Story:
Nach einer ausufernden Party mehrerer Jugendlicher in einem leerstehenden Luxusappartment ist die 17-jährige Christina Chorley tot und die Tochter von Lady Tyburn eine der Hauptverdächtigen, hat sie doch die Drogen besorgt, an denen das Mädchen gestorben ist. Peter Grant, junger Police Officer und einziger Zauberlehrling des Folly wird zu den Ermittlungen hinzugezogen und steht schon bald vor einigen Rätseln und Problemen – wer verschaffte den Jugendlichen Zutritt? Wie kamen sie an die tödlichen Drogen? Und wie soll er Lady Tys Bitte erfüllen, ihre Tochter Olivia aus den Ermittlungen herauszuhalten? Als wäre das nicht genug, tauchen plötzlich begehrte magische Objekte auf eBay auf und werden dem Folly parallel von Reynard Fossman angeboten. Und plötzlich ist jeder hinter einem wertvollen Buch her, das niemand geringerem gestohlen wurde als dem Gesichtslosen …
Eigene Meinung:
Mit „Der Galgen von Tyburn“ gehen die Abenteuer von Peter Grant in die sechste Runde. Die erfolgreiche Urban-Fantasy-Krimi-Reihe von Ben Aaronovitch entführt den Leser einmal mehr ins heutige London und wartet mit einer gelungenen Mischung aus Action, Spannung und Humor auf. Die Reihe wurde im englischen Sprachraum um mehrere Comics erweitert, die Side-Abenteuer der Figuren erzählen und ist noch nicht abgeschlossen. Auf Band 7 muss der Leser noch etwas warten – dtv wird jedoch im Sommer 2018 den Kurzroman „The Furthest Station“ auf Deutsch herausbringen, der zeitlich zwischen Band 5 und 6 spielt.
Nachdem der schwarze Police Officer und Zauberlehrling Peter Grant bereits etliche seltsame Fälle gelöst und dem Gesichtslosen mehr als einmal knapp entkommen ist, darf er sich dieses Mal mit mehreren Problemen herumschlagen, die aufeinander zulaufen, alte Fälle aufgreifen oder zumindest darauf verweisen und endlich die Haupthandlung um ihren großen Widersacher vorantreiben. So können sich die Leser auf die lang erwartete Enthüllung des Gesichtslosen freuen, ebenso werden etliche Fragen beantwortet (gleichermaßen jedoch auch aufgeworfen). Die Geschichte ist spannend und sorgt dank zahlreicher Wendungen dafür, dass man das Buch nur schwer aus der Hand legen kann – Ben Aaronovitch vermag es ungemein zu fesseln und mit Witz und Charme den Krimi voranzutreiben. Dabei fällt einmal mehr seine Liebe zum Detail auf – sei es hinsichtlich der polizeilichen Ermittlungen, den architektonischen Finessen Londons oder den Beschreibungen der Magie – der Autor weiß, wie er die Handlung spannend in Szene setzt. Man fühlt sich nach London versetzt, hastet mit Peter Grant durch die Straßen und ist immer hautnah am Geschehen vorbei.
Ein großer Pluspunkt sind die bunten, lebendigen Figuren, die man in dieser Form in nahezu keinem Roman wiederfindet. Ben Aaronovitch baut selbstverständlich farbige und queere (lesbische, schwule und transsexuelle) Helden ein und scheut sich nicht mit Sahra Guleed eine muslimische Polizistin an Peters Seite zu setzen. All das geschieht so vorurteilsfrei und natürlich, dass sich nahezu alle Autoren, die die üblichen weißen Stereotypen in ihre Romane einbauen, eine Scheibe abschneiden könnten. Es ist wunderbar, dass es Bücher wie „Die Flüsse von London“ gibt, die die klassischen Konventionen durchbrechen und endlich etwas Neues wagen – es ist schade, dass es davon nicht mehr gibt.
