Ottessa Moshfegh – McGlue (Buch)


Dies ist weniger eine Rezension als eine kleine Phantasmagorie über eine größere Phantasmagorie. Enthält Spoiler und düstere Andeutungen. Kenntnis von Edgar Allan Poe, H.P. Lovecraft, Albert Camus und der Regelkunde des Fight Clubs werden vorausgesetzt. Falls nicht vorhanden, schleunigst nachholen. Wird auch am Ende noch einmal drauf hingewiesen. Geht niemandem auf den Leim. Ganz wichtig. McGlue versucht Euch dorthin zu locken. Er macht das gut. Sehr gut sogar.

1851. McGlue sitzt als Gefangener unter Deck des Schoners, auf dem er vorher als Matrose gearbeitet hat. Später in Salem wird er in ein Verlies gesteckt und wartet auf seinen Prozess. Lange. Bis man sich fragt, ob dieser Prozess je stattfinden wird. McGlue soll seinen besten Freund Johnson erstochen haben. Er selbst kann sich nicht daran erinnern, die gesamte Schiffspassage entwirft er Bruchstücke einer Autobiographie, in der Johnson erst als Retter auftaucht, dann verschwindet. Eine Tötung auf Verlangen vielleicht? McGlue versucht sich dem zu nähern, doch er verliert sich in seinen Erinnerungen und Fantasien, die geprägt sind von seinem Alkoholismus und einem gespaltenen Schädel. Eine Wunde, die er sich bei einem Sturz zuzog und die nie richtig verheilte. McGlue treibt zwischen Delirium und Fieber, selbst als in Haft die Schnapsversorgung ausbleibt setzt kaum Klarheit ein. Seine schemenhaften Rückbetrachtungen sind geprägt von Zweifeln und halluzinierten Möglichkeiten dessen, was gewesen sein könnte.

McGlue ist sich fremd in seinem eigenen Leben. “Gringo” sagt ein mexikanischer Junge zu ihm. Und er versteht:

“Das Wort habe ich schon einmal gehört. Es bedeutet, dass ich eine Art Teufel bin. Vielleicht sogar der Teufel persönlich. “Ich kenne ihn gut”, würde ich dem Kind gerne sagen. “Aber der bin ich nicht.”

Ottessa Moshfegh lässt ihren Protagonisten wüst räsonieren, im Dunkel eines Lebens herumtapern, das geprägt ist von Armut, Gewalt, Wahnsinn und Tod. McGlue ist der ewige Außenseiter, aufgewachsen als Teil des Bodensatzes einer Gesellschaft, deren Mitglieder gnadenlos geopfert werden, wenn es dem Immobilienmarkt zuträglich ist. Er wählt nicht einmal den einzigen Rückzugspunkt, den ein Heranwachsender in Armut hat: Seine Familie. Stattdessen zieht er billigen Fusel und den permanenten Absturz vor. Bis Johnson kommt, sein Freund und Retter. Dank ihm fährt er zur See und nutzt die Chance seine homosexuellen Neigungen auszuleben. Eine Befreiung ist es nicht. Denn immer wieder verschwindet Johnson von seiner Seite.

Zu Beginn des kurzen, hundertvierzigseitigen Romans ist er anscheinend komplett weg. Tot. So wird gesagt. Doch McGlue zweifelt. Und wird Johnson später in Haft, in zwangsweiser Nüchternheit, wiederbegegnen. Offensichtlich in Visionen. Doch in “McGlue” ist nichts offensichtlich. Nicht einmal Sommersprossen.

“Wo sind deine Sommersprossen, Puck”, fragt McGlue den Schiffsjungen, der ihn unter Deck bewacht, den er das gesamte Buch über verächtlich “Schwuchtel” nennt. Ihn so mit jenem verzweifelten Hass überschüttet, den er sonst gegen sich selbst richtet. Der junge Matrose bleibt freundlich, kümmert sich um McGlue, den das wenig schert. “Puck”, der Hofnarr, der freundliche Klabautermann, jenes elfenhafte Wesen, dass es Menschen erlaubt mit den Geistern zu reden. Mit Johnson?

Wer ist Johnson? McGlue kann sich nur an Fragmente erinnern und fügt nach Johnsons augenscheinlichem Tod weitere hinzu. Frage ist: Hat er je existiert? Es scheint so, denn immerhin wird McGlue wegen des Mordes festgesetzt und wartet auf seinen Prozess. Der nicht stattfinden wird. Jedenfalls nicht im Rahmen der Erzählung. Zwar scheinen die Menschen in seiner Umgebung auf Johnson und dessen Tod zu reagieren. Doch ist es McGlue der davon berichtet. Der fiebrig vor sich hin dämmert und alles andere als ein zuverlässiger Erzähler ist.

