Fargo – Staffel 2 (Serie, 4DVD/3BD)

Fargo Staffel 2 CoverWillkommen zurück in Fargo! Oder besser gesagt im Mittleren Westen der USA. Schon in der ersten Staffel wandelten die Charaktere zwischen North Dakota und Minnesota, damit das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Gut und Böse zu vielfältigen Begegnungen führen konnte. In Staffel zwei dehnt sich das Einzugsgebiet gar noch auf South Dakota aus, doch das ist bei Weitem nicht die einzige Grenze, die die Serie in ihrem Expansionsdrang überschreitet. Schöpfer Noah Hawley beweist allerdings auf eindrucksvolle Weise, dass Wachstum nicht gleich mit Größenwahn einhergehen muss.

Im Mittelpunkt der neuen Staffel stehen nicht Molly Solverson und Gus Grimly, stattdessen ganz andere Figuren aus dem Mittleren Westen im Jahr 1979. Ende der glorreichen Siebziger sieht zwar noch alles fesch und groovy aus (hier dank spezieller Kameralinsen mit Anspruch auf Authentizität dargestellt), doch in der US-amerikanischen Gesellschaft brodelt es gewaltig. Der Vietnamkrieg steckt dem Volk noch in den Knochen, die Wirtschaft rutscht in eine neuerliche Rezession, Präsident Jimmy Carter sägt an seinem eigenen Stuhl und der künftige Präsident Ronald Reagan bringt sich in Stellung. In einer Zeit tiefer Verunsicherung wirkt der nahende Beginn des neuen Jahrzehnts wenig aufbauend, ganz im Gegenteil: Was in Paul Thomas Andersons „Boogie Nights“ in der Silvesternacht 1979 wenige Sekunden nach Mitternacht geschieht, beginnt hier schon mitten im Jahr und mit einer noch höheren Intensität und Brutalität.

Am Beginn steht ein simpler Sachverhalt: Eigentlich will der Kleinganove Rye Gerhardt (Kieran Culkin) eine Richterin (Anne Cusack) überzeugen die Klage gegen einen Schreibmaschinenverkäufer (Mike Bradecich) fallen zu lassen, damit sie beide Geld mit den angeblich modernsten Schreibmaschinen machen können. Rye sucht besagte Dame in einem Waffelhaus in Luverne, Minnesota auf, um ein wenig Druck auszuüben, doch als diese sich wehrt, dreht der unter Drogen stehende junge Mann durch. Es folgt ein meisterhaft inszeniertes, schwarzhumoriges Massaker, das durch sein Ende das Feld für zehn spannungsgeladene Folgen bestellt.

Fargo Staffel 2 Szenenbild 1Denn Rye Gerhardt entpuppt sich als Sohn von Otto Gerhardt (Michael Hogan), einem deutschen Einwanderer, der sich über Jahrzehnte ein mafiöses Imperium aufgebaut hat, das zumindest in Minnesota unangefochten geblieben ist. Das Verschwinden des Filius‘ fällt zeitlich mit einem Schlaganfall des Vaters zusammen, wovon wiederum die Kansas City-Mafia Wind bekommt, die sich mit dem Gedanken schwanger trägt die Situation nach der kapitalistischen Expansionslogik für einen Übernahmeversuch zu nutzen. Im folgenden Verlauf kreuzen sich die Erzählstränge zwischen den einzelnen Parteien immer wieder so gekonnt, dass man sich eher an einen Roman erinnert fühlt, in den mehrere Jahre Arbeit geflossen sein müssen.

Sollte Noah Hawley die Wahrheit sagen, hat er aber nicht einmal ein Jahr gebraucht, nur einige grobe Ideen waren ihm schon während Staffel eins gekommen. So zum Beispiel die mysteriöse Legende um Sioux Falls, die Lou Solverson (Keith Carradine) nur andeutet, aber nie preis gibt. Dieses Rätsel wird gelöst und nach einer halben Stunde in Folge eins auch, worin denn eigentlich die Verbindung zwischen den beiden Staffeln besteht. Lou Solverson (Patrick Wilson) wird als junger Familienvater eingeführt, Tochter Molly ist noch ein Kind. Es ist eine weitere mutige Entscheidung die Vergangenheit nicht durch althergebrachte Flashbacks zu beleuchten, sondern ihr eine ganze Staffel und einen eigenen Plot zu widmen. So erfährt auch die vorangegangene Season eine Aufwertung, beim neuerlichen Schauen der ersten zehn Folgen werden nun ganz neue und spannende Querverbindungen offensichtlich.

