John Nivens Roman “Kill Your Friends” wird gerne mit Bret Easton Ellis’ “American Psycho” verglichen. Der Vergleich hinkt. Trotz der Drogen, der ausschweifenden Sexgelage und des blutigen Mordens ist der 1997 spielende “Kill Your Friends” auf sarkastische Weise witziger, in seiner formalen Gestaltung weit weniger explizit und als gesellschaftspolitischer Diskurs geradezu ein Leichtgewicht. Am gravierendsten sind aber die Unterschiede bezüglich der Motivation zu morden. Während Patrick Bateman foltert und tötet, um einen exzessiven Kontrapunkt zu seinem hohlen Leben, das nichts weiter als permanentes Product-Placement ist, zu besitzen, killt der A & R-Manager Steven Stelfox, um den Status Quo seiner ebenfalls oberflächlichen Existenz zu bewahren, beziehungsweise zu verbessern.
Eins haben beide Bücher aber gemein; eine textnahe Verfilmung wäre eine Mixtur aus Hardcore-Porno und derbem Splatter, wobei auch hier “American Psycho” seinen englischen Kollegen auf die weniger blut- und spermabesudelten Ränge verweisen würde. Beide Verfilmungen haben aber Abstand von allzu drastischen Exzessen genommen und überlassen detailliertere Ausformulierungen der Fantasie ihres Publikums. Eine nachvollziehbare Entscheidung, wenn man davon ausgeht, dass mit dem jeweiligen Film Geld verdient werden soll.
Führt bei “Kill Your Friends”, dessen Drehbuch vom Autor Niven selbst stammt, zu einer Freigabe ab 16 und ausführlichen Off-Kommentaren der Hauptfigur, die Schärfe ins Geschehen bringen sollen. Doch die beständigen Erklärungen dessen, was nicht gezeigt wird, führen eher zum Gegenteil, fördern lindes Desinteresse. John Niven hält sich weitgehend an den Verlauf seines Romans, Owen Harris findet glatte, aseptische Bilder dafür, die nur selten jenen Wahnsinn der eitlen Menagerie im Musikbusiness erfassen, der eine Gratwanderung zwischen Euphorie, Ekstase und jederzeit möglichem Absturz mit sich bringt.
Wie jene eindrückliche Sequenz gegen Ende des Films, als der ehemalige Hoffnungsträger (zwischen Rap und Dubstep) Rage, an den Rollstuhl gefesselt und kaum noch artikulationsfähig, zu Stelfox geschoben wird und dieser umgehend die beabsichtigte Vertragsauflösung annullieren lässt. Denn er erkennt messerscharf, dass das vorher unverkäufliche, experimentelle, drogenverpeilte Ein-Song-Monstrum mit Rages Background als hirngeschädigtem Krüppel sich wunderbar vermarkten lässt. Natürlich behält der Zyniker Recht. In die Läden gebracht als letzter Aufschrei einer gequälten und letztlich eliminierten Künstlerseele wird das Album ein Erfolg. Steven Stelfox triumphiert.
Danach sah es lange Zeit nicht aus. Denn Stelfox, der ziemlich schnell über die reale Leiche eines Konkurrenten geht, schien unter der Diskrepanz zwischen Ambition und realem Erfolg begraben zu werden. Doch ein glücklicher Zufall – die unbegabtesten, von Stelfox gesignten Nulpen werden Top Of The Pops – bremst den Fall. Passend platzierte Dateien mit Kinderpornographie, ein weiterer Mord und die richtige Connection zur Polizei (Vögeln verbindet und ist nicht jeder eine verkappter Songwriter?) machen Stelfox kometenhaften Aufstieg aus der Asche unausweichlich. Spiel, Satz und Sieg.
