuschend ist die Auflösung zum Finale. Das man Erwartungen zuwiderläuft geht in Ordnung, aber das Ende wirkt unausgegoren und zusammengeschustert, vor allem schleichen sich Unlogik und grobe Fehler, eigentlich Unmöglichkeiten, ein, die das Geschehen und zuvor gesehene grob unterminieren. Glücklicherweise gelingt es auch hier den Schauspielern wie der Gestaltung den Schaden in Grenzen zu halten, sodass “The Missing” bis zum letzten, verstörenden Bild empfehlenswert bleibt.Cover & Szenenfotos © Pandastorm Pictures

  • Titel: The Missing
  • Originaltitel: The Missing
  • Produktionsland und -jahr: Belgien, Großbritannien, USA, 2014
  • Genre: Familiendrama, Thriller
  • Erschienen: 21.04.2017
  • Label: Pandastorm Pictures
  • Spielzeit:
    Rund 480 Minuten auf 3 DVDs
    Rund 480 Minuten auf 2 Blu-rays
  • Darsteller:
    James Nesbitt
    Tchèky Karyo
    Frances OConnor
    Émilie Dequenne
    Ken Stott
    Jason Flemyng
    Titus De Voogdt
    Saïd Taghmaoui
    Arsher Ali
    Oliver Hunt
  • Regie:
    Tom Shankland
  • Drehbuch: 
    Harry Williams
    Jack Williams
  • Musik:
    Dominik Scherrer
  • Extras:
    Episodenguide, Featurettes,
    Episodenkommentare, Trailer
  • Technische Details (DVD)
    Video: 16:9 – 1.77:1
    Audio:
    Deutsch (Dolby Digital 5.1), English (Dolby Digital 5.1)
    Sprachen: D, GB
    Untertitel:
    D, GB,
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9 – 1.77:1
    Audio:
    Deutsch (DTS-HD 5.1), Englisch (DTS-HD 5.1)
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite zum Film
    Trailer “The Missing” – Staffel 1

Wertung: 11/15 dpt (15/15 Tchèky Karyos)

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1 Kommentar
  1. The Missing est super trepidant tout au long des 7 episodes le 8eme nous laisse sur notre faim . qu est devenu Oli???? a nous d écrire la fin qu on veut bien lui donner. (Nach deepL: “The Missing ist super spannend durch alle 7 Episoden hindurch, die 8. lässt uns hungrig zurück. Was ist aus Oli???? geworden, es liegt an uns, das Ende zu schreiben, das wir ihm geben wollen.”)

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