Matthias Schweighöfers aktuelles Thrillerdrama bringt einen im Leben weiter – wenn man Drehbuchautor in Deutschland werden will.
Handwerkliche Prinzipien in der Kunst gelten niemals für alle Zeiten und schon gar nicht für alle Orte auf Erden. Das wird niemand bestreiten. Vom Amerikaner lernen wir in Sachen Drehbuch und Drama zum Beispiel Prinzipien wie diese: Frage dich bei jedem Schritt deiner Figur: Würde er das tun? Würde sie das tun? „You Are Wanted“ beantwortet diese Frage konsequent mit „nein, aber wir lassen die Charaktere jetzt trotzdem mal so handeln!“ So lernt das Publikum eine Kriminalbeamtin (Catrin Striebeck) kennen, die mit griesgrämigem Blick Kette raucht und zwischen zwei Fluppen hastig an ihrem Asthmagerät zieht. Ihr junger Kollege (Edin Hasanovic) ist eine Ausgeburt der Blödheit, so selbstverliebt wie ein DSDS-Vorrunden-Ausscheider mit Handspiegel und zugleich verflucht mit dem Reflexionsvermögen einer Scheibe Graubrot vom Discounter. Das Protagonisten-Ehepaar Lukas und Hanna Franke (Schweighöfer und Alexandra Maria Lara) lässt seinen kleinen Sohn alleine mit dem Tablet spielen oder in der größtmöglichen Menschenmenge außer Acht – zu einem Zeitpunkt, als die beiden längst wissen, dass sie von einem bösartigen Hacker erpresst werden.
Ein Team „guter“ Hacker, das sie um Hilfe ersuchen, hockt in einer alten Industrieruine und folgt einem lächerlichen Kodex, der mit echten Hackern so viel zu tun hat wie Andreas Gabalier mit echtem Rock’n’Roll. Hanna Franke arbeitet in einer hippen Berlin-Mitte-Agentur, von der in keiner Sekunde ersichtlich wird, womit dort eigentlich Geld verdient wird. Die Haupttätigkeit scheint darin zu bestehen, zwischen schicken, unverputzten Mauern am Rechner zu sitzen und von Frau zu Frau ein Zeug zu quatschen, wie es Werbespots von Sixx für die „Chicks“ von heute vorsehen. Die als rätselhafte Bikerbraut kolossal fehlbesetzte Karoline Herfurth versteckt sich mit ihrem autistischen Bruder auf dem Dach eines verfallenen, historischen Gebäudes in Berlin. In Berlin gibt es sowieso grundsätzlich nur Dächer. Besetzte Dächer, bepflanzte Dächer, mit alten Möbeln zugestellte Dächer. Man hat schon überlegt, bei kommenden Bauvorhaben mit günstigem Wohnraum für Hipster und Slacker die Stockwerke gleich wegzulassen und einfach Dächer auf Stelzen zu errichten, von denen aus man mit einer aufgewärmten Dose Ravioli versonnen über die Stadt schauen kann.
Wichtig dabei ist, während des versonnen Schauens mit seinem Gegenüber so vernuschelt und bassfrei zu sprechen, dass Außenstehende vom Dialog allenfalls nur 15 Prozent verstehen. Dies ist offensichtlich eine weitere Regel erfolgreichen Drehbuschreibens in Deutschland neben der, die Charaktere absichtlich weit unter oder weit neben ihrem realistischen Niveau und Verhalten handeln zu lassen: Das Publikum darf akustisch nichts verstehen, das transportiert Bedeutsamkeit.
„You Are Wanted“ ist ein wahres Schatzkästchen dieser ungeschriebenen Gesetze. Man lernt, wie man zu schreiben hat, damit in Deutschland die Filmförderung und das Product Placement fließen. Hier also zehn weitere, aus der Betrachtung dieser Serie erschlossene, ungeschriebene Gesetze fürs Drehbuchschreiben in Deutschland.
