An einem Freitagvormittag entwickelte ich eine unbändige Lust aufs Kochen, träumte von Vietnam und lachte über den magischen Animismus: „Das Buch vom Salz“.
Wenn man einen beliebigen Menschen aus der westlichen Welt fragte, wo man die feinste Küche dieser Sphäre bekäme, lautete die Antwort wohl ziemlich häufig Paris. In Frankreich hat man das Essen und den Verzehr desselben zur Kunst gemacht. Nirgendwo wird dieser Zusammenhang seit Jahrhunderten so zelebriert wie in Paris. Kein leichtes Pflaster für einen Koch, noch dazu aus Vietnam, der Männer liebt, im Jahr 1929, im Hause von Gertrude Stein und Alice B. Toklas.
Das sind die Koordinaten, die Monique Truong ihrer Hauptfigur Bình – inspiriert vom tatsächlichen Koch des berühmten Liebespaares – mitgibt, einem Fremden in jeder Lebenslage: als Vietnamese unter Pariser*innen, ein Mann unter Frauen, ein Koch unter Intellektuellen, ein Sprachunkundiger unter Sprachfähigen – wenn auch einer mit Witz im doppelten Wortsinne: „Natürlich brauchte ich eine Weile, um dahinterzukommen, aber je länger ich blieb, desto mehr verstand ich. Alkohol, das hatte ich gelernt, war ein beredter, wenn auch ein wenig ungenauer Dolmetscher.“ (17)
Was die Literatur- und Weltgeschichte als wichtig erachtet – die Schriftstellerin Gertrude Stein, ihre Geliebte Alice B. Toklas, der Salon in Paris und dessen illustre Gästeschar – interessiert Truong, wenn überhaupt, nur am Rande. Vielmehr zeugt ihr Text von der Absicht, die Geschichte eines vermeintlichen Niemands zu erzählen, der sich nicht wirklich mitteilen kann.
So bleiben die Leser*innen in den Gedanken des Ich-Erzählers Bình; sind zum Tragischen wie Komischen gezwungen, das vor Leben strotzende Paris durch seine Augen vom Rand der Party aus wahrzunehmen. Überzeugend ahmt Truong die Sprunghaftigkeit des menschlichen Geistes nach, indem sie Gegenwart und Erinnerungen an verschiedene Zeitebenen miteinander vermischt – wohl nicht immer zum sofortigen Verständnis der Leser*innen gedacht. Bìnhs Wahrnehmung und Erinnerungen schweifen zwischen Vietnam und Paris, der Familie in Saigon und dem Liebhaber auf dem Schiff, zwischen den Wintern in der Stadt und den Sommern auf dem französischen Land hin und her, ohne chronologisch oder vollständig zu sein. Gewürzt wird dieses still melancholische Gleiten durch Bìnhs Welt mit Kochrezepten, Nächten in den Armen verschiedener Männer oder abgelauschten Liebesakten seiner beiden Herrinnen.
Am Ende bleibt „Das Buch vom Salz“ eine Geschichte über das Anderssein – ein stolzes Anderssein, das wohl auch dem emanzipatorischen Fortschritt zu Lebzeiten der Autorin geschuldet ist: „Es ist diese seltsame Mischung aus gedankenloser Nichtbeachtung und Auffälligkeit, die mich wünschen läßt [sic!], ich könnte meinen Körper auf einen geschäftigen Markt in Saigon bringen und dort im Gedränge verlieren. Dort war ich einfach ein Mann […] ein Student, ein Gärtner, ein Koch, ein Prinz, ein Gepäckträger, ein Arzt, ein Gelehrter. Aber vor allem war ich einfach ein Mensch.“ (197)
Bìhn macht keinen Hehl aus seiner Zuneigung zu Männern, wenigstens in seinem Kopf – und wenig anderes nehmen die Leser*innen wahr – ist er damit genau wie mit der lesbischen Liebe seiner Herrinnen völlig im Reinen. „Niemandes Gott kann mir erzählen, daß [sic!] daran etwas falsch ist.“ (97)
Fazit: Für ihr Debüt „Das Buch vom Salz“ wurde Monique Truong 2004 mit dem Stonewall Book Award ausgezeichnet; ein kulinarisch wie erotisch sinnliches Buch, das man niemals hungrig lesen sollte.
Cover © C. H. Beck
- Autor: Monique Truong
- Titel: Das Buch vom Salz
- Originaltitel: The Book of Salt
- Übersetzerin: Barbara Rojahn-Deyk
- Verlag: Verlag C. H. Beck
- Erschienen: 2016 (5. Auflage)
- Einband: Hardcover
- Seiten: 333
- ISBN: 978-3-406-69835-4
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