Auf nichts weniger als eine Zeitreise begibt sich, wer Peter Roseggers Roman „Weltgift“ zur Hand nimmt, der erstmals 1903 erschien und dieses Jahr vom Septime Verlag wieder aufgelegt wurde. Der Leser wähnt sich in der Welt der Grimmschen Märchen, ergänzt um erste industrielle Entwicklung, also einer Prise Dickens. Der teils ausschweifende, blumige Stil entführt den Leser, wenn er sich vom Wunsch, schnell in einem Plot voranzukommen, verabschiedet hat, in das wundersame Leben des Hadrian Hausler.
Hausler, ein Industriellensohn, der sich mit seinem Vater überwirft, weil er die Fabrik nicht übernehmen möchte, zieht mit einem großzügigen Taschengeld ausgestattet, in die weite Welt hinaus, auf der Suche nach einem erfüllten Leben. Von zu Hause nimmt nur ein Gespann mit zwei Pferden und den dazugehörigen Stallburschen Sabin mit. Die Angebetete hat ihm sein Vater abspenstig gemacht.
Durch Zufall stößt er auf ein verlassenes Landgut, das er erwirbt und mithilfe eines Verwalters bewirtschaftet. Leider hat dieser nur sein eigenes Interesse im Auge und verschwindet, nachdem er den Hof hat verkommen lassen, während eines Hochwassers, das das Gut zerstört. Hatte Hausler vorher nicht auf die Knechte und Mägde hören wollen, die ihm gesagt hatten, dass der Verwalter ein Betrüger sei, erfährt er nun von seinen Schuldnern, die plötzlich auf der Matte stehen, dass er das Geld offensichtlich immer nur in die eigene Tasche gesteckt hat.
Hausler verlässt der Mut, doch sein treuer Sabin weiß, wohin sie sich wenden können, hat er doch einst die Bekanntschaft von Michel gemacht, einem Bauernsohn, der von seinem Vater zum Studium in der großen Stadt verdonnert worden war, sich aber auf Sabins Anraten dem widersetzt hatte und wieder auf den Hof zurückgekehrt war. Tatsächlich finden sie dort ein Unterkommen und können sogar mit dem verbliebenen Geld ein Gebäude des Hofs und ein Stück Land kaufen, das Sabin recht erfolgreich und mit Freude bewirtschaftet.
Um Sabin, für den Hausler zärtliche Gefühle hegt, an sich zu binden, hatte er ihn einst adoptiert, doch inzwischen ist die Beziehung zwischen den beiden, die immer unausgewogen war und auf die sich Sabin selbst nie einen Reim machen konnte, völlig abgekühlt. Sabin kann nicht verstehen, warum Hausler dahinsiecht, obwohl er nie einen Finger rührt. Hausler seinerseits findet keinen Gefallen am Landleben und kann sich einfach nicht aufraffen, beim Bestellen des Landes mitzuhelfen. Als seine Angebetete aus Jugendzeiten, die inzwischen seinen Vater verlassen hat, bei ihm auftaucht, gerät die Situation immer mehr aus dem Lot.
Hausler bleibt ein Fremdkörper in der österreichischen Provinz, in der er sich niedergelassen hat. Es gelingt ihm nicht, dort zu erden und Gefallen an seinem Leben zu finden, obwohl er nie Geldsorgen hat. Andererseits kann er sich auch nicht für das Leben in der Stadt entscheiden, von der das „Weltgift“ ausgeht. Mit der Stadt kommt er nur noch in Kontakt in der Person der studierten Bauernsöhne, die auf den heimischen Hof zurückkehren, weil sie in der Stadt keine Anstellung finden, auf dem Land aber erst recht keine gute Figur machen.
Mit einer Inhaltsangabe ist es bei diesem Roman im Grunde nicht getan. Er lebt im Grunde nicht in erster Linie von seiner Handlung, bei der vieles zwischen den Zeilen bleibt, wie beispielsweise die angedeutete Homosexualität des Protagonisten oder die Sozialkritik, sondern von seinem Humor, der Atmosphäre und den ausführlichen Beschreibungen. Besonders amüsant sind die humorvollen bis ironischen Kommentare oder Seitenhiebe der Erzählinstanz zu allen Entwicklungen, die immer in unerwarteten Momenten eingestreut werden. Man bedenke: Was für heutiges Verständnis sehr brav erscheint, war für damalige Begriffe jedoch schon fast zu explizit.
Warum sollte man dieses Buch dann lesen? Weil man in ihm liebenswerten Figuren begegnet, denen man gerne ein Weilchen beim Leben zuschaut. Mehr muss das manchmal nicht sein.
Cover © fotolia – Erica Guilane-Nachez / Septime Verlag
- Autor: Peter Rosegger
- Titel: Weltgift
- Verlag: Septime Verlag
- Erschienen: 2016
- Einband: Hardcover
- Seiten: 360
- ISBN: 978-3-902711-59-5
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Wertung: 9/15 dpt