Books and the City #8 – Von Anspruch und Wirklichkeit

Books & The City Logo © booknerds.deDie Literatur, die Großstadt – das gehört zusammen, und zwar nicht erst seit Fotos von Buch und Kaffeekunst zu den beliebtesten Motiven auf Instagram gehören: Eine Geschichte aus der Weltstadt, von ihren Menschen und Büchern.

Ich muss gestehen, ich bin der Buch- und Literaturblogger*innenszene nicht eng verbunden. Nur hin und wieder sehe ich ein Wetterleuchten: ein Streit über U- und E-Literatur, eine Debatte über das Selbstverständnis der Blogger*innen, Fragen von Vermarktung und Professionalisierung. Es gibt mehr als die Elfen-Schmetterlings-Pastellblüten-Drachen-Fraktion. Toll, denke ich und komme nicht umhin, mich zu fragen: Warum werden Literaturblogger*innen und ihre Texte so wenig ernst genommen?

Keine Sorge, ich breche nicht in die alte Klage vom klassischen Feuilleton aus, obwohl das zu beschreibende Problem dabei eine nicht geringe Rolle spielt. Mir geht es um die Blogger*innen und ihre vermeintlich natürlichen Verbündeten, die Verlage.

Dieser Tage pilgerten die Literati, professionelle, halbprofessionelle, solche, die professionell werden wollen oder es schon sind, nach Leipzig, literarische Großstadt und freigeistige Diaspora im sonst so „urgemütlichen“ Sachsen. In Vorbereitung der Buchmesse und der Veröffentlichung des ersten Buches von Brandon Sanderson, „Schatten über Elantel“ bei Piper Fantasy lud der Verlag interessierte Blogger*innen zu einem Meet-and-Greet mit dem Autor ein. Eine gute Gelegenheit, den Kolleg*innen beim Arbeiten zuzuschauen, auf dass sich der Schleier vor dem Geheimnis lüfte.
Erste Irritation gleich zu Beginn: Die Verlagsmitarbeiterin erläuterte den Ablauf der Veranstaltung und erklärte, am Ende könnten Fotos mit dem Autor gemacht werden. Warum um alles in der Welt sollte ich ein Foto mit dem Autor machen wollen?

Christian Handel, selbst Autor eines kenntnisreichen Fantasy-Blogs, übernahm den Gesprächseinstieg: Weltenbau in der Fantasy, das Woher und Wohin des Genres. Sanderson hatte dazu ein paar interessante Ideen, aber immer wieder verließ das Gespräch diese Metaebene und kam auf das Buch zurück. Auch ein Versuch, die politische Dimension des Arbeiter*innenkampfes im Werk zu thematisieren, führte zu keiner nennenswerten Diskussion, aber nur deshalb, weil dies nicht der Stützpfeiler seines Weltenbaus ist, sondern lediglich zur Darstellung der sich industrialisierenden Gesellschaft diente. Jede*r Fantasyautor*in hat diese Elemente, die ihre Welten plastisch erfahrbar machen. Bei Tolkien ist es – klar – die Sprache, Rothfuss hat ein Faible für Münzen und Währungssysteme und bei Sanderson sind es Naturwissenschaften. Die Magie seiner Nebelgeborenen etwa basiert auf den Regeln der Vektor-Physik.
Bei entsprechender Vorbereitung oder vorhandenem Wissen wäre das der Einstieg in eine interessante Unterhaltung geworden. Wurde es aber nicht, stattdessen „Oh, der Autor schreibt nachts“ (kritzel, kritzel), „Ah, er überarbeitet seine Texte sehr häufig“ (kritzel, kritzel) und „Ach, er hat Cornelia Funke erwähnt.“ (kicher, kicher)

Mal abgesehen vom letzten verstehe mich niemand falsch: Meine Fähigkeiten, naturwissenschaftlich fundiert zu diskutieren, sind mehr als beschränkt und auch ich finde die Kleinigkeiten, die einen Autor menschlich machen, interessant. Aber als Literaturwissenschaftler dachte ich bei der Vorbereitung des Termins mehr an Textanalyse gemeinsam mit dem Autor und weniger an „Hui, wat war der Kleptomane im Buch witzig und sympathisch.“ (No offense, er war es wirklich.) Auch aus laienjournalistischer Perspektive war diese kleine Runde eine Gelegenheit, Informationen aus erster Hand zu bekommen, die aber offenbar niemand nutzen wollte. Hier nun begriff ich etwas: Alle hatten die Spielregeln verstanden – nur ich nicht.

