Die Motivation, alle drei Staffeln von “Miss Fishers mysteriösen Mordfällen” anzusehen, lag in Essie Davis‘ fabulöser Darstellung einer verzweifelten Mutter am Rande der psychischen und physischen Auflösung im düsteren Horrorfilm “The Babadook”. Wie würde sich die Schauspielerin als eloquente, gewitzte, mondäne, selbstsichere und –bestimmte Schönheit am Ende der Goldenen Zwanziger, mit der eigenerteilten Lizenz in Tötungs- und sonstigen Delikten zu ermitteln, schlagen?
Welche Frage – “Miss Fishers mysteriöse Mordfälle” IST die Essie Davis-Show, mit umwerfender Ausstrahlung, Stil und Charme präsentiert. Dabei nicht derart obsessiv, dass sie umgebende, stimmige und exzellente Ensemble zu vereinnahmen oder gar zu erschlagen. Was bedauerlich wäre, denn der ausgezeichnet harmonierende Cast der australischen Serie füllt die exquisiten Kleidungsstücke, Sets und Dekorationen erst mit Leben. Die Serie in historischem Ambiente funktioniert auch, wenn Fälle und Aufklärung nicht der Rede wert sind, oder wenn es im Verlauf der dritten Staffel arg im Gebälk knirscht.
Davis‘ Auftritt im “Babadook” war derart auffällig, dass sie mit Angeboten überhäuft wurde. Eines führte sie vorübergehend ins “Game Of Thrones” (welches Schicksal sie dort erwartete, müssen wir bei dem George R. R. Martin-Stoff wohl kaum erfragen oder verraten). Hugo Johnstone-Burt aka Constable Hugh Collins verschwindet bereits während der aktuellen Staffel unter windigen Umständen für drei Folgen zum Angeln. Trotz inniger Liebe zu Dottie, der rechten Hand Miss Fishers, und bereits startenden Hochzeitsvorbereitungen. Der Darsteller brauchte die Auszeit, um mit The Rock in “San Andreas” von heftigen Erdbeben durchgeschüttelt zu werden. Ersatz-Constable Neville Martin versucht in Collins Fußstapfen (Stand Serienstart) zu treten, was natürlich, trotz kleiner, amüsanter Abweichungen nicht gelingt und flüchtet am Ende. Was immerhin Gelegenheit gibt, sich davon zu überzeugen, wie weit Dotties Veränderung vom furchtsamen, leichtgläubigen Mauerblümchen, mit Angst vor Telefonen, zur selbstbewussten, starken jungen Frau unter Phryne Fishers Fittichen fortgeschritten ist.
Das ist etwas, was auch in Staffel Drei wunderbar funktioniert, Miss Fisher als Protagonistin eines aufkeimenden Feminismus, eine Frau, die sich in einer von Männern, deren Religion und Politik, geprägten Welt nicht nur behauptet, sondern ihr die eigenen Regeln selbstbewusst aufdrückt. Dabei gelingt es der Serie und ihren Schöpfer*innen Phryne Fisher nicht als leichtfertiges, promiskuitives Flittchen zu verzeichnen. Ihr Mut und Witz, die Unerschrockenheit, Neugier und Lebenslust resultieren aus dem erfahrenen Wissen um Tod, das Grauen des ersten Weltkriegs und aus persönlichen Schicksalsschlägen. Die düstere Vergangenheit wird nicht plakativ ausgebreitet, sondern hintergründig in die charmanten, amüsanten Folgen eingebracht.
Gegenüber den ersten beiden Staffeln baut Season 3 etwas ab, man bemerkt die kniffligen Drehbedingungen, die Verknappung auf acht Folgen führt zu eiligem Abhaken gegen Ende. Zumindest für das Finale hätte man sich ein Abenteuer in Spielfilmlänge gewünscht. Immerhin passiert, womit seit der zweiten Staffel mal mehr, mal minder geschickt gespielt und geliebäugelt wurde.
Wo wir gerade bei Phryne Fisher und Inspektor Jack Robinson sind. Essie Davis und Nathan Page geben ein exzellentes Screwball-Paar ab, brillieren im Zusammenspiel, in Dialogen, als Tänzer und natürlich Gesangspartner. Letzteres gefällt besonders, wenn man die Serie mit Originalton schaut.
Miss Fisher übersteht mit Stil und Substanz alle Turbulenzen halbwegs unbeschadet. Sie zieht immer noch so magisch wie manisch Morde und Verbrechen an. Oder wie ihre Tante Prudence meint: “Etwas inflationär, findest du nicht?” Wohl wahr, aber so muss das sein bei Phryne Fisher. Prudence hingegen hat ihren stärksten Auftritt in der Highlight-Folge “Wahrheit oder Hysterie” (OT. “Death & Hysteria”), die sich mit den frühen Stadien der Psycho- und Hypnosetherapie beschäftigt, dabei angenehm ambivalent bleibt, neben Prudence auch für die unverwüstlichen Helfer Bert und Cec ein paar eindrückliche Auftritte bereithält und mit einer ergreifenden Gesangsdarbietung zu Ehren von Prudence Stanleys (im off) verstorbenen Sohn Arthur endet.
