So recht wahrhaben will man es immer noch nicht, aber leider stimmt es: David Bowie ist tot. Die letzten Projekte des großen Künstlers sorgen immer noch für Aufsehen, obwohl der Mensch dahinter schon seit fast einem Jahr nicht mehr unter uns weilt. Dabei liegt die oft bestätigte Vermutung nahe, dass die Nachlassverwalter ihren Anteil an diesem frischen Verlustgefühl haben, um in altbekannter Manier den Profit zu maximieren. Jedoch scheint der Respekt vor dem Gesamtkunstwerk Bowie so groß zu sein, dass der große Ausverkauf ausblieb. Ganz im Gegenteil: Bislang sind hauptsächlich neue Inhalte und alte Schätze (wieder-)veröffentlicht worden, deren jeweilige Existenzberechtigung unzweifelhaft ist. Bei „Der Mann, der vom Himmel fiel“ kommen sogar eine ganze Reihe von guten Gründen für eine Veröffentlichung des alten Stoffs zusammen.
Vielen ist bekannt, dass Bowie in diversen Theater- und Filmproduktionen seine Schauspielleidenschaft vertieft hat, gleichwohl bleibt dieses Wissen bei den Meisten eher latent. Zu groß war der Musiker, zu schillernd waren seine Verwandlungen auf dieser Bühne, doch seine Schauspielkunst (auf welcher Bühne auch immer) bleibt unterbewertet. Egal ob als Elefantenmensch im Theater oder Nikola Tesla in „Prestige“, ob in einer kleinen oder einer großen Produktion, Bowie lieferte immer ab und erweiterte darüber hinaus sein Portfolio so geschickt, dass sein Schaffen über die Jahrzehnte zu einem facettenreichen Gesamtkunstwerk reifen konnte. Das beste Beispiel dafür ist seine bekannteste Figur.
Ziggy Stardust ist zweifelsohne auf der musikalischen Bühne zuhause, doch selbst heute wird der Charakter noch bearbeitet und verfeinert. Die alienhafte Erscheinung des mageren, bleichen David Bowie machte seine Figur Ziggy zu einem Phänomen, dem Starman, der uns obendrein auch noch diese fantastische Musik mitbrachte. Einer, der vom Himmel oder besser gesagt zur Erde gefallen ist (um den englischen Titel gerecht zu werden): Die Parallele zu Thomas Jerome Newton war offensichtlich, als Bowie die Hauptrolle in „Der Mann, der vom Himmel fiel“ übernahm. Der Außerirdische, der auf die Erde kam, um seinen Planeten zu retten, verfügt durch die Erscheinung Bowies (weit mehr als sein legendäres Augenpaar) über eine anziehende Aura, die kaum an klassischen Schönheitsmerkmalen festzumachen ist.
Für David Bowie war die Rolle ein Glücksfall, ein Puzzlestück in einem verrückten, größeren Ganzen, das Mitte der 1970er sein Leben war. Regisseur Nicolas Roeg sah sich nach der Lektüre des gleichnamigen Romans aufgerufen, aus „Der Mann, der vom Himmel fiel“ eine Spielwiese zu machen, die durchaus die Extreme auszuloten versuchte. Der Zuschauer braucht ein wenig, um in die Geschichte hineinzufinden und ist im Folgenden immer wieder durch den stetigen Wechsel von klassischer Erzählweise und experimentellen Elementen dazu angehalten, die eigenen Geschmacksgrenzen zu testen. Bowie wiederum konnte sich ausprobieren, die Idee hinter Ziggy Stardust weiter erforschen, mit dem Style des Thin White Duke kreuzen, in immer neue, abgefahrene Kostüme schlüpfen und – nicht zuletzt – sein „reales Leben“ verarbeiten.
1976 begannen die geschichtsträchtigen Berlin-Jahre des Künstlers, der gleich zu Beginn einen harten Schnitt vornahm und sich in den kalten Drogenentzug begab. Thomas Newton ist dem Alkohol verfallen, um den Schmerz über die Trennung von seiner Familie, aber auch über die Isolation, das Nicht-Verstandenwerden auf der Erde und das Nicht-Verstehen des irdischen Treibens zu betäuben. Es gibt abwegigere Thesen, als dass David Bowie sich im Trubel um seine Person des Öfteren „alienated“ fühlte. Deswegen ergibt es durchaus Sinn, dass „Der Mann, der vom Himmel fiel“ in einer gar nicht allzu weit entfernten Zukunft spielt, die die Mode der 1970er auf die Spitze treibt und eher von kleineren Technikinnovationsideen gespickt ist.
Außerdem ist Thomas Newton keine klassisch männliche Figur und wird in einem Schwächemoment von einer Frau in sein Hotelzimmer getragen. Dazu passt der androgyn wirkende Bowie, der im Laufe seiner Karriere immer wieder mit den Geschlechterkonventionen und den Gerüchten um seine sexuelle Orientierung spielte. Hinzu kommen die zahlreichen Verknüpfungen zu Songtexten und Themen, die David Bowies Karriere begleiteten: Das Weltall spielt im Film eine genauso große Rolle wie der Ruhm, die Rolle der Medien und die Frage, was Liebe ist. Zusammen mit der anspruchsvollen Haltung sich immer wieder neu erfinden und Grenzen überschreiten zu wollen, ist „Der Mann, der vom Himmel fiel“ ein logisches Karriereexperiment.
