„Die Wasserstoffsonate“ ist Iain Banks’ letzter Science-Fiction-Roman. „The Quarry“ heißt seine letzte Erzählung aus dem Off-Genre-Bereich. Um sich auf die Space Opera und Banks’ außergewöhnliche, bissige SF-Schreibe einzustimmen, die nicht selten an absurdes Theater erinnert, lohnt ein kurzer Seitenblick.
„The Quarry“ erzählt die Geschichte eines krebskranken Mannes und seines Sohnes. Der Leser erlebt, was mit Menschen und Mitmenschen in so einer Situation geschieht, wenn die Zeit bis zum Ende abzählbar und knapp wird. Was ist noch von Bedeutung? Was Bullshit?
Kurz vor Fertigstellung der nicht ohne Humor erzählten Geschichte wird Banks von diesen Fragen eingeholt. Nach einer Krebsdiagnose und mehreren Operationen verstirbt der schottische Autor im Juni 2013.
»I think a lot of people have assumed that the SF was the trashy but high-selling stuff I had to churn out in order to keep a roof over my head while I wrote the important, serious, non-genre literary novels. Never been the case […] The SF novels have always mattered deeply to me – the Culture series in particular – and while it might not be what people want to hear (academics especially), the mainstream subsidised the SF, not the other way round.« Iain Banks
Ende der 1980er Jahre hatte Iain Banks damit begonnen, SF zu schreiben. Viele seiner Kurzgeschichten und Romane wurden mehrfach ausgezeichnet. Viele von ihnen gehören zum wunderbaren Kultur-Zyklus. Auch „Die Wasserstoffsonate“ ist in dem parallen und futuristischen Kultur-Universum angesiedelt, indem unter anderem hochintelligente, recht eigenwillige KI-Raumschiffe, die die Bevölkerungen ganzer Planeten auf ihren Rücken transportieren und Namen wie ‘Glaubt bloß nicht …’, ‘Caconym’ oder ‘Besser als Arbeit’ tragen durch die Galaxis schippern, und sich sterbende Sonnen angucken, weil sie das traurig-schön finden.
»Es gibt immer Bedeutung. Zumindest zeigen alle Dinge die beunruhigende Tendenz, Bedeutung zugeschrieben zu bekommen, wenn intelligente Wesen in der Nähe sind.« QiRia
Die Space Opera ist nicht weniger als die Geschichte eines Endes – und damit die genre-technische Umsetzung des lebensnahen „The Quarry“. Mit beiden Büchern arbeitet sich Banks an einer existenzialistischen und, wie in vielen seiner Werke, auch absurd-komischen Betrachtung von Leben, Tod und dem sinnlosen Rest dazwischen ab.
»Wenn man den Tiefpunkt überlebt, der mit dem Verständnis einhergeht, dass die Leute auch weiterhin dumm bleiben und grausam zueinander sind, ganz gleich, was auch geschieht, bis in alle Ewigkeit – wenn man diesen Tiefpunkt überlebt; viele begehen an dieser Stelle Selbstmord –, dann kann man beginnen, sich eine neue Einstellung zu eigen zu machen, die da lautet: Ach, was soll’s. Es wäre weitaus wünschenswerter, wenn die Dinge besser wären, aber sie sind es nun einmal nicht, und wir müssen das Beste daraus machen. Mal sehen, welchen Schwachsinn sich die Tölpel diesmal einfallen lassen, um sich das Leben schwer zu machen.« QiRia
Banks’ Protagonistin Vyr Cossont erlebt ein Abenteuer, das über sie hereinbricht wie ein Schneesturm über einen Beduinen. Sie gehört zur Spezies der Gzilt, die in 24 Tagen sublimieren wird. Die Sublimation ist nichts anderes als ein durchorganisiertes Quasi-Aussterben der gesamten Spezies, die von der Ebene des Realen in die Ebene des Sublimen wechselt. Dieses Wir-gehen-jetzt-alle-schön-gemeinsam-von-der-Klippe-springen ist allerdings durch die brisante Beichte einer befreundeten Spezies in Gefahr. Vyr hat das Pech/Glück jemanden zu kennen, der darüber mehr weiß, als sie selbst. That’s it.
