Eigentlich immer für Heinz-Strunk-Werke zu haben, tat sich der Verfasser dieser Zeilen doch sehr schwer damit, sich an diesen stilistischen Ausreißer im Heinzerversum zu wagen, denn im Gegensatz zu seinen mal melancholischen, mal chaotischen, aber fast immer tragikomischen Romanen sowie seinen nicht selten hart am Nonsens vorbeischliddernden Hörspektakeln ist “Der goldene Handschuh” eine erzählerische Aufarbeitung der Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka. “Nee, muss nicht!” dachte sich der Rezensent 2016, der zu der Zeit auf derart dunkle Themen überhaupt keine Lust hatte – zumal sich hier inhaltlich starker Tobak ankündigte. Doch nun war die Neugier doch zu groß.
Für die, die mit dem Namen (und dem dazugehörigen Gesicht, welches das Cover “ziert”) nichts anfangen können: In den 70er Jahren sorgten die bestialischen Morde des 1935 geborenen Leipzigers Paul Friedrich Honka, der 1951 seinen Weg in den Westen und 1954 nach Hamburg fand, für Aufsehen – spätestens als bekannt wurde, dass der Staranwalt Rolf Bossi ihn verteidigte, machte dies eine mediale Welle.
Heinz Strunk machte es sich zur Aufgabe, intensive Recherchen zu Honka anzustellen, zu seinen Morden, zum Milieu, in dem er unterwegs war, zu den Opfern und zu seiner Lebensgeschichte, die ihn durchaus nachvollziehbar zu dem kaputten Menschen machte, der er war. Heimaufenthalte, ein schwerer Verkehrsunfall in 1955 (der ihn dann entstellte), die früheren Misshandlungen und Prügeleien. Alles Dinge, die ausschlaggebend für seine Persönlichkeitsveränderungen waren. Seine unersättliche Gier nach Sex, Macht, Gewalt, Alkohol. Ein menschliches Wrack, ein eigentlich bemitleidenswerter schmächtiger Mann, dem in jungen Jahren Schlimmes widerfuhr. Und wenngleich eine Veranlagung dagewesen sein mag, so war er zu einem nicht unbedeutenden Teil auch Produkt seiner Umgebung.
Dem (Hör-)Buch seinen Namen gibt die berüchtigte Kneipe “Zum Goldenen Handschuh”, in der sich Honka und zahlreiche andere vom Leben gezeichnete, gescheiterte Existenzen aufhielten – ein Treffpunkt der “untersten Unterschicht” eben, wie im Waschzettel treffend beschrieben – und in der er letzendlich auch seine ebenfalls kaputt erscheinenden Opfer, die allesamt Gelegenheitsprostituierte waren, kennen lernte. Mit nach Hause nahm. mit Alkohol gefügig machte. Sie gefangen nahm und missbrauchte. Und sich letztendlich immer mehr in seinem rauschhaften Wahn verlor. Daraus auszubrechen versuchte und um so heftiger wieder mit allem rückfällig wurde.
Doch wer mit einer banalen Nacherzählung rechnet, rechnet falsch, denn Strunk hat aus diesen Recherchen einen erzählenden Roman konstruiert – zwar in der dritten Person erzählt, aber aus der Sicht Honkas, mit allen Gedankengängen, mit seinem immer wieder verlorenen Kampf, irgendwie wieder ein normaler, arbeitender, sich selbst beherrschender Mensch zu werden. Man wird als Leser/Zuhörer nahezu Augenzeuge dessen, was mit, um und durch Honka auf dessen Arbeit, in der Kneipe und eben hinter verschlossenen Türen geschah.
Und hier sei der Leser beziehungsweise Hörer ausdrücklich vorgewarnt, denn nirgendwo lässt Strunk ein Detail außen vor. Auch die Sprache ist entsprechend derb. Die Gespräche in der Kneipe bewegen sich auf Gossensprachenniveau, und auch der Umgangston gegenüber anderen Menschen ist nicht gerade stilvoll. Auch ist das, was in Honkas Kopf vorgeht, entsprechend roh formuliert, und auch die Beschreibungen dessen, was dieser Psychopath mit seinen gefangenen Frauen anstellte, werden präzise und ungeschönt dargestellt. All das wird zartbesaitete Gemüter unter Umständen abstoßen – aber gerade hier liegt die Faszination, denn Aussparungen und Beschönigungen hätten diesem heftig geschriebenen Roman, der er nun mal ist, in seiner bizarren Strahlkraft geschadet.
Doch wenngleich sich das Buch hauptsächlich um Fritz Honka dreht, wäre eine pure Honka-Geschichte – Zitat Strunk – “zuviel des Schlechten gewesen”, weshalb der Autor diese Rückblende mit zwei weiteren Erzählsträngen, die jedoch fiktiver Natur sind, ein wenig ausbaut. Einmal wird das Schicksal Karl Lützows beleichtet, einem Rechtsanwalt aus der Hamburger Elite – dieser ist alkoholabhängig, hasst die Menschen und führt ein Einsiedlerleben. Und er hasst sich selbst und kanalisiert diese negative Energie in sexuellen Eskapaden der dominanten Art. Und zum anderen wäre da noch der stark unter Akne leidende Wilhelm Heinrich von Dohren, der ein wenig zu viel männliche Bedürfnisse hat. Und auch bei diesen beiden Außenseitern der Gesellschaft weiß man nie, wie lange alles noch gut gehen mag.
Strunk taucht mit diesem Werk ab in die abgründigsten Abgründe der kaputtesten Form der menschlichen Psyche, ungefiltert und heftig, ohne dass man das Gefühl haben muss, dass es in voyeuristische Bahnen abgleitet. Nicht selten, eigentlich ständig, läuft es dem Hörer kalt den Rücken runter. Dass der Autor als Sprecher nicht nur seine tragikomischen Werke brillant vorzutragen weiß,sondern auch dieses atmosphärisch komplett andersartige Druckwerk mit einem ganz eigenen Ton in Hörform konvertiert, überrascht allerdings. Aber einen ähnlichen Effekt kennt man beispielsweise von Christoph Maria Herbst, den man eher von unterhaltsamen Hörbüchern kennt, der aber mit Zoran Drvenkars Thriller “Still” ebenfalls bewies, dass er auch ganz, ganz anders kann.
Cover © ROOF music/tacheles!
- Autor: Heinz Strunk
- Titel: Der goldene Handschuh
- Label: ROOF music/tacheles!
- Erschienen: 2016
- Sprecher: Heinz Strunk
- Spielzeit: 371 Minuten auf 5 CDs
- ISBN: 978-3-86484-331-0
- Sonstige Informationen:
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Die Buchversion erschien bei rowohlt (Produktlink).
Am 04.08.2017 erscheint “Der Goldene Handschuh” auch als Hörspiel (Produktlink).
Wertung: 12/15 dpt