Sechs ältere, griechische Männer machen Urlaub auf einer Jacht. Nach einem Abendessen spielen sie eine Art umgekehrtes Wer-Bin-Ich, bei dem nicht die fragende Person herausfinden muss, wer sie ist, sondern die Gruppe herausfinden muss, welche Person vom Befragten ausgewählt wurde. Während der Diener (bzw. Steward der Jacht) gesichtslos zusieht und gerade deshalb eingebunden wird, mündet das Spiel in Beleidigungen: „Nimm sofort zurück, dass ich eine Ananas wäre!“ Doch die Komödie schafft es, dass man nicht einmal bei diesem Satz lacht.
Das Spiel wird beklemmend ernsthaft durchgeführt, weil es keinem der Teilnehmer darum geht, zu spielen, sondern einzig und allein darum, zu gewinnen. Nachdem ein “Verlierer” verärgert aussteigt, muss ein neues Spiel her. Christos, gespielt von einem griechischen Star des Eurovision-Songcontest (nicht schlecht: Sakis Rouvas), erklärt daraufhin ein vermeintlich besseres Spiel, bei dem sich kein Verlierer damit herausreden kann, der Gewinner wäre nur im umgekehrten Wer-Bin-Ich gut, nicht aber im Leben. Das Spiel heißt “Chevalier”, die Regeln sind einfach: Sei der Beste in allem.
Die Regisseurin Athina Rachel Tsangari war Produzentin des griechischen Film Dogtooth, der 2009 den Prix Un Certain Regard der Filmfestspiele in Cannes gewann. Chevalier trägt deutliche Züge des Psychodramas Dogtooth, in der in einer geschlossenen Welt absurdeste Regeln herrschen, die den Beteiligten ganz natürlich vorkommen. Zumindest, bis die Katastrophe geschieht und die gewalttätige und unterdrückerische Konstruktion zusammenbricht. Ein Zusammenbruch, der in Chevalier allerdings ausbleibt. Im Gegensatz zu Dogtooth, der stellenweise unvermittelt brutal inszeniert ist, lebt Chevalier von der Skurrilität und Arroganz seiner Protagonisten. Und einer Starrköpfigkeit, die das sinnlose Spiel funktionieren lassen, obwohl es eigentlich gar kein Spiel ist. Wenn es bei einem Spiel um alles geht, hat man dafür eigentlich ein anderes Wort: Leben.
Diese Verwechslung ist nicht die einzige, entlarvt aber nicht die Idiotie der Protagonisten, sondern die des Films. Das dahinterstehende Konzept ist nämlich leidlich banal: Die männlichen Protagonisten verkörpern ein dysfunktionales Gesellschaftssystem, das menschliche Beziehungen mit gnadenlosen, kapitalistischen Tauschverhältnissen verwechselt: Und das ist schlecht. In einer Szene verteilen sich die Männer gegenseitig Punkte, je nach dem, wie sehr ihre Familien sie in Skype-Telefonaten vermissen. Dass sie sich darüber hinaus gnadenlos selbstgerecht zeigen, macht die Kritik an dieser Gesellschaftsform eindimensional: Die Charaktere sind an keiner Stelle indifferent, die Groteske wirkt konstruiert. So gerechtfertigt die Kritik an dieser Männlichkeit und Gewinnstreben also sein mag, hier erscheint sie im Gewand einer fast ideologischen Inszenierung.
Im Zusammenspiel mit langen Einstellungen eintöniger, grauer und brauner Landschaften, wird der Film nicht nur unemotional, sondern schlicht dröge. Einige Schnitte und Perspektiven erinnern an den monumentalen Dokumentarfilm Leviathan, der zwar ästhetisch wegweisend war, dessen kühle Verschiebungen der Blickwinkel aber kein rein funktionales politisches Projekt verfolgten – damit war Leviathan zwar auch ermüdend, aber nicht ärgerlich. Wo nämlich der Trailer von Chevalier noch von einer Rhythmik der Schnitte und Pointen kündet, geht dem Film damit in jeglicher Hinsicht der Witz ab. Damit bleiben nicht nur die Zuschauer*innen zurück – sondern auch der Film hinter seinem Gegenstand. Leider, denn die Schauspieler sind überzeugend und die Kritik des Films berechtigt – wenn es denn um mehr gehen würde, als sechs unsympathische, reiche Männer in der Midlife-Crisis, die versuchen, Urlaub zu machen. Vielleicht ist das aber auch der politischen Lage Griechenlands geschuldet: Manchmal ist die Realität eindimensionaler, als man es im Film gerne hat. Nur macht das Chevalier noch lange nicht zu einem guten Film.
© Cover und Filmstills: Rapid Eye Movies.
Wertung: 6/15 dpt
- Titel: Chevalier
- Produktionsland und -jahr: Griechenland, 2015
- Genre:
Komödie - Erschienen: Kinospielplan (erstmals in DE: 21.04.2016)
- Label: Rapid Eye Movies
- Spielzeit:
1:44:45 Stunden
- Darsteller:
Yorgos Kendros
Panos Koronis
Vangelis Mourikis
- Regie: Athina Rachel Tsangari
- Drehbuch:
Efthimis Filippou
Athina Rachel Tsangari - Kamera: Christos Karamanis
- Sonstige Informationen:
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