Auf der anderen Seite wagt sich Regisseur Nicolas Roeg häufig etwas zu weit heraus. Die experimentelle Herangehensweise führt mitunter dazu, dass der Handlung nur mit Mühe zu folgen ist, besonders weil das Zusammenführen Erzählstränge nur selten ruckelfrei gelingt. Der Film ist zu lang, nicht weil er 139 Minuten zählt, sondern weil er über unnötige Längen verfügt. Zu oft will Roeg den aufwändigen Sets gerecht werden (zugegeben, von der Blu-ray-Version oder gar einer 4k-Restaurierung konnte er damals nur träumen, das sieht schon ziemlich gut aus), vergisst aber dabei den Erzählfluss. Auch mit den ausgiebigen Sexszenen sollte Neuland betreten werden, durch ihre Länge kommt es aber eher zum Eindruck, dass sie den Film immer wieder für mehrere Minuten unterbrechen. Vielleicht ist hier ausnahmsweise mal die geschnittene Version im Vorteil, die mit satten 20 Minuten weniger auskommt.
Dennoch hat „Der Mann, der vom Himmel fiel“ seine Momente. Vielleicht überstrahlt Bowie den Film, aber ihn schauspielern zu sehen ist mindestens eine wertvolle Erfahrung, um sein Werk besser zu verstehen. Ein Werk, dessen Abschluss eigentlich noch nicht geplant war. Das zeigt auch die vorliegende Veröffentlichung, die schon vor Bowies Tod in die Wege geleitet wurde und in einem größeren Kontext steht. Zum vierzigjährigen Jubiläum des Films wird die Geschichte Thomas Newtons in einem Musical wiederaufgenommen, für das David Bowie verantwortlich zeichnet und das zusammen mit seinem finalen Album „Blackstar“ als sein letztes Kunstwerk gilt. „Lazarus“ überzeugt mit Michael C. Hall in der Hauptrolle als auch mit neuer wie alter Musik von Bowie. Gerade der Titeltrack wirkt im größeren Zusammenhang wie der große Abschiedssong, der manch eine Verschwörungstheorie ins Rollen brachte, dass Bowie selbst seinen Tod inszeniert habe.
Letztendlich ist es aber die große Stärke dieser Veröffentlichung, dass sie auch ohne das Ableben David Bowies funktioniert hätte. „Der Mann, der vom Himmel fiel“ erscheint in Remastered-Form auf DVD und erstmalig auf üblicher als auch auf 4k-Blu-ray (allesamt mit üppigem Bonusmaterial), was der Vision Roegs eher entsprechen dürfte als die alten Versionen auf VHS. Wie bei Studiocanal üblich, gibt es die Klassiker auch zu Verkaufsbeginn zum fairen Preis. Wem das noch nicht reicht, der darf sich über die Anschaffung eines ganz besonderen Schmankerls Gedanken machen: In limitierter Stückzahl wird es eine Edition zu erwerben geben, in der zum ersten Mal überhaupt der Soundtrack veröffentlicht wird. Im Bonusmaterial werden die Hintergründe zu der Musik erörtert und unter anderem geklärt, warum Bowie nicht den kompletten Soundtrack geschrieben hat. Es wird nun auch möglich die Musik von John Philips noch genauer zu studieren, die auf gekonnte Art Außerirdisches mit amerikanischer Musikgeschichte vermengt. Das alles macht diese Veröffentlichung von „Der Mann, der vom Himmel fiel“ zu einer runden Sache, bei der für jedem etwas dabei ist.
FAZIT: Die vorliegende Veröffentlichung von „Der Mann, der vom Himmel fiel“ ist seit Langem geplant und ist deswegen kein Versuch, aus dem Tod des Künstlers Kapital zu schlagen. Der Film von Nicolas Roeg feiert dieses Jahr sein vierzigjähriges Jubiläum und wurde zu diesem Anlass remastered, erscheint auf DVD, Blu-ray und 4k-Blu-ray und kommt in der Special Edition zum ersten Mal mit dem Soundtrack in die Läden. Zudem läuft zurzeit die Fortsetzung der Geschichte von Thomas Newton als Theaterstück und wird dort auf angemessene Weise weitergeführt. Der Film selbst ist ambitioniert und stylisch, aber auch zu lang und zu zerfahren. Unterm Strich ist er sehenswert und vielleicht eher als Ideensammlung zu verstehen, in jedem Fall zeigt der Film jedoch, dass Bowie als Gesamtkunstwerk zu begreifen ist und als Schauspieler immer noch unterschätzt wird. Und dass wir ihn schrecklich vermissen.
- Titel: Der Mann, der vom Himmel fiel
- Originaltitel: The Man who fell to earth
- Produktionsland und -jahr: GB, 1976
- Genre:
Science Fiction
Drama
Experimentell
- Erschienen: 18.11.2016
- Label: Studiocanal
- Spielzeit:
138 Minuten auf 2 DVDs
138 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
David Bowie
Rip Torn
Bernie Casey
Candy Clark
Jackson D. Kane
- Regie: Nicolas Roeg
- Drehbuch: Paul Mayersberg
- Kamera: Anthony B. Richmond
- Musik: John Phillips
- Extras:
Neues Interview mit Kostümdesignerin May Routh mit originalen Kostüm Zeichnungen; Neues Interview mit Standfotograf David James mit Behind the Scenes Bildmaterial; Neue Interviews mit Regisseurin und Film-Fan Sam Taylor-Johnson und dem Produzenten Michael Deeley; Neues Featurette über den Soundtrack; Dokumentation: Watching the Alien; Interviews mit Candy Clark, Drehbuchautor Paul Mayersberg, Kameramann Tony Richmond und Regisseur Nicolas Roeg; TV-Spots; Wendecover - Technische Details (DVD)
Video: 2,35:1 (1080/24P anamorph)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D, GB
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2,35:1 (1080/24P FULL HD)
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D, GB
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
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