“Adieu Paris” – ein Buch, das 1957 im Jahre seiner Erstveröffentlichung niemand in Frankreich wollte und das erfolgreich totgeschwiegen wurde – bis es nun wiederentdeckt wurde. Nun ist sicherlich nicht jede literarische Neuentdeckung eine positive Entdeckung, doch im Falle dieses Romans von Daniel Anselme ist es ganz bestimmt eine, die einer näheren Betrachtung lohnt, vorausgesetzt der Leser interessiert sich für die jüngere Geschichte Frankreichs, insbesondere den Algerienkrieg, Schicksale junger Kriegsheimkehrer und/oder französisches Essen als literarisches Motiv.
Es geht also um den Algerienkrieg, der in den Jahren 1954 bis 1962 tobte. Es ging um die Unabhängigkeit des nordafrikanischen Staates – und es ging auch um so etwas, wie es Camus formulierte und gerne noch zu Ende beschrieben hätte, wie den Aufbau einer mittelmeerischen Philosophie. Aufgrund der millionenhaften Toten auf algerischer Seite war aber die Utopie nicht mal mehr als Utopie haltbar. Auch Frankreich verlor – oder in den Worten Anselmes: “verheizte” – eine ganze Generation junger Franzosen in diesem Krieg. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts fand in Frankreich eine historische und gesellschaftliche Aufarbeitung des Algerienkrieges statt. Und es wurde tatsächlich ernsthaft darüber diskutiert, ob das ausgegebene pädagogische Lernziel, Frankreich habe nur Positives in seinen Kolonialstaaten bewirkt, etwas differenzierter betrachtet werden müsse. Es wird heute noch darüber gestritten.
Nun, zurück zum Roman. Dieser spielt im Dezember 1956 und richtet seinen Blick auf drei französische Soldaten, die die Gnade eines kurzen Heimaturlaubs erfahren. Doch ganz so entspannt verlaufen die Tage nicht. Es sind typische Heimkehrer-Geschichten, die Anselme den Lesern liefert. Irgendwo zwischen Heimweh, Sehnsucht nach der eigenen Familie, der kränkenden Einsicht, dass das Leben der Angehörigen völlig normal weiter verlaufen ist, da ja nun keinerlei Kriegshandlungen auf französischem Boden stattgefunden haben und der Wut auf die Ignoranz ihrer Landsleute changieren die episodenhaft geschilderten Erlebnisse.
Anselme ist kein großartiger Stilist, auch kein Erneuerer der französischen Literatur; nein, er bedient sich eher traditioneller erzählerischer Instrumente und arbeitet mit vielen motivischen Anspielungen, die über den schnörkellosen Text hinausweisen. Was ihm aber durchaus eindringlich gelingt, ist die Schilderung der zunehmenden Verzweiflung der drei Protagonisten, als das Datum ihres Urlaubsendes näher rückt und sie wieder in die Züge gen Mittelmeer und Algerien steigen. Das Schlusskapitel ist dabei ein mustergültiges Beispiel atmosphärischer Spannung und Verzweiflung. Ohne je kitschig zu werden, schildert der Autor hier anhand seiner drei Protagonisten eine beeindruckende Trilogie des Abschieds.
Ein ebenso glänzendes Kapitel ist die zentrale Essensszene, die in dem je nach Lesart nüchternen oder anklagenden, wütenden Satz mündet: »Warum habt ihr uns gehen lassen?«. Die Schilderung der Essensgesellschaft, die Beschreibung der aufgetischten Speisen und die zunehmende Verwunderung des Soldaten Jean Valette über die Nonchalance der Gäste, die schon fast schmerzhafte Eloquenz, mit der alle versuchen, Jeans Schicksal und den Krieg gar nicht erst zur Sprache kommen zu lassen, beeindruckt nachhaltig und vermittelt mehr über die physischen psychischen Verletzungen des Krieges als so manche Schlachtbeschreibung.
Mit “Adieu Paris” gelang dem Journalisten und Herausgeber Daniel Anselme ein gewaltiger literarischer Nichterfolg, den er vielleicht selbst vorausgesehen hat, ist doch die demonstrative Ignoranz der Franzosen gegenüber dem Algerienkrieg im Roman selbst virulent. Dass ein Roman, der diesen Krieg thematisiert, selbst wenn er durch die Fokussierung auf drei Kriegsheimkehrer fokussiert ist, vor diesem Hintergrund ignoriert wird, ist schon fast zwangsläufig und macht ihn dadurch ein Stück weit authentischer als wenn er ein großer Erfolg gewesen wäre. Das half und hilft dem Autor selbstredend nicht weiter und sein Leben kann durchaus als tragisch gewertet werden. Doch vielleicht sorgt diese Wieder-, nein, es ist eigentlich eine Neuentdeckung, für ein wenig Wiedergutmachung. Erhellend ist auch das Nachwort der Übersetzerin Julia Schoch, in welchem sie die Hintergründe des Lebens Daniel Anselmes sowie des Romans und seiner Rezeption beschreibt.
Ob Daniel Anselme in Deutschland viele Leser finden wird? “Adieu Paris” ist ein stellenweise beeindruckender Roman, doch die täuschen nicht über die Passagen hinweg, in denen es einfach “nur” ein literarisch aufbereitetes historisches Zeugnis ist, dessen Relevanz heute in Deutschland gen Null tendiert.
Cover © Arche Verlag
- Autor: Daniel Anselme
- Titel: Adieu Paris
- Originaltitel: La Permission
- Übersetzer: Julia Schoch
- Verlag: Arche Verlag
- Erschienen: 2015
- Einband: gebunden
- Seiten: 208
- ISBN: 978-3-7160-2719-6
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