Fargo Staffel 2 Szenenbild 2Das ist aber nur die schmackhafte Kirsche auf einem fetten Designer-Eisbecher. Im Vergleich zur ersten Staffel wirkt die Herangehensweise entschiedener, ernsthafter und geschliffener, die Machart eindeutiger. Die großartigen Kamerafahrten, die wunderschönen Bilder und die sich wiederholenden Motive fügen sich zu einer sicheren Komposition und einem schlüssigen Gesamtkunstwerk zusammen. Dazu gehören beispielsweise die Split-Screen-Technik oder – etwas subtiler – das Spiel mit Geschwindigkeiten zwischen rasanten Highlight-Shots und atemberaubenden Landschaftsaufnahmen. Das alles passt dann auch noch zur Erzählweise und zum Plot, was „Fargo“ auf ein neues, schwer zu toppendes Level hebt.

Der Erzählstrang ist wendungsreich, aber gleichzeitig stringent und glasklar und verzichtet im Gegensatz zur Vorgängerstaffel auf allzu große Zufälle. Hawley beweist sich als Schreiber, der vor Ideen und Selbstbewusstsein nur so strotzt und trotz wechselnder Regisseure eine geschlossene Vision umsetzen kann. Da passt es perfekt ins Bild, dass der namhafte Cast aus Staffel eins noch einmal übertroffen werden konnte. Neben Patrick Wilson ist sicherlich Kirsten Dunst das große Zugpferd der Serie. Sie nimmt sich der Friseurin Peggy Blumquist an, die weitere Themen der Zeit anspricht und mehr oder weniger gewollt den Zwiespalt zwischen Kleinbürgertum beziehungsweise Landleben und den durch den Feminismus geöffneten Horizont für Frauen auf den Punkt bringt. Ihr Mann Ed, gespielt von Jesse Plemons (u.a. The Master, Breaking Bad), träumt hingegen vom typischen Familienleben, für das er eigentlich nur die Fleischerei übernehmen muss, in der arbeitet.

Fargo Staffel 2 Szenenbild 4Jean Smart ist als Floyd Gerhardt zu sehen, die das Gerhardt-Imperium als erste Frau weiterführt, selbstredend gegen große Widerstände aus diesem patriarchalisch organisierten Teil der Lebenswelt. Ted Danson ist wiederum bekannt aus „CSI“ und verleiht hier Lous Schwiegervater Hank Larsson einen höchst sympathischen Anstrich. In einer Nebenrolle ist Nick Offerman zu sehen, in den USA ein Comedystar mit immer größer werdenden Ambitionen in Richtung „ernsthafter Schauspielerei“. Dazu gesellen sich allerlei weniger bekannte Gesichter und Newcomer. Das aus der Zeit gefallene Gesicht von Jeffrey Donovan als Dodd Gerhardt, Zahn McClarnon als seine rechte Hand Hanzee Dent, der als Vertreter der indigenen Völker zusammen mit Bokeem Woodbine als zwielichtiger, afroamerikanischer Gangster Mike Milligan das Leben als Teil einer Minderheitengruppe darstellt. Die Liste ließe sich noch ein ganzes Stück weiter führen, doch auch das ist eine Stärke von „Fargo“: Wer sich angefixt fühlt, bekommt eine Menge zu entdecken.

Bei der Aufzählung der Figuren und ihrer Hintergründe wird allerdings schon deutlich, dass die Serie ein Gefühl vermitteln will. Ohne diese Zeit miterlebt zu haben und ohne US-Amerikaner zu sein, setzt sich trotzdem der Eindruck fest, „Fargo“ könnt ein Zeitzeugnis sein, obwohl es fast vierzig Jahre später erscheint. Und das alles immer noch vor dem Hintergrund, dass die Coen-Brüder permanent über den Dingen schweben, mit mal mehr mal weniger offensichtlichen Hommages bedacht, aber nie nur dumpf kopiert werden. Ganz im Gegenteil finden Hawley und sein Team immer neue Ausdrucksweisen, die den schwarzen Humor aufpeppen und verfeinern. Neben einigen herausragenden Monologen finden sich Szenen von explosiver Brutaliät und passende Horrorelemente, die schlüssig ins Gesamtkonzept passen. Der „Fargo-„ bzw. der Coen-Brüder-Kosmos wird auf beeindruckende Art erweitert, so wie es die Vorbilder selbst momentan nur selten schaffen. Sie werden sich also freuen, dass sie sich doch dazu entschieden haben die Serie zu produzieren und sich ein sowohl in finanzieller als auch künstlerischer Hinsicht befriedigendes Standbein aufgebaut zu haben.