Der Autor möchte über sein Werk sprechen (und Bücher verkaufen); natürlich tut er das lieber in angenehmer Umgebung, wo keine kritischen oder scharfen Nachfragen zu befürchten sind. Der Verlag (ein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht) möchte nicht reden sondern verkaufen, ein legitimes Ziel. Also lädt er Blogger*innen ein, verschafft ihnen quality time mit dem Autor und am Ende gibt es sogar noch ein Foto (um mal Denis Scheck zu zitieren: „Is des herzig!“). Die Blogger*innen ihrerseits sagen – und wahrscheinlich haben sie alle recht – dass sie gar keine journalistischen Ansprüche an sich stellen. Sie möchten Bücher lesen, darüber schreiben und sprechen, was ihnen Vergnügen bereitet. Das ist in Ordnung, degradiert sie aber zu (unfreiwilligen?) Werbeträger*innen der Verlage, auch wenn das Fähnlein der Unabhängigkeit im Werturteil noch so hochgehalten wird. Und hier wird es spannend: Feuilletonist*innen wie Blogger*innen wollen unabhängig sein, ein genuin journalistisches Merkmal, nur dass zum Journalismus mehr als das gehört.

Die Conclusio der Erfahrung: Solange die Verlage Blogger*innen wie Tanzbären durch die Werbemanege führen können, werden Blogs als Gesprächspartner im Literaturbetrieb nicht ernst genommen (auch und gerade viele Verlage tun das nicht) und ich bin geneigt zu sagen, zu Recht. Wer keine journalistischen Ansprüche erfüllen will, kann nicht ernsthaft erwarten, an diesem Diskurs teilzunehmen. Reden über Bücher und Literatur ist die eine Sache (das geht in Buchclubs oder auch in Online-Leserunden), um in der etablierten Kritik anerkannt zu werden, muss man deren Handwerk zunächst beherrschen. Danach kann man es immer noch nach Herzenslust brechen.

Ich habe meinen Irrtum also eingesehen. Lange Zeit hielt ich mich für einen Blogger, ab heute bin ich Kritiker.

P.S.: Natürlich sind nicht alle Blogger*innen gleich und auch nicht alle Verlage. Wessen Stiefel es nicht ist, der*die ziehe ihn sich nicht an.

Bild © booknerds.de/Verwendung der Buchseite (ISBN 978-3-442-371259) für die Häuser mit freundlicher Genehmigung des blanvalet Verlags

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3 Kommentare
  1. Wow, das nenne ich scharf geschossen, lieber Henri. Ja du hast recht, manche/r macht sich zur Erfüllungsgehilfin der Werbemaschine. Aber wenn es für manche besonders interessant ist, zu wissen, dass er nachts schreibt, dann ist das auch wichtig. Du stellst journalistische Ansprüche an das Bloggen, die nicht von jeder/m erfüllt werden können oder wollen. Im Grunde zeichnest du damit diesen Streit zwischen Feuilleton und Bloggosphäre, was ist Kritik und wer darf sie wie äußern nun auf einer weiteren Ebene nach.
    Ich lese lieber fundiertere Blogtexte, da stimme ich mit dir über ein. Die Bloggerwelt ist allerdings superbunt. Und deswegen sind die Spielarten auch sehr unterschiedlich.
    Viele Grüße,
    Klaus

    1. Lieber Klaus,

      die schärfste Waffe ist eben immer noch der Stift (in dem Fall die Tastatur) und nicht das Schwert. Und ich gebe zu, dass ich ein bekanntes Phänomen auch gern aus reiner Lust am Austausch auf einer neuen Ebene zur Diskussion stelle.

      Darum auch danke für deinen Beitrag. Ich hoffe, dass sich noch viel mehr Blogger*innen darüber austauschen.

      Ich will mit meinem Text ein Bewusstsein schaffen, dass Professionalisierung mehr sein kann, als Kapital aus einem Blog zu schlagen oder den Formalismus des Feuilletons nachzuahmen (wenngleich ich überzeugt bin, dass ein bisschen Abschauen des journalistischen Handwerkszeug nicht schadet). Es geht um ein Bewusstsein für ökonomische Zusammenhänge, Wirtschaftsmacht und am Ende auch Deutungshoheit. Nicht wer sich wie äußern darf, sondern wer das in welchem Bewusstsein tut.

      Darum: Seid superbunt, aber seid reflektiert.

    2. “Die Bloggerwelt ist allerdings superbunt. Und deswegen sind die Spielarten auch sehr unterschiedlich.”

      Das ist einerseits auch gut so, allerdings kann man das eben auch als Totschlagargument anwenden. “Ein jeder Jeck ist anders” halt. Und viele derer, die anders sind, agieren mir persönlich viel zu “cozy”, viel zu sehr vom bequemen Sofa aus. Das mag bequem sein, ja. Aber es wird eben von einigen für deren eigene Zwecke gnadenlos ausgenutzt – und als Belohnung gibt es dann halt ein Zuckerl.

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