Respect! Das ist nicht nur der Titelsong der französischen Serie “Candice Renoir”, sondern den muss man auch haben vor der drallen Candice Renoir, von ihren Kollegen/Untergegebenen erst sarkastisch, dann liebevoll spöttisch “Polizei-Barbie” genannt, die nach einer zehnjährigen Auszeit als vierfache Mutter und Ehefrau eines kosmopolitischen Geschäftsmannes, wieder zurück in ihren Beruf geht. Als Teamleiterin in die Dienststelle der Küstenstadt Sète.
Der Wiedereinstieg gestaltet sich schwierig. Der beliebte Capitaine Antoine Dumas, der eigentlich Commandant werden wollte anstelle der neuen Commandantin, stellt ihre Kompetenz ständig in Frage, ihre Vorgesetzte möchte sie am liebsten umgehend hinausexpedieren, die für Computer (spielen keine große Rolle in der Serie) und schlechte Laune zuständige Chrystelle Da Silva liegt eh mit der Welt im Clinch, dito mit Candice.
Bleiben die forsche Pathologin Pascale Ibarruri, und später ihre ganz ähnlich geartete Nachfolgerin Aline Jego, mit denen sich Renoir anfreundet sowie der Franko-Araber Jean Baptiste, der ihr zumindest wohlwollend begegnet. Was ihn nicht daran hindert, später gemeinsam mit seinen Kollegen um Versetzung zu ersuchen.
Aus der natürlich nichts wird, denn Candice entpuppt sich als findige Polizistin, die mit ihren vielfältigen Kenntnissen und genauen Beobachtungen, Fälle dort löst, wo sonst kaum jemand suchen würde. Dabei mit ihrer Art, die mit Naivität kokettiert, aber von verbissener Zielstrebigkeit ist, das ein und andere Mal aneckt. Wie gut, dass bis dahin aus der misstrauischen Zweckgemeinschaft ein eingeschworenes Team geworden ist.
Nicht nur die neuerliche Arbeit hält Candice Renoir mächtig auf Trab, auch ihre vier Kinder fordern Zeit und Muße, die Candice begreiflicherweise nur selten hat. Worunter auch ihr Liebesleben leidet. Wobei leiden nicht das richtige Wort ist, denn die Verehrer stehen Spalier. Und kaum ist einer aus dem Rennen, sind die nächsten am Start. Angefangen beim Ex-Ehemann Laurent, über den charmanten Nachbarn Hervé, bis in die Polizeigesellschaft, wo sich die schärfsten Kritiker der unkonventionellen Blondine plötzlich als ihre größten Verehrer entpuppen.
Das hätte mächtig schiefgehen können, ein paar Fallen werden auch nicht ganz umschifft (nach zehn Jahren Beurlaubung direkt zurück in leitende Position. Wer da wohl insistiert hat…), Candice Renoir als Powerfrau zwischen allen Stühlen, die sich letztlich mit Macht durchsetzt, wäre wahrscheinlich ein ziemlich ödes Spektakel gewesen.
Doch da ist bereits die Besetzung der Titelfigur mit Cécile Bois vor. Sie versieht die dickköpfige und eigensinnige Candice Renoir mit genügend Brüchen, Fehlern, Selbstzweifeln und einer gehörigen Portion Charme, sodass man es sogar hinnimmt, dass fast jedes männliche Wesen in ihrer Umgebung nach ihr lechzt. Zucker halt. Kriminalistisch gibt sich Candice als Columbo-Wiedergängerin (in der Serie selbst wird darauf unverhohlen angespielt). Sie seziert menschliches Verhalten und interpretiert Umgebungsvariablen, die sie oft auf die richtige Fährte bringen.
Dabei sind die Fälle, speziell für eine eher Richtung Komödie tendierende Serie, oft von ziemlich düsterer Natur. Nicht besonders spektakulär oder in Brutalität ausartend, sondern solche, die Grauen und Verlust in alltäglicher Umgebung thematisieren. Nicht jeder Fall mündet in ein glückliches Ende, zu viele offene Stellen, Opfer Verlierer. An zentraler Stelle müssen sich die Wissenden der Entscheidung stellen, ob sie Gerechtigkeit walten lassen oder der Rechtsprechung dienen. Weder Candice noch Capitaine Dumas eignen sich als Diener. Dieser Zwiespalt wird zwar nicht bis zum bitteren Ende ausformuliert – wir befinden uns in einer weitgehend familienfreundlichen Crimedy – aber ein flaues Gefühl bleibt.