Außerdem darf Miss Fisher Harry Houdini Konkurrenz machen (“Die Kavalkade des Todes”, OT. “Death Defying Feats”), was ihr natürlich leichtfüßig gelingt, sie kämpft um die Rechte von Straßenkindern (“Blut und Geld”, OT. “Blood & Money”), legt sich mit der Mafia an (“Familiengeheimnis”, OT. “Murder & Mozzarella”), hat Angst vor Spinnen, spielt Tennis (“Spiel, Satz, Mord”, OT. “Game, Set & Murder”) und darf ihrem Hobby Fliegen frönen (“Der Traum vom Fliegen”, OT. “Murder & The Maiden”, sowie Finalfolge).
Durch die Staffel zieht sich die Begegnung mit ihrem hochstaplerischem Vater und einem mörderischen Phantom aus der Vergangenheit. Die wenig sympathische und blass konzipierte Vaterfigur gehört zu den Schwächen der dritten und leider bislang letzten Staffel. Doch neben all den marginalen Mankos überwiegt die Freude an Dekor, Settings, den enthusiastisch aufspielenden Darstellern, den ausgefeilten Dialogen und klugen, nachdenklichen Zwischentönen. Okay, ein bisschen Klamauk und Keystone Cops-Action sind auch dabei. Aber das schadet nicht.
Und so warten wir gespannt auf eine vierte Staffel oder wenigstens ein Kinoabenteuer. Aber trotz des weltweiten Erfolgs der Serie sind weiterführende Infos Mangelware. Es könnte sogar sein, dass genau dieser Erfolg einer Fortführung im Wege steht, sind die Mitwirkenden zu Recht mittlerweile auch anderweitig begehrt. Wir hoffen das Beste und verbleiben bis dahin bei Miss Fisher und ihrem ersten Credo:
Jack: “Sie sollten die Situation ernst nehmen!”.
Phryne: “Ich habe seit 1918 keine Situation ernst genommen.”
“When you’re a kid, they tell you it’s all… Grow up, get a job, get married, get a house, have a kid, and that’s it. But the truth is, the world is so much stranger than that. It’s so much darker. And so much madder. And so much better.” (Aus einem anderen Universum, trifft aber auch auf Miss Fisher zu):
Mac: “Nicht anfassen! – Ungeduld ist dein zweiter Vorname.”
Phryne: “Tugend war schon vergeben.”Und natürlich halten wir inniglich Händchen mit Dottie: “Lieber Gott, bitte pass auf die kleinen Waisen auf und auf alle, denen es weniger gut geht als mir. Und auf das Zebra im Zoo, du weißt schon, das mit dem lahmen Bein.”
Jack: “Ich weiß nicht, wessen Einfallsreichtum größer ist, Rogers, der die Idee hatte, oder ihrer, weil sie drauf gekommen sind?”
Phryne: “Jack – meiner natürlich!”Phryne Fishers zweites Credo zu einem erfüllten Leben:
“Was waren ihre Jugendträume Miss Fisher?”
“Ich lebe sie!”
Cover & Pics © polyband/BBC, außer Pic “Der Babadook” © Capelight Pictures
- Titel: Miss Fishers mysteriöse Mordfälle
- Originaltitel: Miss Fisher’s Murder Mysteries
- Produktionsland und -jahr: Australien, 2015
- Genre:
Krimi, Mystery, Drama, Komödie
- Erschienen: 30.09.2016
- Label: polyband
- Spielzeit:
432 Minuten auf 3 DVDs + 48 Minuten Bonus
432 Minuten auf 2 Blu-Rays + 48 Minuten Bonus
- Darsteller:
Essie Davis
Nathan Page
Ashleigh Cummings
Hugo Johnstone-Burt
Miriam Margolye
Tammy Macintosh
Travis McMahon
Anthony Sharpe
Richard Bligh
Ruby Rees
- Regie:
Tony Tilse
Peter Andrikidis
uvm. - Drehbuch:
Deb Cox, basierend auf den Romanen von
Kerry Greenwood - Extras:
Phryne, Die Actionheldin (ca. 4 Min.)
…Bis dass der Tod uns scheidet (ca. 4 Min.)
Sieben Promoclips zur Serie (ca. 6 Min.)
Mr. Butlers Cocktails der Woche (ca. 8 Min.)
Sieben Interviews mit Cast und Crew (ca. 28 Min.)
Trailer
- Technische Details (DVD)
Video: 16×9 anamorph (1,78:1)
Sprachen/Ton: D, GB (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: D, GB
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 16×9 anamorph (1,78:1) Full HD
Sprachen/Ton: D, GB (DTS-HD MA 2.0 )
Untertitel: D, GB
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite DVD
Produktseite Blu-ray
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Wertung: 11 von 15 Goldenen Zwanzigern