1993/94 entstand in einer deutsch-schwedischen Co-Produktion eine sechsteilige Kommissar Beck-Reihe, die sich eng an die Vorlagen von Per Wahlöö und Maj Sjöwall hielt. Gösta Ekman spielte Martin Beck, Kjell Bergqvist war Lennart Kollberg und Rolf Lassgård gab den so schnöseligen wie taffen Gunvald Larsson. Erst 1997 wurde die Serie unter dem Titel “Kommissar Beck – Die neuen Fälle” fortgesetzt, wobei man sich nur noch lose an den Grundlagen des Schriftstellerpaares Sjöwall/Wahlöö orientierte.
Die Besetzung wurde ausgetauscht, fand in Peter Haber als Martin Beck und Mikael Persbrandt als Gunvald Larsson aber kongeniale Protagonisten, die der Intention der zehnbändigen Romanreihe ziemlich nahe kommen dürften. Lennart Kollberg ging über Bord, andere Figuren aus den Büchern tauchten sporadisch auf und verschwanden wieder im Nirgendwo. Das charismatische Hauptdarstellerduo sowie Becks Nachbar Valdemar mit der ewigen Halskrause und der orangetönten Brille reichten, um die Reihe, trotz mehrjähriger Pausen und nicht immer gelungener Drehbücher und Fälle, fast zwanzig Jahre erfolgreich am Laufen zu halten. Seit der dritten Staffel darf Måns Nathanaelson als linkischer Oskar Bergman für gefühlig-komische Momente sorangeen, in der fünften Staffel mit mehr Raum als zuvor.
Prägnante Auftritte bekommt auch Elmira Arikan als Computerspezialistin Ayda , während Anna Aspin in der Rolle der Kriminalassistentin Jenny Bodén bis auf wenige Ausnahmen eine blasse Begleitfigur bleiben muss. Aber das macht nichts. Denn Haber/Persbrandt sind ein perfekt eingespieltes Paar, dem man liebend gerne zuschaut, selbst wenn sie nur schweigend nebeneinander auf einer Parkbank sitzen. Wie es am Ende der kriminaltechnisch nicht so tollen Folge “Anatomie des Todes” zum Staffel-Halbfinale geschieht. Danach folgt eine Zäsur, die es in sich hat und die Serie in den Abgrund (der Langeweile) reißt. Später mehr.
Die politischen Implikationen der zugrundeliegenden Romane sind in den Verfilmungen schon lange in den Hintergrund geraten. Gesellschaftspolitik ja, dezidierte Einbeziehung politischer Zustände nein, so funktioniert “Kommissar Beck” seit Jahrzehnten sehr passabel. Die Bildgestaltung ist von erlesener grün-blaustichiger Düsternis, der Soundtrack ist wohlüberlegt und setzt punktgenau passende Zäsuren, die mitunter enervierende skandinavische Griesgrämigkeit wird durch intelligenten Sprachwitz gekonnt konterkariert. Die meist gut aufgelegten und geführten Schauspieler erledigen den Rest.
Wie so oft zuvor stehen auch in der fünften Staffel Familienaufstellungen und deren Zerstörung im Mittelpunkt. In dieser Beziehung ist die Serie dezidiert politisch, zelebriert sie doch geradezu den Zerfall von familiären Verhältnissen, und stellt damit die immer noch als solche betrachtete und mittlerweile wieder hofierte Keimzelle der westlichen Konsumgesellschaft in Frage.
Es wird geschwiegen, betrogen, in Psychosen geflüchtet und gemordet, als hätte es konstruktive Kommunikation nie gegeben. Die Beteiligten scheitern an sich selbst, an Erwartungen, Hoffnungen und manchmal auch an versagender Telekommunikation. Und sollten zerrüttete familiäre Verhältnisse einmal nicht Schuld am Tötungsdelikt sein, beeinflussen sie Ermittlungen zugunsten des wahren Täters (“Mord in Zimmer 302”). In den stärksten Momenten bringen Beck und Larsson die verlogenen Konventionen, auf denen das Konstrukt Familie beruhen kann, zum Leuchten, oder eher Brennen. Auch wenn die Wahrheitsfindung nur dazu dient, das eigene, vielleicht mögliche Beziehungsglück sterben zu sehen (“Familienbande”).
