Das hündische Herz, illustriert von Christian Gralingen, ist das schönste Buch, das mir in diesem Jahr in den Händen lag. Die Ausgabe der Edition Büchergilde ist allerdings nicht nur enorm ansehnlich, sondern auch editorisch vorzüglich ausgerüstet: Übersetzt und kommentiert von Alexander Nitzberg, schlug die neue Übertragung 2013 hohe Wellen und wurde in nahezu allen namhaften Tageszeitungen positiv besprochen. Den Besprechungen der Neuübersetzung muss kaum etwas hinzugefügt werden, der Text lässt allen, deren Herzen für Expressionismus, Dadaismus und die ganz große Literatur schlagen, die Augen glänzen. Jetzt hat man auch in visueller Hinsicht allen Grund dazu.
Die Erzählung allerdings ist unansehnlich: Ein verbrühter Straßenköter wird vom Schönheitschirurgen und Medizinprofessor Filipp Fillipowitsch aufgenommen und aufgepäppelt. Zusammen mit dem Assistenten Iwan Arnoldowitsch Bormenthal entfernt Filipowitsch dem Hund Samenleiter und Hirnanhangsdrüse, um ihm dafür die humanen Äquivalente eines erfolglosen, ermordeten Balalaikaspielers einzupflanzen. Die wider Erwarten erwachende Kreatur ist kaum von der Art Dr. Frankensteins Monsters, sondern lernt laufen, sprechen, lesen und wird zu einem veritablen Problem, als er sich Polygraph Polygraphowitsch, kurz Lumpi, nennen will, um seine Rechte als Sozialist einzufordern. Im Moskau der zwanziger Jahre wird der Hundemensch für den Aristokraten Filipowitsch zur echten Bedrohung.
An dieser Stelle wartet das Buch mit einem besonderen Gimmick auf: Ein kleiner Pass ist in das Buch geflochten, dessen Papier sich trügerisch echt anfühlt – und dessen Motive zwischen Schaltkreisen, orange-türkisen Blaupausen und kleinen Sowjetanspielungen changieren, aber keine bloße Karikatur kommunistischer Ästhetik sind, sondern eher in Richtung Bauhaus und einem verspielten Kubismus verweisen. Die Illustrationen erinnern an Skizzen Paul Klees oder Kurt Schwitters, die mit etwas Steampunk bestäubt wurden.
Die stimmungsvollen Bilder, die in die Gestaltung des informativen Textkommentars hineinreichen, bewegen den Text in eine Richtung, die schon in der Neuübersetzung 2013 forciert wurde: Hier steht keine Kritik des (Real-)Kommunismus im Mittelpunkt, sondern ein Spiel von Technik, Bedrohung und Mystizismus, das Politik reflektiert, aber keine Politik betreibt. Nicht zuletzt, da der Text lange Zeit nicht in der UdSSR publiziert werden durfte, wurde er oft als kommunismuskritisches Buch gelesen, dass die ästhetischen und lautmalerischen Experimente dieses frühen Werks von Bulgakow unterschlug, wie man im eleganten Nachwort NItzbergs nachlesen kann. Dass Polygraph Polygraphowitsch bzw. Lumpi seine Rechte als Sozialist einfordert, heißt auch, dass er Würde einfordert, eine offiziell anerkannte Existenz in der Form eines Passes – das ist ein Wert, der den humanistischsten Aristokraten vertraut vorkommt. Weder der Hundemensch noch der Chirurg sind die böse Personifizierung der Kommunismus oder die gute Personifizierung einer Zweiklassengesellschaft.
Obwohl die farbigen Illustrationen die Grenze zur reinen Abbildung des Geschehens deutlich überschreiten, entwickeln sie keinen Dialog mit dem Text. Damit sind sie eine Augenweide und historisch anspielungsreich (die christliche Motive stechen etwa heraus), können allerdings auch schnell überlesen werden. Das liegt unter anderem daran, dass ganz- oder doppelseitige Bilder gelegentlich inmitten seitenüberschreitender Sätzen platziert wurden, sodass man an einigen Stellen lieber weiterliest, als das Auge in den bauplanerisch wirkenden Flächen, Tiefen und fantastischen Kreaturen schweifen zu lassen. Zweizeilige “Schusterjungen” und “Hurenkinder” gibt es zuhauf und stören besonders zwischen den Illustrationen. Daher arbeitet das lesende gelegentlich gegen das schauende Auge – was allerdings weniger dem Illustrator Christian Gralingen als den Setzern und Layoutern vorzuwerfen ist. Dass man, um die Kommentare zu lesen, allerdings nicht blättern muss, sondern die am Seitenrand platzierten Anmerkungen direkt lesen kann, lässt das Leseerlebnis schon eher zu einem Flanieren werden, das am Ende eines Absatzes auch zurückschauen kann.
Die Kommentare sind an einer Stelle allerdings auf die falsche Seite geraten, sodass man sich – auch um Gralingens Kunst stärker gerecht zu werden – bei dem Setzen des Buches noch mehr Sorgfalt gewünscht hätte. Gleichwohl soll hier betont werden, dass Satz, Papierwahl und Gestaltung meistens kongenial ineinandergreifen und ein wertiges Ganzes geschaffen haben, das nicht aufdringlich wirkt. Damit wird das Buch zu einem Hingucker, der das Rad vielleicht nicht neu erfindet, aber sehr empfehlenswert ist.
Cover und Illustrationen © Christian Gralingen/Edition Büchergilde
Wertung: 13/15 dpt
- Autor: Michail Bulgakow
- Illustrator: Christian Gralingen
- Titel: Das hündische Herz
- Originaltitel: Sobač’e serdce
- Übersetzer: Alexander Nitzberg
- Verlag: Edition Büchergilde
- Erschienen: 2016
- Einband: Bedruckter und geprägter Einband, eingebundener Passport aus Original Ausweis-Textil-Papier-Gemisch, Fadenheftung, Leseband, zwei Papiersorten (natur und blau), vierfarbig gedruckt, Format 14,8 x 21,5 cm
- Seiten: 200
- ISBN: 978-3-86406-062-5
- Sonstige Informationen:
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