Mit “Class” wagte der britische Sender BBC 2016 die Produktion eines weiteren Ablegers der 1963 gestarteten und nach einer langen Pause 2005 neu aufgelegten Kultserie Doctor Who, welche es ihrerseits bislang auf insgesamt 36 Staffeln gebracht hat. Während einer der populäreren Ableger, das eingestellte The Sarah Jane Adventures, eher Familienfernsehen war, bediente das ebenfalls eingestellte Torchwood eher die Young Adult-Zielgruppe und scheute auch nicht vor Sex und einem höhren Gewaltlevel zurück.
Eine junge Serie für Junge und Junggebliebene
“Class” wiederum ist eine Serie, die die jugendliche Zielgruppe fokussiert, und es wird auch kein Hehl daraus gemacht, dass Jugendbuchreihen wie “Die Tribute von Panem” oder die Serie “Buffy” als Inspiration dienten. Gut, dass diese Vergleiche aus dem Inneren kommen, denn hätte man sie außenstehend geäußert, klängen sie billig. Doch die erste, acht Episoden lange Staffel, geschrieben von Autor Patrick Ness und unter anderem produziert von Steven Moffat (“Doctor Who”, “Sherlock”), ist beileibe kein scififizierter Abklatsch und atmet seinen ganz eigenen Spirit. Wer also bei den genannten Titeln zusammenzucken oder mit den Augen rollen musste, darf beruhigt sein.
Hauptlocation dieser Serie ist die aus dem Whoniverse wohlbekannte fiktive Coal Hill Academy im Londoner East End – nicht nur in den Classic Who-Sendungen war sie oftmals die Schule beziehungsweise der Arbeitsplatz diverser wichtiger Figuren, denn auch Clara Oswald (Jenna Coleman), die Companion des elften und des zwölften Doktors (Matt Smith/Peter Capaldi) war, war einige Zeit Lehrerin dort. Doch langsam wird es etwas gefährlich in dieser Institution, denn die Wände von Raum und Zeit sehr rissig geworden, da die zahlreichen Reisen des Doktors durch die Zeit dem Gefüge nicht allzu gut taten. Im Grunde trägt der Doktor also die Schuld an diesem Zustand und müsste allzeit dort präsent sein – doch wie soll das funktionieren, wenn an anderen Orten und in anderen Zeiten der Teufel los ist? Gerade jetzt, wo an der Schule monströse Kreaturen von einem anderen Planeten durch einen dieser Risse in Raum und Zeit die Erde in den Schatten führen wollen?
Die Shadow Kin finden ihren Weg durch einen Riss in Raum und Zeit
Die Schüler und Mitarbeiter an der Coal Hill haben durchaus mit ihren eigenen Schicksalen zu kämpfen. Mit ihrer sexuellen Orientierung, mit Sex allgemein, mit der Liebe, mit dem Tod sehr nahe stehender Menschen, mit den psychischen und physischen Problemen der Menschen aus ihrem Umfeld, mit sportlichem Drill – und nun werden sie obendrein vom Doktor mit der Aufgabe betraut, für Sicherheit zu sorgen. Auch der Außenseiter Charlie Smith (Greg Austin, unter anderem bekannt aus Mr Selfridge), ein viel zu vornehmer und anständiger Schüler soll hierbei helfen, ebenso die sonderbare Lehrerin Miss Quill (Katherine Kelly, ebenfalls bekannt aus Mr Selfridge). Was die Schüler Ram Singh (Fady Elsayed), April (Sophie Hopkins) und Tanya (Vivian Oparah) zu Anfang noch nicht wissen: Sowohl Miss Quill als auch Charlie sind nicht von diesem Planeten. Charlie ist ein äußerst bedeutsamer Prinz auf dem Planeten der Rhodianer – der letzte seiner Art – und ist Miss Quill, die eigentlich den Quill angehört, die einst die Todfeinde der Rhodianer waren, ganz im Gegensatz zum schulischen Alltag – übergeordnet. Zu allem Überfluss muss sich die Schülerin April durch eine Begegnung mit Corakinus, dem König der Shadow Kin, mit ebendiesem das Herz teilen – wird er getötet, muss auch sie sterben und umgekehrt.