Fargo Staffel 2 Szenenbild 3Zu kritisieren gibt es wahrlich wenig. Einige Charaktere des umfangreichen Casts hätten etwas ausführlicher und tiefergehender beleuchtet werden können, doch die Serie bleibt von Anfang bis Ende dicht und braucht aufgrund der flexiblen Folgenlänge keine unnötigen Szenen einzufügen. Des Weiteren zeigt Staffel zwei, dass sich die einzelnen Seasons im Nachhinein ergänzen können, sodass manch eine Nebenfigur in Zukunft noch mit interessanten Details gefüllt und manch eine vermeintliche Schwäche gar zu einer Stärke werden könnte. Hier und da hätte es ein wenig subtiler zugehen können, schließlich wissen mittlerweile nicht nur die Coen-Fans die Hiob- und Sisyphos-Gleichnisse zu deuten, mit denen hier aber immerhin etwas gespielt wird. Aber das sind Kleinigkeiten und oft genug zeigt sich die Kritik auch etwas zu pedantisch. Trotzdem sei die Frage erlaubt, welche Punktzahl denn nun am Ende stehen soll. „Fargo“ Staffel zwei ist von einer selten gesehenen Qualität und gehört zweifellos zu den stärksten Seasons der letzten Jahre, doch sie ist eben auch erst die zweite der Serie. Anders ausgedrückt: Wie geht es nach diesem Highlight weiter? Hat Noah Hawley noch was im Köcher? Gibt es noch weitere superbe Geschichten im „The History Of True Crime In The Midwest“-Buch? Während man aufs Äußerste gespannt auf Staffel Nummer drei sein darf, sollte die Freude über das gerade Gesehene erst einmal anhalten und volle Punktzahl als Wertschätzung in einer schnelllebigen Zeit verstanden werden.

FAZIT: In Staffel eins bewies Noah Hawley, dass „Fargo“ als Serie funktionieren kann, mit Staffel zwei setzt er bereits Maßstäbe. Die Season besticht durch ihre Klarheit, ihre Sicherheit und ihr Selbstbewusstsein. Auf der technischen Seite stehen die Kameraarbeit, der Cast und die Drehbücher, die allesamt groß und überragend sind. Die zehn Folgen wirken wie ein Gesellschaftsroman über das Jahr 1979, der in sich geschlossen schon überzeugt, zusätzlich aber durch ein paar Querverweise zu den Coen-Brüdern und zur ersten Staffel noch weit über sich hinaus strahlt. Der schwarzhumorige Grundton atmet ein wenig Ernsthaftigkeit und Seriösität ohne angestrengt zu wirken. Das alles hievt „Fargo“ auf ein ganz neues Level und sorgt dafür, dass die Zuschauenden eines der besten Serienerlebnisse der letzten Jahre zu sehen bekommen.

P.S.: FSK 16 ist dann doch etwas großzügig bemessen, denn es geht ordentlich zur Sache.

  • Titel: Fargo
  • Staffel: 2
  • Episoden: 10
  • Originaltitel: Fargo – Season 2
  • Produktionsland und -jahr: USA 2015
  • Genre:
    Thriller
    Black Comedy
  • Erschienen: 12.05.2016
  • Label: 20th Century Media Fox Home Entertainment
  • Spielzeit:
    600 Minuten auf 4 DVDs
    600 Minuten auf 3 Blu-Rays
  • Darsteller:
    Patrick Wilson
    Kirsten Dunst
    Jesse Plemons
    Ted Danson
    Jean Smart
    u.v.m.
  • Drehbuch: Noah Hawley
  • Extras:
    “Lou on Lou: A Conversation with Patrick Wilson, Keith Carradine and Noah Hawley”, “Waffles and Bullet Holes: A Return to Sioux Falls”, “The Films of Ronald Reagan: Extended Fargo cut”, “The True History of Crime in the Midwest”, and “Skip Sprang TV Commercial”
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    16:9, 1,78:1
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB, FRA
    Untertitel:
    D, GB, FRA
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9, 1,78:1
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB, FRA
    Untertitel:
    D, GB, FRA
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 15/15 dpt

Teile diesen Beitrag:
2 Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share