1933 im Paderborner Land: Mathilda ist neun Jahre alt, als sie Karl kennen lernt, der als Pferdeknecht auf dem Gestüt Steineck in der Nachbarschaft arbeitet. Sie selbst lebt auf einem kleinen Bauernhof im Dorf Fichtenhausen als jüngstes von zehn Kindern. Seit dem Tod ihrer Mutter vor drei Jahren wird sie von ihren älteren Schwestern drangsaliert, nur ihrem Bruder Joseph scheint etwas an ihr zu liegen – und Karl.
1940 kommt Mathilda von ihrem Pflichtjahr auf einem Gut an den elterlichen Hof zurück. Bevor sie nach Hörste ging, hatte sie einen verzauberten Sommer mit Karl, in dem er sie schwimmen lehrte und ihr die Sterne zeigte. Auch ihrem Bruder entging nicht die enge Vertrautheit zwischen der kleinen Schwester und seinem besten Freund. Umso erschütterter reagiert Joseph, als er bei Mathildas Rückkehr erfährt, dass sie keinerlei Kontakt mehr zu Karl hat. Das ändert sich, als Joseph Karl zu verstehen gibt, wie sehr Mathilda unter seinem Schweigen leidet. Karl schreibt ihr nun regelmäßig Briefe von der Front, zunächst aus Frankreich und schließlich aus Russland. Warum er sich zurückgezogen hatte und ihre Beziehung trotz der neu aufflammenden Gefühle aus seiner Sicht keine Zukunft haben kann, behält er für zunächst sich.
Wie und warum Karl im Alter von vierzehn Jahren als Pferdeknecht an das Gestüt kam, ist ein sorgsam gehütetes Geheimnis der Familie Steineck. Für die Nachbarn, denen sie als Protestanten im erzkatholischen Paderborner Land ohnehin suspekt sind, haben sie sich eine Geschichte ausgedacht. Doch die schlimmste Gefahr geht für Karl nicht von den Dorfleuten aus, nicht einmal von den feindlichen Attacken, mit denen er sich als Wehrmachtssoldat konfrontiert sieht. Sondern von einem Regime, das Menschen aufgrund ihrer Abstammung verfolgt und ermordet. Und von der Liebe zu einer verträumten und dickköpfigen jungen Frau.
Das harte Landleben in Kriegszeiten
Die Schriftstellerin Daniela Ohms, die bisher vor allem Fantasy-Romane veröffentlicht hat, verarbeitete in dem Buch „Winterhonig“ einen Teil der Lebensgeschichte ihrer Großmutter, die in den Kriegsjahren im Paderborner Land aufwuchs. In ihrer Danksagung würdigt die Autorin zwei intensive Jahre mit der Großmutter und Mathilda, der Protagonistin in „Winterhonig“. Hier wird bereits deutlich, warum diese Geschichte den Leser umgehend in diese Zeit, in dieses harte Leben mitnimmt. Mathildas Geschichte wirkt echt und real, mit all dem Leid, mit den freudigen Momenten und dem festen Willen, das Beste aus der Situation zu machen. Die Rezensentin hat selbst Land und Leute im Paderborner Land in ihrer Kindheit so erlebt und den Erinnerungen ihrer Tante an jene harten Jahre gebannt gelauscht. Daniela Ohms erweckt in „Winterhonig“ diese Zeit und diesen entbehrungsreichen Alltag zum Leben und entwickelt daraus ein aufwühlendes Drama, das auch ein Stück deutscher Zeitgeschichte widerspiegelt.
Mathilda und Karl erzählen die Geschehnisse aus ihrer persönlichen Sicht. Die Kernhandlung setzt im Sommer 1940 ein und endet 1949. Immer wieder taucht die Erzählung in die Vergangenheit Mathildas und Karls ab und erzählt chronologisch Ereignisse aus ihrer Kindheit. Die Geschichte könnte am Anfang einem Heimatroman entsprungen sein, was in keiner Weise negativ gemeint ist. Mathildas Leben prägt zunächst die Trauer um ihre Mutter und das Gefühl, nutzlos zu sein. Ihr Alltag besteht aus wenig mehr als harter Arbeit, einem dogmatischen Katholizismus und der autoritären Haushaltsführung durch ihren Vater und die ältere Schwester Katharina. Die wenigen Glücksmomente beschränken sich auf gemeinsame Stunden mit ihrem Bruder und seinem neuen Freund, dem geheimnisvollen Karl. Diese Alltagsgeschichten aus einer Zeit, die noch gar nicht so lange her ist und doch eine vollkommen andere Welt darstellt, lesen sich bereits mitreißend und äußerst interessant. Mathilda lässt den Leser unmittelbar an Gedanken und Emotionen teilhaben und entwickelt sich bald zur Identifikationsfigur.