Eine weitere Parabel im Whoniverse …
Liest sich aufregend und ist es auch – denn die neue Aufgabe und die altbewährten eigenen Angelegenheiten unter einen Hut zu bringen, fällt niemandem leicht – nicht zuletzt deswegen, weil die Bedrohung der Shadow Kin auch vor dem privaten Leben der Protagonisten keinen Halt macht.
Wie eigentlich so gut wie jede Produktion aus dem Doctor Who-Universum ein bisschen “over the top” ist und einen Mix aus Drama, SciFi, Comedy und etwas Trash zu jeweils unterschiedlichen Anteilen bietet, so verhält es sich auch mit Class, und auch diese Serie hält der Gesellschaft ein ums andere Mal den Spiegel vor. Es wird sehr feinfühlig auf die Gefühls- und Sozialwelt junger Menschen eingegangen, und wie in Torchwood wird Homosexualität (Charlie und Matteusz) hier angenehm selbstverständlich miteinbezogen, ohne Plakativität, ohne “positive Diskriminierung”. Letztendlich ist “Class” eine weitere Serie aus dem Franchise, die man als cineastische Parabel einordnen kann, mit all ihren Parallelen zur Realität.
… mit den üblichen Kinderkrankheiten?
Sicherlich ist in dieser ersten Staffel abgesehen von einigen ungeklärten Dingen (die berühmten offen liegen gelassenen Fäden) noch nicht alles rund, und hier und dort muss man wohl noch etwas nachjustieren – und mit der vorletzten Folge “Ein Metaphysischer Ausflug” meint man es etwas zu gut mit allem -, aber wenn man die Anfänge der NewWho-Reihe sowie die Anfänge Torchwoods Revue passieren lässt, wird man genau dieselben Kinderkrankheiten feststellen. Serien aus dem Whoniverse brauchen immer etwas Eingewöhnungszeit. Auch bei manchen CGI-Effekten muss man gelegentlich schmunzeln – wobei gesagt werden muss, dass diese hier auf einem deutlich höheren “Einstiegslevel” angesiedelt sind. Wer die nabelschnurartigen Verbindungen Totgeglaubter, die im Laufe der Staffel auftauchen, sieht, wird feststellen, dass diese in Hollywood-Produktionen auch nicht besser dargestellt werden würden.
Sehr stark ist die Besetzung der Serie und die Authentizität der dargestellten Charaktere (gerade Miss Quill ist mit ihren flapsigen Kommentaren immer für einen herzhaften Lacher gut), und selbst die zahlreichen Nebendarsteller wirken niemals wie zweite Wahl. Die deutsche Synchronisation ist eigentlich bei den meisten Serien gut und mindestens halbwegs passend, so auch hier – aber bei “Class” muss man auch die Übersetzung loben, denn man hat sich sehr viel Mühe gegeben, den britischen Wortwitz ins Deutsche zu transportieren – gerade wenn man sich die “Deleted Scenes” (insgesamt rund 32 Minuten!) ansieht, fällt dies auf.
Man darf also gespannt sein, wohin sich “Class” in Zukunft – eine zweite Staffel ist laut aktuellem Stand sehr wahrscheinlich – entwickeln wird. Das Rehkitz wackelt ab und zu noch ein wenig mit den Beinchen, doch der Rezensent ist voller Hoffnung. Ein vielversprechender Auftakt!
Cover & Pics © polyband
- Titel: Class
- Originaltitel: Class
- Staffel: 1
- Episoden: 8
- Produktionsland und -jahr: GB, 2016
- Genre:
Science Fiction, Drama, Comedy, Action
- Erschienen: 24.05.2016
- Label: polyband
- Spielzeit:
ca. 360 Minuten auf 3 DVDs bzw. 2 Blu-rays - Darsteller:
Greg Austin
Fady Elsayed
Sophie Hopkins
Vivian Oparah
Katherine Kelly
Peter Capaldi
Jordan Renzo
Paul Marc Davis
Pooky Quesnel
Shannon Murray
Aaron Neil
Natasha Gordon
Nigel Betts
Con O’Neill
Anna Shaffer
- Regie: Edward Bazalgette
- Drehbuch: Patrick Ness
- Produktion: u.a. Steven Moffat
- Extras:
Making of
Deleted Scenes
Outtakes
Trailer
Teaser
- Technische Details (DVD)
- Technische Details (Blu-Ray)
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite BD
Produktseite DVD
Wertung: 12/15 dpt