Heiko Werning – Vom Wedding verweht (Buch)

Heiko Werning - Vom Wedding verweht - Cover © Edition TiamatWomöglich muss man gewisse Voraussetzungen erfüllen, um von den Erzählungen Heiko Wernings rückhaltlos begeistert zu sein. Die notwendige Voraussetzung: Freude an der Lakonie. An einem Humor, der die Pointe nicht erfinden muss, sondern aus der genauen Alltags- und Milieubeachtung speist, aus dem reinen Beschreiben. Ein Beschreiben, das gleichzeitig genau und beiläufig ist, handwerklich präzise und bewusst geschludert, eine Verkörperung des „show, don’t tell“-Prinzips in Reinform. Punkrock, aber nicht der dilettantische, sondern der, der auf Basis echter Fertigkeiten die Freiheit genießt, sich die Schienenbeine am auf die Bühne stürmenden Stagediver zu stoßen und dabei ins Straucheln zu kommen. Angefüllt mit Milieu, mit dem alltäglichen Leben des Autors in der gegebenen Kulisse, mit der Gleichsetzung von Autor und Erzähler, nannte man das einmal Social Beat und darf es gerne immer noch so nennen. Ein Stil für Menschen, die wissen, aus welcher literarischen Quelle Hot Water Music ihren Bandnamen haben. Soviel zur notwendigen Voraussetzung.

Die hinreichende Voraussetzung, um Wernings Weddinger Episoden zu lieben, ist die eigene Kenntnis der Örtlichkeiten und der sie bevölkernden Menschen. Für den schwäbischen Dorfbewohner oder den Einheimischen aus einem pittoresken Örtchen an der Obermosel ist der unzähmbare Berliner Stadtteil mit seinen Spielhallen, Spätkaufs und Obdachlosen, seinen Frittenschmieden, Dönerbuden und Jungmännerrudeln, seinen Hinterhöfen und maroden Mietruinen ein einziges Pandemonium, ein Fegefeuer auf Erden. Der Schriftsteller, Urkiezbewohner und Familienvater Werning schafft es, diesen Moloch so zu beschreiben, dass er nichts beschönigt und ihm zugleich humor- und liebevoll zugewandt zu bleiben. Diese Haltung mag jeden befremden, der den Kiez allenfalls mal kurz als Freiluftmuseum der Parallelgesellschaft besucht. Als paradoxes Gefühl verständlich wird es jedem, der dort selbst einmal gelebt oder zumindest viel Zeit verbracht hat. Daran, dass der Wedding als soziales Biotop so bleibt, wie er ist, beteiligt sich Werning als Erzähler und Hauptfigur sogar aktiv, indem er Touristen bei einer Stadtviertelführung amüsant verschreckt. In einer anderen Geschichte zieht er die nach Klischees geifernden Journalisten durch den Kakao, die ihn bei einem Porträt für die Zeitung alle ausnahmslos bitten, ganz lässig mit einer Schale Pommes zu posieren.  

Ach ja, eine dritte Voraussetzung, um das Maximale aus Wernings Geschichten zu ziehen, gäbe es auch noch: Selbst Kinder haben. Denn das Salz in der Suppe bilden die Anekdoten, in denen sich der süffisant abgeklärte Herr Papa mit dem Irrsinn stundenlanger Debatten an Elternabenden herumschlagen muss oder die wirklich coole Lehrerin den Nachwuchs bittet, sich die von ihm so gern genutzten Begriffe „Fick dich“, „Hurensohn“ und „pervers“ doch bitte daheim von den Eltern erklären zu lassen. Hier lässt sich dann lernen, wie eine lässige, aber nicht nachlässige Erziehung aussehen kann.

Cover © Edition Tiamat

Wertung: 12/15 dpt

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