Etwas anders verhält es sich mit Karl, der sein gefährliches Geheimnis lange wahrt. Seine Geschichte ist spannender als Mathildas, da er immer verzweifelter um sein Überleben kämpfen muss. Zuerst aufgrund des immer grausamer werdenden Kriegs, dann wegen seiner Herkunft, die ihn auch an der Front einholt. Als Charakter kommt Karl nicht ganz so lebensecht herüber, wie Mathilda, trotzdem wir auch seinen Gedanken und Ängsten folgen. Was einerseits am Nimbus des Geheimnisvollen liegt, der ihn stets umgibt, und andereseits daran, dass er insgesamt zu modern und aufgeklärt wirkt. Trotzdem schnell deutlich wird, warum er über einen gehobenen Bildungshintergrund verfügt.
Ein herzzerreißendes Liebesdrama
Hochdramatisch entwickelt sich von Anfang an die Beziehung zwischen Mathilda und Karl, lange bevor daraus Liebe wird. Hier spannt Daniela Ohms einen Spannungsbogen, der dem klassischen Drama entnommen sein könnte und genauso auf den Leser wirkt: ein sich langsam steigerndes emotionales Crescendo.
Zum Ende des Romans geht die Detailverliebtheit der Erzählung verloren. Karl nimmt mit seinem Vorgesetzten Oberstleutnant Georg Freiherr von Boeselager (den gab es wirklich) an einer historisch belegten Aktion teil, die vielversprechend eingeführt wird. Leider erfahren wir nur recht knapp und ausschließlich an den historischen Fakten orientiert, was sich dort zugetragen hat. Die Episode wird leider nicht wirklich zu einem Teil von Karls Geschichte, da lediglich die Planung und nicht die eigentliche Durchführung aus seiner Sicht erzählt wird. Was sehr schade ist. Des Weiteren ist am Ende auch Mathildas Weg für den Leser nicht mehr so nachvollziehbar, wie im Mittelteil des Romans. Sie teilt uns nicht mehr mit, warum sie so handelt, wie sie es tut.
Daniela Ohms hat einige sprachliche Wendungen verwendet, die typisch ost-westfälisch klingen, Dazu gehören zum Beispiel der Begriff „Kaventsmann“ für ein strammes neugeborenes Kälbchen und ein Dialog wie auf Seite 36:
»Dann seht man zu, dass ihr hier fertig werdet.«
Andere Begriffe scheinen jedoch nicht gut in diese Zeit zu passen. Karl benennt in seinen Briefen an Mathilda die feindlichen Armeen oft als „Gegner“. Wie man in Feldpostbriefen aus dem zweiten Weltkrieg nachlesen kann, war immer dann, wenn in allgemeiner Form vom Kriegsgegner gesprochen wurde (und nicht spezifisch zum Beispiel vom „Russen“) in der Regel vom „Feind“ die Rede.
Das ist jedoch Meckern auf sehr hohem Niveau. Denn die vielen Details, die die Autorin aus den Erzählungen ihrer Großmutter verwendet und sorgfältig recherchiert hat, sowie die klare Sprache mit viel Feingefühl für die Zeit, den Handlungsort und das Geschehen, sorgen für ein faszinierendes Leseerlebnis. Daniela Ohms hat mit „Winterhonig“ einen Roman geschrieben, der unter die Haut geht. „Winterhonig“ erzählt eine authentische Lebensgeschichte aus dem Paderborner Land zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und eine herzergreifende Lovestory, die an tiefen Emotionen nichts auslässt. Diese hat die Autorin harmonisch und mit vielen historischen Bezügen in das dunkle Kapitel der Naziherrschaft in Deutschland eingebettet.
Cover© Droemer-Knaur Verlag
- Autor: Daniela Ohms
- Titel: Winterhonig
- Verlag: Droemer-Knaur Verlag
- Erschienen: April 2016
- Einband: Hardcover
- Seiten: 592
- ISBN: 978-3-426-65397-5
- Sonstige Informationen:
Produktseite beim Droemer-Knaur Verlag
Erwerbsmöglichkeiten
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Wertung: 14/15 dpt