Das klappt trotz kleiner Mankos akzeptabel bis zu Folge 5.4. Die mit Beck und Larsson auf der oben erwähnten Bank endet. Die beiden Männer bewahren Distanz, obwohl sie sich am liebsten in den Arm nehmen und gegenseitig trösten möchten. Haber und Persbrandt in Perfektion. Man könnte stundenlang dabei zuschauen. Doch etwas wird passieren. Nichts Schönes. Im Gegenteil. Es wird eklig.
Jeder, der die zweite Hälfte der fünften Staffel halbwegs unbeeinflusst anschauen möchte, sollte jetzt aussteigen. Die ersten vier Folgen gehen mit satten 10 Punkten vom Feld, passagenweise locker um einen bis vier Punkte erweiterbar. Der Rest wird sich mit höchstens der Hälfte dieser Punktzahl zufrieden geben müssen. Aber keine Bange, so schlimm wie schlimme “Tatorte” wird’s nicht.
Mit der lapidar “Schüsse auf Gunvald” benannten Folge 5.5 wird die Serie wahrlich zerschossen. Was danach folgt ist ein müder Relaunch-Versuch, der an teilweise unterschnittigen Szenarien und einer Zuschauer ergreifenden Lustlosigkeit gnadenlos scheitert. Doch zunächst startet die zweite Hälfte der fünften Staffel mit einer despektierlichen Unverschämtheit.
Selten gab es einen unbefriedigenderen und unwürdigeren Serienabschied als jenen, der Mikael Persbrandt/Gunvald Larsson ‘gewährt’ wird. Wenige Minuten Präsenz, ein paar unerhebliche Sätze, dann wird Gunvald aus dem Hinterhalt von einem zweitklassigen Gangster erschossen. Fällt ins Koma und stirbt gegen Ende der Folge. Als ob Larsson, der gewiefte und aufmerksame Kriminalist einem minderbemittelten Hilfsverbrecher zum Opfer fallen würde. Und dann machen die grottigen Drehbuchautoren auch noch den armen Oskar zum Buhmann, weil er Gunvald alleine hat losziehen lassen.
Erstens schien die zu erwartende Situation unbedenklich, zweitens Ist Gunvald Larsson die ganze Serie hindurch die meiste Zeit als einsamer Wolf durch die Fälle gestreift. Aber egal, auch ohne diese Sperenzchen ist “Schüsse auf Gunvald” ein unwürdiges, erbärmliches Abschiedsgeschenk an einen verdienten Mimen. Selbst wenn es stimmen würde, dass das Verhältnis zwischen Mikael Persbrandt und den Produzenten im Argen gelegen hat. Persbrandt mag ein wilder Geselle mit Drogenaffinität sein, seine erstklassige Arbeitsleistung für die Serie (und sein Verdienst am Erfolg) mindert das nicht im Mindesten.
Er war der Mann, den man liebte zu hassen, der für ordentlichen Schwung sorangete, wenn Martin Beck mal wieder metertiefe Trauerfalten trug. Nein, niemand hasste Gunvald Larsson, er war das emotional aufgeheizte Epizentrum der Serie, während Martin Beck der Ruhepol mit erheblichen Stimmungsschwankungen darstellte. Das hat man mit einem beiläufigen Schuss sinn- und stillos getötet. Blamabel.
Danach hat der Neue einen schweren, eigentlich kaum zu bewältigenden Stand. Und obwohl Kristofer Hivju als norwegischer Ermittler Steinar Hovland, seine Sache ganz gut macht, ist er auf verlorenem Posten. Optisch ist er der Typ Original-Wikinger mit langer Mähne und struppigem Bart. Im Gegensatz zu Gunvald hat er ein Familienleben, eigentlich sogar zwei, wie Gunvald mag er Alleingänge und unorthodoxes Verhalten, die komplexe Arroganz seines Vorangeängers geht ihm aber komplett ab. Diese konträre Besetzung kann man aus Sicht der Produktion nachvollziehen, leider geht es in die Hose. Denn die letzten drei Folgen sind schnarchig bis in die Tiefschlafphase. Kommissar Beck schlurft nur noch somnambul leidend durch die Gegend und reicht zum Staffelfinale konsequenterweise seinen Abschied ein. Doch es steht zu befürchten, dass dies nur ein müder Cliffhanger ist, und es irgendwann weitergeht (ohne mich).