Erstens: Keine Figur darf wirklich rundum sympathisch oder nachvollziehbar sein. Zweitens: Ein Treffen in einem nicht näher erklärten, sich aus der Handlung nicht erschließenden Raum mit hundert nebeneinander hängenden Waschbecken geht immer. Hundert Waschbecken sind numinos und gehaltvoll. Drittens: Für den Plot unwichtiges, beiläufig geäußertes Bashing übergewichtiger Menschen geht auch immer. Viertens: Alle müssen rauchen. Oder wegen der Belastung wieder damit anfangen. Fünftens: Besetze als einzige Beamtin mit klarem Kopf eine sehr dunkle, farbige Darstellerin und leuchte sie dann so aus, dass man im Grunde nur ihre Augen und ihre tatsächlich wie symbolisch weiße Weste im Halbschatten sieht. Sechstens: Wenn du zeigen willst, dass jemand gnadenlos ruiniert wird, lass den Geldautomaten seine EC-Karte einbehalten, obwohl das kein Automat dieser Welt bei leerem Konto macht. Siebtens: Wenn du zeigen willst, dass einer nur für seine Arbeit lebt, lass ihn Red Bull trinken. Nicht Monster, Relentless oder das Gesöff von Lidl, denn die zahlen nicht so gut. Achtens: Berlin wird entweder als touristisches Ausflugsziel oder als Cyberpunk-artiger Slum dargestellt. Zwischentöne sind verboten. Neuntens: Ja, natürlich wirft die deutsche Polizei Blendgranaten in ein Eigenheim, von dem sie weiß, dass sich darin lediglich Frau und Kind des mutmaßlichen Bösewichts befinden. Zehntens: Nein, Frau und Kind werden davon nicht traumatisiert und verklagen die Beamten auch nicht im Nachhinein. Ach komm, einen elften setzen wir noch drauf: Ja, natürlich darf man heutzutage ein Filmcover mit Holzhammersymbolik machen, das aussieht wie aus den Sechzigerjahren.
Das liest sich alles nicht so, als ob der Autor dieser Zeilen Matthias Schweighöfer grundsätzlich respektieren würde. Doch genau das ist der Fall! Die vor allem unter Männern verbreitete Pflicht, den Schauspieler, Produzenten, Autoren und Sänger grundsätzlich zu dissen, ist eine würdelose Neidgeburt. Schweighöfers Komödien sind nahezu allesamt weit besser als ihr Ruf, das letztjährige Vergänglichkeitskomödiendrama „Der geilste Tag“ aus der Feder seines Homie Florian David Fitz ist wirklich berührendes Kino und mit „Weil sie böse sind“ verdanken wir Schweighöfer als Hauptdarsteller eine der besten Tatortfolgen überhaupt, einen Film von so kolossaler Klasse und Intensität, dass man ihn selbst als Tatorthasser goutieren kann. „You Are Wanted“ hingegen stellt jedem, der sich was aus der Glaubwürdigkeit von Figuren und Motiven macht, unter den Klamotten die Schamhaare auf. Und hat Erfolg: Die zweite Staffel ist in trockenen Tüchern, die erste via Amazon Prime in rund 200 Ländern zu sehen. Auf dass auch italienische, japanische oder kanadische Autoren, die nach Berlin auswandern wollen, schonmal lernen können, dass sie sich die Mühe, beim Schreiben Klischees zu umgehen und Unsinn zu meiden, für deutsche Produktionen einfach sparen können. Da bleibt mehr Zeit für das versonnene Raviolilöffeln auf dem Dach.
Cover © Amazon
Szenenfotos © Warner Bros.
- Titel: You Are Wanted (1.Staffel)
- Produktionsland und -jahr: Deutschland, 2016
- Genre: Thriller
- Erschienen: 17.03.2017
- Label: Pantaleon / Warner
- Spielzeit: 277 Minuten in 6 Folgen
- Darsteller:
Matthias Schweighöfer
Alexandra Maria Lara
Karoline Herfurth
Tom Beck
Catrin Striebeck
Edin Hasanovic
Louis Hofmann
Lucie Aron
- Regie:
Matthias Schweighöfer
Bernhard Jasper
- Drehbuch:
Richard Kropf
Hanno Hackfort
Christoph Bob Konrad
- Kamera: Bernhard Jasper
- Schnitt:
Sebastian Bonde
Andreas Menn - Musik:
Josef Bach.
Arne Schumann - Extras:
Behind the Scenes (sagenhafte 2 Minuten) - FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Exklusiv auf Amazon Prime
5/15pt
Sehr vergnügliche Lektüre 🙂 Hab die Serie noch nicht gesehen, werde es aber jetzt erst recht tun. Schon um mich an den Klischees zu weiden. Die gehn immer .