Auf einer kleinen Bühne in einer verqualmten Bar – vielleicht irgendwann in den 1940er Jahren – steht eine atemberaubende Frau, die ihre Lieder mal melancholisch, mal sinnlich mit rauchiger Stimme ins Mikrofon haucht und die Zuhörer gnadenlos in ihren Bann zieht… Dieses Bild beschwört Imelda May nicht erst mit ihrem neuem Album „Life Love Flesh Blood“ herauf, aber dieses Mal trifft es ganz besonders zu. Und auch wenn Imelda ihren typischen Rockabilly-Sound mit dieser Platte hinter sich lässt, um sich komplett neu zu erfinden, büßt sie nichts von ihrer Kraft und ihrem Zauber ein.
Bislang galt: Imelda May IST Rock’n’Roll. Sie verkörperte die Musik, den Stil, das Lebensgefühl wie kaum ein anderer Musiker dieses Genres. Ende April erschien nun ihr neues Album, und schon nach den vorangegangenen Single-Veröffentlichungen war klar, dass es dieses Mal anders sein wird. Weg ist die blonde Tolle, verschwunden das hautenge Kleid, passé die rockigen Töne. Stattdessen präsentiert sich die Sängerin ganz in Schwarz, mit offenem Haar und ganz neuer musikalischer Ausrichtung.
Das Album ist eine Art Befreiungsschlag für die Irin. Sie will weiterwachsen, nicht nur auf eine Schiene festgelegt sein, sondern ihren Stil erweitern, sich selbst neu erfinden – und damit letztendlich ihr Innerstes nach Außen kehren. „Life Love Flesh Blood“ beschreibt sie selbst als eine Art Tagebuch, in dem sie ein ganzes Jahr ihres Lebens verarbeitet. Ein Jahr, in dem sie viele Aufs und Abs erlebte, Trennung, Herzschmerz, Hoffnung, eine neue Liebe. Schon der Titel lässt demnach tief blicken. „Life“ steht für den autobiographischen Anteil der Songs, „Love“ für die Liebe in all ihren Facetten, die Imelda während der Zeit des Schreibens begegnet ist, „Flesh“ beschreibt das Körperliche, das Verlangen, das manchmal das Ruder übernimmt, und „Blood“ zollt ihrer Familie, dem Blut in ihren Adern, Tribut.
Imelda schlägt mit ihrem fünften Studioalbum ruhigere, reifere Töne an und lässt ihrer wundervollen Stimme viel Raum, sich zu entfalten. Der Sound ist eine harmonische Mischung aus Soul, Blues, Jazz und Gospel. Unterstützung erhält sie dabei von Jeff Beck und Jools Holland. Produziert wurde das Album von T-Bone Burnett, seines Zeichens ehemaliger Gitarrist von Bob Dylan. All diese Zutaten vereinen sich zu einem besonderen Hörgenuss, der eine sehr erwachsene und sinnliche Imelda May offenbart.
Diese Sinnlichkeit tritt insbesondere beim Song „Sixth Sense“ zutage – Imelda haucht dem Hörer den Text entgegen, die Stimme ist purer Sex. Ähnliches gilt für „How Bad Can A Good Girl Be“ und „Levitate“. Liebe und Verlangen werden nicht nur durch den Text transportiert, sondern vor allem durch Imeldas unverwechselbare Art zu singen.
Verletzlich zeigt sich die Sängerin bei „The Girl I Used To Be“. Ein sehr eindringlicher Song, der von ihrer kleinen Tochter und auch von ihr selbst und ihrem früheren Ich handelt. Der Vater des Kindes – der auch lange Zeit Gitarrist in ihrer Band war – trennte sich nach achtzehn Jahren Ehe im für das Album ausschlaggebenden Jahr von Imelda. In „Call Me“ und „Black Tears“ greift sie dieses Thema auf und verarbeitet die schwere Zeit. Auch hier schafft sie es mit ihrer Stimme mühelos, den Hörer mitfühlen zu lassen.
Ein kleines Stück der „alten“ Imelda hat es aber letztendlich doch aufs Album geschafft. „Bad Habit“ lässt ihre Rockabilly-Wurzeln zumindest noch ein wenig erahnen.
Fazit: Mit „Life Love Flesh Blood“ gelingt Imelda May der Wandel, den sie sich erhofft hat, rundum perfekt. Das Album gibt ihr die Möglichkeit, die Facetten ihrer Stimme noch besser zur Geltung zu bringen und ihre musikalischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die autobiographischen Songs gehen unter die Haut und können eingefleischte Fans sicherlich ebenso überzeugen, wie neue Hörer.
Bilder © Universal Music/Decca
- Interpret(en): Imelda May
- Titel: Life Love Flesh Blood
- Label: Decca Records
- Erschienen: 04/2017
- Spielzeit: 44 Minuten
- Sonstige Informationen:
Erwerbsmöglichkeiten
Homepage von Imelda May
- Tracklist:
- Call Me
- Black Tears (feat. Jeff Beck)
- Should’ve Been You
- Sixth Sense
- Human
- How Bad Can A Good Girl Be
- Bad Habit
- Levitate
- When It’s My Time (feat. Jools Holland)
- Leave Me Lonely
- The Girl I Used To Be
Wertung: 15/15 dpt