Fans der Reihe begegnen bekannten Gesichtern wieder und können sich auf neue Charaktere freuen, die Abwechslung bieten und neue Fragen aufwerfen. Die Figuren wirken authentisch und handeln in sich schlüssig, nehmen sich selbst nicht ernst und sind einfach nur sympathisch.
Stilistisch legt der Autor gewohnt solide, charmante und gut geschriebene Kost vor. Er hat einen tollen Schreibstil, gestochen scharfe und amüsante Dialoge und ein Faible für ausufernde, detailverliebte Beschreibungen. Allein seine Einblicke in die Arbeitsweise der Polizei ist toll und zeugt von einem fundierten Grundwissen. Zudem finden sich Hints zu bekannten Serien (u.a. „Doctor Who“, für das Ben Aaronovitch als Drehbuchautor tätig ist) und Büchern, was „Die Flüsse von London“ ebenfalls aus der breiten Masse hervorhebt. Man folgt dem ungewöhnlichen Helden gerne, schmunzelt über seine Gedanken und fiebert bei seinen Kämpfen mit dem Gesichtslosen mit, der zum Ende hin endlich einen Namen bekommt.
Fazit:
„Der Galgen von Tyburn“ setzt die Urban Fantasy-Reihe auf grandiose Weise fort und liefert endlich Antworten zum Gesichtslosen. Ben Aaronovitch treibt die Rahmenhandlung spürbar voran und sorgt für spannende, atemlose Unterhaltung. Der 6 Teil um Peter Grant ist ein wahrer Page-Turner, der den Leser sehnsüchtig auf die Fortsetzung warten lässt – hoffentlich muss man nicht wieder über ein Jahr auf den 7. Band warten. Fans der Reihe unbedingt zu empfehlen, Neueinsteiger sollten mit Band 1 – „Die Flüsse von London“ beginnen, da die Geschichten aufeinander aufbauen.
Cover © dtv
- Autor: Ben Aaronovitch
- Titel: Der Galgen von Tyburn
- Originaltitel: The Hanging Tree
- Übersetzer: Christine Blum
- Verlag: dtv
- Erschienen: 05/2017
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 416
- ISBN: 978-3-423-21668-5
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 14/15 dpt
Ich habe das Buch sehr genossen, es ist wie die meisten seiner Vorgänger aus dieser Reihe unterhaltsam, spannend und mit flottem Tempo geschrieben. Allerdings regt mich nun vermehrt eine Sache auf, die mich einige Male das Buch hilflos zuklappen und in die Ecke pfeffern ließ, bevor ich einige Tage später weiterlas: Die absolute Unfähigkeit der Falcon-Abteilung der MET!
ACHTUNG SPOILER:
Ich kann die Male kaum zählen, die Grant und der trotz seiner 90 Jahre Magieerfahrung den Gesichtslosen in Sachen Kampfexpertise erschreckend wenig überragenden Nightingale mit Verdächtigen konfrontiert werden und nicht in der Lage sind, diese festzunehmen oder sie wenigstens an der Flucht zu hindern. Beispiel: Grant und seine Kollegin Guleed bringen Lesley May in ihre Gewalt und schaffen es wiederholt nicht, die als nicht allzu kräftig beschriebene, mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzte May an Ort und Stelle zu halten. Stattdessen flieht sie mit Martin Chorley und die MET hat nebst höchsten Sachschäden erneut keinen Erfolg vorzuweisen. Des Weiteren scheint sich das Magierepertoire des Protagonisten seit dem zweiten Buch nur wenig erweitert zu haben, hören wir doch immer wieder die gleichen zwei lateinischen Begriffe, auf die Grant zurückgreift. Als Lehrling ist er, wenn ich den Zeitstrahl richtig im Kopf habe, gerade in seinem dritten Jahr und hat somit seine Ausbildung zur Hälfte abgeschlossen. Ein wenig mehr Magie statt architektonischem Geschwafel von Spätviktorianisch bis hin zu Tudorstil oder Vorurteilen anhand der Redensweise von Verdächtigen (eindeutiger Oberschichtakzent) wäre mir lieber.