So wird auch nicht jedes Ungemach mit einer Pointe aufgelöst, die französische Serie lässt Gefühle des Unbehagens und der Unsicherheit zu, überträgt diese mitunter auf ihre Protagonisten, explizit auf Chrystelle Da Silva, dargestellt von Gaya Verneuil , der Tochter des Regisseurs Henri Verneuil, der neben Highlights des französischen Kriminalfilms (“Der Clan der Sizilianer”, “I wie Ikarus”), ein paar der besten (“Angst über der Stadt”) wie schlechtesten (“Die Glorreichen”) Jean Paul Belmondo-Vehikel inszenierte. Schleicht Da Silva zunächst wie ein mies gelaunter Teenager durch die Szenerie, verändert sie sich sachte im Laufe der ersten beiden Staffeln nicht nur äußerlich zu einem empathischeren Wesen.
“Candice Renoir” gesteht Hauptfiguren wie solchen, die nur den Fall der Woche bevölkern, Veränderungen und Entwicklungen zu. Nicht zu unterschätzen bei einem Format, dessen nahen Verwandte oftmals nicht über den einmal gesetzten Status Quo hinausgehen, deren Figuren bestenfalls plakativ durch äußere Einwirkungen gefordert werden und sich verändern. Hier läuft das wesentlich dezenter und aus inneren Notwendigkeiten motiviert ab. Ohne dabei die Balance zwischen Humor und Tragik zu verlieren.
Natürlich wird kein tiefenpsychologisches Fernsehexperiment daraus, dazu ist “Candice Renoir” dramaturgisch zu schlicht und formal zu bieder, ohne ein solides Maß an handwerklicher und kinematographischer Geschicklichkeit zu unterschreiten.
Die spanische Serie “Los misterios de Laura” ist ein Phänomen. In Spanien ziemlich erfolgreich, hierzulande nie gelaufen, führte sie zu zwei Ablegern. In Amerika entstanden “The Mysteries Of Laura” (“Detective Laura Diamond”) und in Frankreich die hier besprochene “Candice Renoir”.
“Detective Laura Diamond” hält sich enger an die Vorlage, vergröbert diese aber, vor allem in der finalen zweiten Staffel, in eine allzu unentschlossene und glattpolierte Hochglanz Crime-Soap-Comedy. Allerdings dank ansprechender Besetzung (von Lauras unsympathischen Zwillingssöhnen abgesehen. Da gefallen die ebenfalls anstrengenden jungen Darsteller der französischen Variante wesentlich besser) und einer Handvoll gelungener Gags feierabendtauglich.
“Candice Renoir” übernimmt lediglich die Grundmuster, entwickelt daraus eine ganz eigene Interpretation. Das Laissez faire des Boulevards, die offensive Kombination von Tragödie und Komödie, und die (fast) konsequente Zerlegung der Welt in eine Ansammlung von Zeichen, Verweisen und Partikeln, die man sammeln, zusammensetzen und deuten muss, um Schlüsse ziehen zu können, sind Teil der französischen Popkulturgeschichte (kleiner Verweis auf die “Mythologies” –die “Mythen des Alltags”).
Gepaart mit jenen Manierismen, die Peter Falks “Columbo” zum Erfolg werden ließen (der Wolf im Pelz des naiven Schafes, der hier eine Wölfin ist) sowie Esprit in hohen Dosen, wird “Candice Renoir” zu einem leicht bekömmlichen Cocktail, dessen wohl vorhandenen geschmacklichen Unausgewogenheiten wir gerne verzeihen.
Cover und Fotos © edel:motion
- Titel: Candice Renoir
- Originaltitel: Candice Renoir
- Staffel: 1 & 2
- Episoden: 18
- Produktionsland und -jahr: Frankreich, 2013/14
- Genre:
Kriminalfilm - Erschienen: 01.04.2016
- Label: edel:motion
- Spielzeit:
416 Minuten auf 3 DVDs
520 Minuten auf 4 DVDs - Regie:
Nicolas Picard Dreyfus
Stéphane Malhuret
Christophe Douchand u. a - Darsteller:
Cécile Bois
Raphaël Lenglet
Gaya Verneuil
Clara Antoons
Etienne Martinelli
Alexandre Ruscher
Paul Ruscher
Samira Lachhab
Delphine Rich
Mhamed Arezki
Alix Poisson
- Extras:
Trailershow
- Technische Details (DVD)
Video: PAL 16:9
Sprachen/Ton: D, F (DD 2.0 Stereo)
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite Staffel 1
Produktseite Staffel 2
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 11/15 dpt