„Das Sublime. Das fast greifbare, völlig glaubhafte und mathematisch beweisbare Nirwana, nur ein paar rechte Winkel vom guten, alten, langweiligen Realen entfernt: eine riesige, unendliche, besser-als-virtuelle Ultraexistenz ohne Aus-Schalter. Seit der metaphorischen Kindheit der Galaxis war das Sublime Ziel aller Spezies und Zivilisationen, die vom Leben im Realen die Schnauze voll hatten.“
Mit der frechen, anarchischen, bitter-bös-humoristischen Art erzählt Banks seinen Roman. Diese Spezies hat das Sublime schon vor langer Zeit betreten. Sie lassen den Gzilt kurz vor ihrem Übergang eine fragwürdige Botschaft zukommen. „Das Buch der Wahrheit“, die Bibel der Gzilt, deren Prophezeiungen sich alle erfüllt haben, war nicht mehr als ein soziologisches Experiment.
Prinzipiell ist das aber völlig unwichtig. Das Sublime exisitiert und das „Buch der Wahrheit“ hat für die Gzilt vielleicht noch die häufig überlesene Bedeutung eines Gütesigels, das unten links in der letzten Falte der Verpackung flüstert: »Ihr seid ‘ne besonders tolle Spezies«.
Trotzdem nötigt diese Botschaft nun einige Interessensgruppen zum Handeln, das Gzilt-Militär beispielsweise, das sich nun irgendwie selbst bekämpft, um die Wahrheit über das Buch geheim zu halten, und einige Kultur-Schiffe, die der Sache auf den Grund gehen wollen (ist die neue Wahrheit wahr?) , allerdings auch nicht so recht wissen, warum, weil die Beantwortung dieser Frage wohl keine signifikanten Konsequenzen hätte.
Vyr Cossont will eigentlich nur die Wasserstoffsonate auf ihrer Elfsaite spielen können, bevor sie sich in 24 Tagen der Dekadenz-gewordenen Evolution anschließt und mit einem schampusbeseelten Grinsen in eine neue Seinsweise übertritt. Leider kennt Vyr einen Herrn namens QiRia, der wahrscheinlich nicht nur eines der ältesten humanoiden Lebewesen der Galaxis ist sondern aufgrund eines blöden Zufalls auch vollständigen Zugriff auf alle seine Erinnerungen hat und deswegen vielleicht mehr über diese Botschaft weiß. Vyr wird nun vom Gzilt-Militär und der Kultur gesucht, nur um QiRia zu finden. In diesem Rahmen erkundet der Leser das Universum und riecht an jeder Handlungsecke eine markante Absurdität durch die Seiten strömen.
Ja, mein Gott, man nimmt’s halt vorweg: Plottechnisch ist das konsequenterweise total irrelevant. Deswegen ist „Die Wasserstoffsonate“ ein großartiges Buch. Ian Banks’ SF ist etwas sperrig (Dietmar Dath hat das so ähnlich in seinem Nachruf auf Iain Banks in einem furchtbar komplizierten Satz ausgedrückt) aber gewitzt-menschlich und entlarvend auf die liebevolle aber schonungslos gute Art. “Die Wasserstoffsonate” als phantastische und absurde Erzählung ist absolut empfehlenswert; vor dem Hintergrund von “The Quarry” ist sie außerdem ein schönes Beispiel für die Art und Weise, wie phantastische Literatur jenseits einer “lebenswirklicheren” Darstellung anders mit den Fragen umgehen kann, die vielleicht von Bedeutung, in jedem Fall aber allzumenschlich sind.
-
- Autor: Iain Banks
- Titel: Die Wasserstoffsonate
- Originaltitel: The Hydrogen Sonata
- Übersetzer: Andreas Brandhorst
- Verlag: Heyne
- Erschienen: 07/2014
- Einband: Paperback, Broschur
- Seiten: 704
- ISBN: 978-3-453-31546-4
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeiten
- Autor: Iain Banks
Wertung: 14/15 dpt