Die finale Folge über einen bedächtigen, dennoch mehrere Tote und Verletzte fordernden Amoklauf ist ein ermittlungstechnisches Fiasko, das sein Publikum für ziemlich dumm verkauft. Da hat eine bedrohte Zeugin, die knapp der Erschießung entgangen ist, nichts anderes zu tun, als in Sichtweite des Amokläufers zum Smartphone zu greifen und die Polizei zu rufen. Es bleibt beim Versuch, denn tote Zeugen telefonieren nicht.
Den größten Klops erlauben sich die Beamten zum unfuriosen Finale. Ein großer Polizeieinsatz führt geradewegs zur Aula der Schule, in der man den Täter vermutet. Dummerweise findet die Schulversammlung woanders in einer Kirche statt. Dies vorher(!) herauszufinden wäre ein Leichtes gewesen, denn Steinars labile Tochter, die er zuvor telefonisch sogar gewarnt hat, ist bei genau dieser Veranstaltung anwesend. Zudem wird Steinar als rühriger Vater eingeführt, er hätte gewusst, wo sich seine Tochter genau aufhält.
So wird ein interessantes und spannendes Sujet kopfüber gegen die Wand gefahren. War vorher schon bei der ansonsten besten Folge der zweiten Staffelhälfte der Fall, als die Ermittlung um eine Gruppe korrupter und mörderischer Polizisten lediglich zu einem unbeholfen aufgebauten Konflikt zwischen Martin Beck und seinem unfähigen, scheidenden Vorgesetzten Klas Fredén missbraucht wird (“Tödliche Sackgasse”).
Auf der Habenseite bleiben die gediegene Bildgestaltung, der stimmungsvolle Musikeinsatz, die achtbaren Schauspielerleistungen und Becks leicht surreale Plaudereien mit Nachbar Valdemar. Der Rest ist größtenteils ein Trauerspiel, was Peter Habers zerknautschte Mimik bestens und dauerhaft betont. Sehr schade, dass eine einstmals verlässliche Serie so desaströs (vorerst) endet.
Gunvald, natürlich:
“Tut mir leid, wenn ich Dich enttäuschen muss, ich habe keinen Kater. Ich war die ganze Nacht wach und habe ein Buch gelesen, ein sehr gutes Buch übrigens. Es handelt von den letzten Jahren im Kalten Krieg – Du weißt doch, was der Kalte Krieg war? Damals waren die Russen die Schurken und nicht die Araber.” [Gunvald braucht eine Brille].
–
“Ich hielt den Besuch dieses Kurses für unnötig. ‘Soziale Kompetenzentwicklung in einer Arbeitsgruppe’. Das kann ich doch schon.” [Gunvald hat eine neue Brille].
–
Besorgter Werkstattbesitzer: “Wir haben damit zu tun, dieses Land gegen die da zu verteidigen. Und wenn Sie sich auf die von die….”.
Gunvald: So, du kleines Arschloch, jetzt hörst Du mir mal zu. Ich habe die Leute so satt, die meinen, dass an ihrem verpfuschten Lebgen die anderen Schuld sind! Du bleibst da schön liegen und bist still!”
Geschubster besorgter Werkstattbesitzer: “Ich kann Sie anzeigen, hol’ mich der Teufel, ich zeige Sie an!”
Gunvald: Weil Sie sich auf den Arsch gesetzt haben?”
Cover & Szenenfotos © edel:Motion/Glücksstern
- Titel: Kommissar Beck
- Originaltitel: Beck
- Staffel: 5
- Episoden: 8
- Produktionsland und -jahr: Schweden/Deutschland 2016
- Genre:
Krimi//Drama - Erschienen: 16.09.2016 (5.1-5.4)/11.11.2016 (5.5-5.8)
- Label: edel Motion
- Spielzeit:
704 Minuten auf 8 DVDs - Darsteller:
Martin Haber
Mikael Persbrandt
Ingvar Hirdwall
Måns Nathanaelson
Elmira Arikan
Anna Asp
Jonas Karlsson
Kristofer Hivju
- Idee:
Maj SjöwallPer Wahlöö
- Extras: Trailershow
- Technische Details (DVD)
Video: 16:9 (1,78:1)
Sprachen/Ton: Deutsch, Schwedisch (DD 5.1) - FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 7/15 schwedische Gardinen