Der Polizist Joe O’Brien ist ein geachteter Mensch in der irischen Gesellschaft in Charlestown in Boston. Er hat eine Frau, vier erwachsene Kinder und einen Job bei der Stadt. In ein paar Jahren will er in Rente gehen und das Leben mit seiner Frau Rosie genießen. Doch irgendwas stimmt nicht mit ihm. Er merkt selbst, dass seine Stimmung unausgeglichener wird, und ständig zuckt irgendein Körperteil. Als er schließlich zum Arzt geht, erfährt er seine Diagnose: Huntington-Krankheit. Eine Erbkrankheit. Wer das Gen hat, erkrankt auf jeden Fall, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% hat er es an jedes seiner Kinder weitervererbt. Besonders seine jüngste Tochter Katie kann nicht fassen, was ihrer Familie da zustößt.
Wie auch in ihrem anderen Buch über eine neurodegenerative Erkrankung „Still Alice“ (der mit Juliane Moore in der Hauptrolle verfilmt wurde) beschreibt die Autorin hier aus der Erzählperspektive eines erkrankten Menschen. Der Leser begibt sich gemeinsam mit Joe durch seinen Alltag, leidet seine Sorgen und spürt wie seine Krankheit langsam deutliche Zeichen hinterlässt.
Schon auf der ersten Seite beschreibt die Autorin den Verlauf der Huntington-Krankheit und die niederschmetternde Prognose, dass es keine heilende Therapie gibt. Chorea Huntington führt innerhalb von ungefähr 10 Jahren zum Tod. Innerhalb dieser zehn Jahre entwickeln sich die Menschen zu Pflegefällen. Sie können weder gehen noch sprechen, sind aber die ganze Zeit bei klarem Bewusstsein. Bis heute ist es nicht gelungen, eine Therapie zu finden, obwohl es einige (vielversprechende) Studien gibt. Um das Interesse großer Pharmafirmen zu wecken, ist die Erkrankung jedoch zu unbekannt und zu wenige Menschen leiden unter ihr.
Dadurch ist die Stimmung des Buches ab der ersten Seite gedrückt. Trotzdem schafft es die Autorin, die Geschehnisse in der Familie und die persönlichen Probleme ihrer Mitglieder mit unglaublicher Leichtigkeit und Humor zu beschreiben.
Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Der erste und der dritte Teil wird aus der Sicht von Joe erzählt. Der zweite und vierte Teil erzählt, wie Katie O’Brien seine jüngste Tochter mit der Diagnose ihres Vaters umgeht und inwieweit es ihr Leben beeinflussen wird. Mehr noch als ihre drei Geschwister steht sie in ihrem Leben an einem Wendepunkt. Die Yoga-Lehrerinnen-Ausbildung abgeschlossen, aber in Jamestown ist kein Raum für ein weiteres Yogastudio. Außerdem hat sie einen neuen Freund – wie wird sich ihre Beziehung zu ihm verändern? Lisa Genova beschreibt einfühlsam und ohne zu urteilen über die vier verschiedenen Lebensentwürfe der Geschwister. Natürlich beschreibt sie nur mögliche Handlungsweisen, aber die Handlungen und Gedanken ihrer Figuren wirken immer authentisch.
Lisa Genova weiß, worüber sie schreibt. Als Neuropsychologin kennt sie sich natürlich umfassend mit den Themen ihrer Bücher aus und meistert es zum einen, komplizierte Erkrankungen anschaulich darzustellen. Auf der anderen Seite gibt sie der Krankheit eine breite Öffentlichkeit und macht das Leiden durch Joe O’Brien fassbar. Darüber hinaus beschreibt sie nicht nur, wie es ihm ergeht und mit welchen Einschränkungen er im Alltag zu kämpfen hat, sondern auch, wie seine Familie damit umgeht. Seine Frau, die irgendwann am Rand eines Nervenzusammenbruchs steht, weil sie einfach nicht mehr weiter weiß und all seine Kinder, die mit der Ungewissheit leben, Huntington zu haben oder nicht. Dafür hat sie mit vielen verschiedenen erkrankten Menschen geredet, eine Yoga-Ausbildung absolviert wie Katie oder sich mit Polizisten wie Joe unterhalten.
Das Buch ist berührend, und trotzdem gelingt es, dabei nicht kitschig zu sein. Jede Emotion, die beschrieben wird, Wut, Eifersucht und auch Akzeptanz der Krankheit, wirken authentisch und für den Leser nachvollziehbar. Vielleicht ist es zwischendurch etwas langatmig und es wiederholt sich an einigen Stellen. Darüber hinaus fallen Ähnlichkeiten zur Handlung von Sill Alice auf. Dennoch ist ein Buch, welches nicht so schnell beiseite gelegt werden wird. Zu spannend ist die Frage, wie es mit Joe und Katie und dem Rest ihrer Familie ausgehen wird.
Cover © Bastei Lübbe
- Autor: Lisa Genova
- Titel: Ein guter Tag zum Leben
- Originaltitel: Inside the O’Briens
- Übersetzer: Veronika Dünninger
- Verlag: Bastei Lübbe
- Erschienen: 01/2016
- Einband: Paperback
- Seiten: 412 Seiten
- ISBN: 978-3-7857-2547-4
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeiten auch als E-Book und Hörbuch erhältlich
Homepage der Autorin und Homepage der Deutschen Huntington Hilfe
Wertung: 11/15 dpt