Abgesoffen in Sansibar ist seine letzte wache Erinnerung. Gab es dort einen Kampf, wurde ein Messer gezückt und zugestoßen? Wollte Johnson das sogar? Hatte er genug vom Leben und wollte McGlue seinem eigenen Verderben anheim fallen lassen? Was dann auch geschieht. Doch wir wissen ja: Die erste Regel des Fight Clubs lautet: “Verliere kein Wort über den Fight Club.” Manchmal hilft Verdrängung beim Schweigen. Weiter zurück…

Nicht nur Camus‘ “Der Fremde” hat seine Spuren bei und in “McGlue” hinterlassen, noch näher steht Edgar Allan Poes Erzählung “William Wilson”. Die Geschichte des verbummelten Studenten, der sich ein Alter Ego schafft, welches ihn begleitet, verfolgt, ablenkt von seinem eigenen Versagen. Bis er es am Ende tötet und im Spiegel sieht, dass er auf sich selbst eingestochen hat. “McGlue” endet nicht vor einem Spiegel sondern am Meer. Dort, wo sich das Universum spiegelt.

Spoileralarm:

Ist egal, denn “McGlue” will untersucht, auseinandergenommen, gedeutet werden. Das Ende ist nicht das Ende, vielleicht ein Anfang oder das Zentrum. Ottessa Moshfegh ist eine Meisterin darin, Gesagtes in der Schwebe zu lassen, Ungesagtem die gleiche Bedeutung zu geben. “McGlue” bewegt sich im Ungefähren, mäandert zwischen Um- und Zusammenbruch, Zeit und Stringenz haben kaum eine Bedeutung. Die Spannung des Romans ergibt sich aus den Möglichkeiten, die McGlues Taumel zwischen dem Versuch, Erkenntnis zu erlangen und dem Abgleiten in den Wahnsinn, eröffnen. “McGlue” ist kein Kriminalroman, in dem es einen Mord aufzuklären gibt. Der Roman handelt vom Zerfasern der eigenen Existenz, von den Bildern, die man sich selbst für sein Leben erschafft, in der Hoffnung es ertragen zu können. McGlue gelingt es nicht. Selbst als er versucht, seinen gespaltenen Schädel zu öffnen (eine fast schon zu offensichtliche Metapher, allerdings höchst einprägsam in Worte gefasst) und sein Gehirn vom imprägnierten Ballast zu befreien, scheitert er. Johnson kommt zu Besuch vorbei. Und McGlue verliert sich.

So genug abgelenkt, jetzt der Spoiler:

“Du oder ich?”, frage ich. “Einer von uns muss weg”, sagt einer von uns. […] Und da und dort küssten wir uns, und vielleicht starb ich zuerst.”

Spoiler Finito.

Ein Roman wie “McGlue” braucht ein offenes Ende. Ottessa Moshfegh überlässt es ihren Lesern, ob sie Verzweiflung wählen oder Hoffnung. Die Wahl sollte weise getroffen werden.
“Alle Hoffnung zu verlieren, hieß Freiheit.” (“Fight Club”. Der Film).

“McGlue” ist kein Spannungsroman für den schnellen Verzehr. Wer ein Seefahrerabenteuer mit Krimi- und Horror-Touch erwartet, dürfte enttäuscht werden. Wir befinden uns auf unsicherem Gebiet, dort wo David Lynch seine Kameras aufbaut, Edgar Allan Poe multiple Persönlichkeiten in die Irre laufen lässt, der “Fight Club” seine Kämpfe ohne Gewinner veranstaltet, Albert Camus zum Komasaufen einlädt und H.P Lovecrafts “Außenseiter” vor sich selbst erschreckt. Vor unzuverlässigen Erzählern wird gewarnt.

Ottessa Moshfegh erzählt nicht nur von der Brüchigkeit der Existenz, von den Gefahren verloren zu gehen, sondern von jenem Zerreißpunkt, an dem das eigene Sein als Grauen wahrgenommen wird und Eskapismus in den Untergang führt. Dass sie als Grundlage die materiellen Lebensbedingungen nennt und nicht individuelle Defekte, macht eine der Stärken des Romans aus. Denn, obwohl Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts angesiedelt, werden in der Aktualität viele Lebensumstände noch genauso diktiert. Die Zeiten mögen sich ändern und Bob Dylan einen Literaturnobelpreis erhalten, doch Trostlosigkeit und Entsetzen bleiben präsent. Dank Büchern wie “McGlue” können wir zumindest erahnen, warum das so ist. Ein kurzer und ungemein vielschichtiger Roman. Sollte man sich drauf einlassen. Lohnt.

PS.: Lest Poe. Lest Camus. Les Palahniuk. Guckt “Fight Club”. Lest Ottessa Moshfegh. Unbedingt. Glaubt nicht an Leute, die behaupten, es gäbe einfache Lösungen. Glaubt McGlue. Bloß was? Entscheidet selbst…

Cover © Liebeskind Verlag

  • Autor: Ottessa Moshfegh
  • Titel: McGlue
  • Originaltitel: McGlue
  • Übersetzer: Anke Caroline Buger
  • Verlag: Liebeskind
  • Erschienen: 22.08.2016
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 141
  • ISBN: 978-3-95438-067-1
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite beim Verlag
    Leseprobe

Wertung: 12/15 dpt


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