In Poetry-Slam-Kreisen hat sich der 1975 geborene Frankfurter mit kroatischen Wurzeln in den letzten Jahren durchaus einen Namen gemacht, doch in der breiten Masse dürfte Marković, der als Texter und Sprecher für ein Musikprojekt begann und heute als “Bühnenpoet, Beatboxer und Lyriker” seine Kunst darbietet, wohl noch eher ein Unbekanntendasein fristen. Zuletzt war es der kleine Voland & Quist-Verlag, der Markovićs Talent erkannt hat und dem es offenbar ein Bedürfnis war, einen Teil seiner Werke in Druckform zu veröffentlichen. Und nicht genug damit: Dem klappenbroschierten, etwas mehr als einhundertseitigen Büchlein liegt noch eine Audio-CD bei, auf der ein Teil der gedruckten lyrischen Exponate zu finden ist.
Am Puls der Zeit und mitten im Leben
Thematisch bedient der Künstler vor allem gesellschaftliche und politische Themen und legt sehr gern auch seinen Finger in die entsprechenden Wunden, filettiert Vorurteile und Stereotypen, doch auch das Alltägliche findet Platz in seinem Schaffen. Und bei seinen Werken ist es beileibe nicht so, dass Marković jedes einzelne in ein Raster quetscht. So sind seine lyrischen Spoken-Word-Stücke manchmal schlichtweg einfach nur rhythmisch gesprochen, manchmal gesungen, und nur in einigen seiner Wort-Laut-Kompositionen übernimmt dann auch mal die ihn auszeichnende Mixtur aus gesprochenen Worten und simultan eingesetztem Beatboxing das Kommando (die beiden weiter unten eingebetteten Videos bieten im Grunde schon einen sehr guten Querschnitt der Bandbreite seines Schaffens).
Vielschichtigkeit und Freigeist
In gedruckter Form dargestellt sind gerade die beatboxunterlegten Stücke typographisch etwas gewöhnungsbedürftig, aber umso nachvollziehbarer, denn während bei einer Verszeile zuoberst der Text steht, finden sich unter der jeweilgen Zeile inklusive Taktangabe einzelne Zeilen für Bass Drum, Snare Drum und Hi-Hat mit entsprechenden “Noten”-Markierungen, sodass im Kopf der Rhythmus ganz automatisch entsteht. Auch Gesten und Positionen (etwa, wenn er seine “Solologe” aufführt und sich beispielsweise selbstbeobachtend beschreibt) werden schriftlich erläutert.
Stets wortspielerisch agierend weiß Marković allerdings auch hinsichtlich seines Textstils mit unterschiedlichen Mitteln zu arbeiten. Vieles ist, was den Gleichklang der Worte betrifft, sehr nah am Rap, aber in einer unaufgeregten und sehr relaxten Form. Da finden sich verschachtelte Reime ebenso wie das Herumreiten auf akustisch einander ähnelnden Wörtern.
Das dreiteilige “kein geregeltes Reinkommen” ist eher noch ein leicht rhythmisch getriebenes Gedicht, ebenso “das Eis berechnen mit einem Witz”, während es mit “ein offener Beat an mich selbst” und “strenges Rhythmusterbeispiel für Quereinsteiger” doch deutlich rhythmusbetonter zur Sache geht. Andererseits gibt es dann die wortspielbetonteren Dinge wie “Fünf-Minuten-Termine” und die darauf folgenden Gedichte oder etwa “fragil mich nicht”. Doch auch bezüglich der Sprache legt sich der Autor nicht fest – in “wenn ich deutsch rede, dann bemerkt man meinen deutschen Akzent gar nicht so sehr” alternieren die Zeilen dann beispielsweise schon mal zwischen der deutschen, der englischen und der kroatischen Sprache.
Verspieltheit trifft auf Nüchternheit
Ebenso wird es äußerst technisch, beispielsweise bei “Tabla: 4/4”, das mit einem 1/8-Takt-Vers (einzeilig) beginnt, mit einem 2/4-Takt (zweizeilig) fortfährt und nach diesem Muster bis zu einem 8/8-Takt, also einem 4/4-Takt (achtzeilig) anwächst; hier findet die ganze Komposition ebenfalls mehrsprachig statt. Diese und noch mehr verschiedene Stilelemente werden selbstbewusst und freigeistig verbaut, sodass man nie so genau weiß, was als nächstes auf einen zukommt. Komplexe Rhythmen? Doch mal ein einfacherer Text? Alles kann passieren.
Über jedem Einzelwerk finden sich Angaben zu dessen Schreibspanne (von einer handvoll Minuten bis über ein Jahr), dem Medium, auf dem sie entstanden (Zettel, Aufnahmegerät, Gedächtnis, Laptop), der Premiere, wo es live aufgeführt wurde – und hier und dort auch Angaben zu eventuellen Übersetzer*innen und gar Mitautor*innen, denn einige der Texte sind – fürwahr interessante – Kooperationen, die dann auch nicht nur von Marković vorgetragen werden.
Man wird sich als Leser fragen, wie rhythmische Lyrik auf Papier funktionieren kann, doch spätestens nach dem Ansehen diverser seiner Videos oder aber dem Hören der beiliegenden, etwa 38-minütigen Audio-CD, die einen Teil des Buches beinhaltet, versteht man, wie Markovićs Lyrik funktioniert.
Kein Schaulaufen. Keine Verbalmasturbation. Keine Rhythmusonanie.
Der Lese- und Hörgenuss ist groß, denn es handelt sich bei der Kunst des kahlköpfigen Mannes nicht etwa um ein in irgendeiner Form effekthaschendes, nach Massenkompatibilität schreiendes, auf cool getrimmtes Etwas, sondern um intelligente, verspielte, ja gar virtuose KUNST, frei von Korsetten, festgefahrenen Mustern oder jegwelcher Anbiederung.
Sicherlich wird das Herzstück des markovićschen Schaffens das auf der Bühne sein, doch dieses Buch ist eine mehr als interessante Ergänzung hierzu und ebenfalls durchaus eine Art Einführung oder gar “Lehrbuch” hinsichtlich dessen, wie die Stücke überhaupt strukturiert sind und funktionieren. Dieses Verstehenlernen sorgt letztendlich dann auch dafür, dass man beim Lesen automatisch ein Rhythmusgefühl entwickelt, welches ab und an gar mit einem leichten körperlichen Mitgrooven einhergeht.
“Und Sie schreiben auf Deutsch?” ist aufregend und originell, ja schlichtweg erfrischend anders – und somit sowohl für Lyrikliebhaber als auch solche, die ansonsten eher Berührungsbedenken hegen, sehr zu empfehlen.
Cover © Voland & Quist
Wertung: 14/15 dpt
- Autor: Dalibor Marković
- Titel: Und Sie schreiben auf Deutsch?
- Verlag: Voland & Quist
- Erschienen: 11/2016
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 112
- ISBN: 978-3-863911-46-1
- Sprache: Zum Großteil Deutsch (ansonsten Englisch, Kroatisch, Spanisch, Russisch und mehr)
- Sonstige Informationen:
Produktseite mit Lese- und Hörproben
Erwerbsmöglichkeiten
Website von Dalibor Marković
(auch über den Verlag bestellbar; siehe Produktseite)Videos: