Zahlreiche hartgesottene Marvel-Fans dürften in den letzten Wochen heimlich die eine oder andere Träne in Ihr X-Men T-Shirt geschneuzt haben – Hugh Jackman verkörpert ein letztes Mal den eigenwilligen Publikumsliebling Wolverine. Böse Zungen behaupten, dass der Film nicht nur für Hugh Jackman der Abschied von Wolverine ist, sondern dass diese – meine Lieblingsfigur im Marvel-Universum – im Film den Heldentod stirbt.
Selbst wenn das so sein sollte – In Comics ist Gott sei Dank selten etwas endgültig. Nicht erst in der leider stetig schlechter werdenden Flash-Serie hat man entdeckt, wie praktisch es ist mittels eines Paralleluniversums für die Handlung benötigte Charaktere quasi wieder auferstehen zu lassen. Auch die Superheldenriege aus dem Hause Marvel wurde bereits das eine oder andere Mal vollständig dahingerafft und Dank einer omnipotenten Macht wieder zurück ins Leben geholt. Bei Old Man Wolverine sieht die Lage aber noch ein wenig düsterer aus.
Berserker mit Selbtheilungskräften und posttraumatischer Belastungsstörung
In einer anderen Realität ist es um die Welt der X-Men und Avengers, wie wir sie kennen, schlecht bestellt: Einige Superschurken haben sich zusammengerottet und konnten schließlich die Macht an sich reißen. Magneto, Dr. Doom, Red Skull, Mysterio und Bruce Banners moralisch verkommene Nachkommen sind nun die Mächtigen der Welt. Mysterio hat Wolverine mit seinen Illusionen dazu gebracht, die anderen X-Men umzubringen. Als Logan klar wird, was er getan wird, zieht er sich traumatisiert zurück, schwört jeglicher Gewalt ab, gründet eine Familie und führt ein ruhiges Leben als Farmer. Was wie eine Idylle in einer Dystopie klingt, endet dramatisch: Weil Logans Familie die Pacht nicht entrichten kann, bringen Banners Sprösslinge seine Familie um.
In einer folgenden kosmischen Katastrophe wurde das Raum-Zeit-Gefüge durcheinandergebracht (ich lasse, was in einem Roman als billige Ausrede im Stil von Deus Ex Machina gelten würde, in einer Comic-Besprechung einmal unkommentiert) und der alte Logan landet in der Gegenwart. Der Jäger in ihm erwacht und wittert die Chance, großes Unrecht zu verhindern. Old Man Logan begibt sich auf die Jagd nach denen, die in seiner “Zukunft” sein Leben und das seiner Lieben zu zerstören drohen, um ihnen zuvor zu kommen.
Hier stimmt etwas nicht
Doch schnell fällt selbst dem sturen Einzelkämpfer auf, dass einige Dinge ganz und gar nicht zu stimmen scheinen: Warum ist nicht mehr Bruce Banner der Hulk sondern Amadeus Cho? Warum gibt es einen sehr alten Captain America und einen jungen weiblichen Hawkeye in dieser “Vergangenheit”?
Der Wolverine in dieser Realität starb überraschend, als sein Körper vollständig in flüssiges Adamantium gehüllt wurde. Und der X-Man Forge errichtete ein besonderes Grabmal für den bekanntesten X-Man. Schafft Steve Rogers es schließlich, Old Man Logan zu überzeugen, dass aus dieser Realität nicht “seine Zukunft entstehen” kann und wird dieser einen Platz in dieser neuen Weltordnung finden?
Doch noch ein bisschen Wolverine?
Ich habe wirklich versucht, mich von Wolverine zu verabschieden und mit bangen Gefühlen der Verfilmung entgegengefiebert, aber dass es jetzt noch eine Hoffnung auf weitere Abenteuer mit dem Mann gibt, der einfach nur der “Beste in dem sein will, was er tut”, lässt mich sogar die spärliche Erklärung einer “kosmischen Katastrophe” hinnehmen. Natürlich ist Logan mittlerweile alt, aber er agiert erfahren und hat immer noch Biss. Wer würde sich sonst auf ein Tänzchen mit dem Hulk einlassen?
Die zahlreichen Prominenten des Marvel-Universums, die teilweise im Text erwähnt werden oder gar in Persona auftreten, machen den düsteren Comic um den charismatischen Krieger nur noch lesenswerter. Der alternde Steve Rogers mit einer speziellen Variante seines Vibranium Schildes sieht noch immer irgendwie cool aus und wirkt abgeklärt. Die junge Hawkeye kann dem alten Hasen noch nicht das Wasser reichen, zeigt aber, dass es eine neue Generation von Helden geben wird. Das Gespräch darüber, ob Wolverine denn spoilern könnte, wer DIE weibliche Thor (hört sich komisch an, oder?) ist, bringt ein wenig Witz rein, wo sonst eher ernste Töne dominieren. Der Dickkopf des beinahe Hundertjährigen trägt auch in dieser Geschichte wieder einen Gutteil zum Spannungsbogen bei, aber ich und viele seiner Fans dürften wohl nie müde werden, Wolverine für seine Gradlinigkeit und den Versuch, stets das Richtige zu tun, zu bewundern und ihn in seiner sich wiederholenden Tragik zu bemitleiden.
Etwas geknickt
Einer der wenigen Kritikpunkte am Heft ist für mich die Platzierung der seitenübergreifenden Artworks. Leider sind teilweise bildtragende Elemente so genau im Falz platziert, dass sie ohne den Rücken des dicken Heftes zu brechen nicht einsehbar sind. Das ist bei einem Preis von immerhin 13,00 € schade. Eventuell ist dieser Umstand der Tatsache geschuldet, dass es sich im Original um 4 Hefte aus März bis Juni 2016 handelte, die einzeln natürlich deutlich dünner waren und im Falz weniger Platz in Anspruch nahmen.
Die Zeichnungen an sich sind passend düster, und insbesondere Wolverines Flashbacks weisen eine ganz eigene farbgewaltige Optik auf, während die Sequenzen in der “Jetzt-Zeit” an einen Film noir erinnern.
Fazit
Alles in allem ein gelungenes wenn auch recht düsteres Heft, das Lust auf mehr macht, denn Old Man Logan 2 ist bereits angekündigt, und der aus einer anderen Welt gestrandete Mutant sucht in dieser Realität noch immer seinen Platz. Und zum Glück ist Wolverine doch nicht wirklich tot… irgendwie.
Cover © Panini/Marvel
- Autor: Jeff Lemire
- Zeichner: Andrea Sorrentino
- Titel: Old Man Logan
- Teil/Band der Reihe: 1
- Originaltitel: Old Man Logan 1-4
- Übersetzer: Jürgen Petz
- Verlag: Panini Comics (Marvel)
- Erschienen: 09/2016
- Einband: Softcover
- Seiten: 100
- ISBN: 978-3-95798-839-3
- Sonstige Informationen:
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