Der Ehrliche ist der Dumme. Was Ulrich Wickert weiß, kennt John Niven aus eigener Erfahrung. Und bastelt daraus einen sarkastischen, überbordenden Roman, bei dem man sich als Leser schnell sicher ist, dass er gar nicht allzu weit von der wahren Musikindustrie sein perfides Spiel durchzieht. Ehrgeiz ist der wahre Motivator, nicht Talent oder Können. Niven findet eine wunderbare Paraphrase dafür, die auch im Film vorkommt, mit Ex-Spice Girl Geri Halliwell und unappetitlichen Aktivitäten, die um ein Gewässer voller Sperma und gefräßiger Haie kreisen. Das ist fies, hinterhältig, gemein und so treffend wie witzig. Im Roman. Im Film ist es ein weiterer Off-Kommentar, den man anerkennend zur Kenntnis nimmt, doch der weder visuell noch inszenatorisch aufregend umgesetzt wird. Man nimmt ihn mit, wie so vieles. Deshalb bleibt “Kill Your Friends” durchaus unterhaltsam, ohne die analytische Schärfe seiner Vorlage zu erreichen.
Gelungen, bis auf wenige Ausnahmen, sind die schauspielerischen Leistungen. Nicholas Hoult nimmt man den Ehrgeizling um jeden Preis ab, auch wenn ihm gelegentlich der nötige oberflächliche Charme fehlt, seine Chefs und Kollegen sind treffend besetzt. Rebecca, erst willfährige Sekretärin, dann Femme Fatale mit Anspruch bekommt leider zu wenig Raum, um den Wandel beziehungsweise die Entwicklung rundum nachvollziehbar zu gestalten.
Toll macht Edward Hogg seine Sache als scheinbarer Columbo-Verschnitt, der aber nur im Interesse seiner eigenen musikalischen Sache agiert. Und später zum Komplizen von Stelfox wird. Hogg gäbe auch einen guten Dr. Who in David Tennants Nachfolge ab. Ebenfalls stark ist Rosanne Arquettes Mini-Auftritt als frustrierte Feministin, punktgenau zwischen ehrlicher Entrüstung und Farce angelegt. Demgegenüber kackt Moritz Bleibtreu als deutscher Techno-Produzent Rudi völlig ab. Eine Fremdschäm-Mission in Overacting. Man hat das Gefühl, Bleibtreu habe seit “Die Gang” wenig dazugelernt. Nach wenigen Minuten ist der Spuk glücklicherweise vorbei. Wenn man die Bonussektion außen vor lässt, bei der Bleibtreu von einem Schweizer Reporter Honig ums kleine Bärtchen geschmiert bekommt. Gar nicht schön.
Noch ein Pluspunkt des Films ist sein Soundtrack. Die Originalsongs der ausgehenden Neunziger werden stimmig eingebaut und die eigens geschaffenen Kompositionen sorgen für Aufmerksamkeit. Die erfundenen “The Lazies” werden im Film zu Recht zu Stars. Rudis ferkelige Clubhymne “Why don’t you suck my fucking dick” ist allerdings bloßer Durchschnitt, die ein echter A & R Manger nie für 50 000 (Euro, Pfund, Dollar) erstanden hätte. Oder vielleicht doch? Denn laut Steven Stelfox sind in seinem Arbeitsfeld viel zu viele Ahnungslose, Versager und geldgeile Hirnwichser unterwegs, die zudem oft zu drogenvernebelt agieren, um einen Hit von einem feuchten Furz unterscheiden zu können. DAS vermittelt “Kill Your Friends” überzeugend.
Es wird kolportiert, dass John Niven in seiner Zeit als A & R Manager – ja, der Mann weiß worüber er schreibt – Coldplay abgelehnt hätte, mit der Begründung, die Band sei “Radiohead für Beschränkte”. Egal ob’s stimmt oder nicht, ist diese kleine Anekdote entlarvender und witziger als der gesamte Film. Denn unabhängig, ob man inhaltlich zustimmt, hätte der erzielte Verdienst Steven Stelfox‘ ästhetische Abwertung unter sich begraben.
Cover und Fotos © Ascot Elite
- Titel: Kill Your Friends
- Originaltitel: Kill Your Friends
- Produktionsland und -jahr: UK, 2015
- Genre: Komödie, Drama, Thriller, Literaturverfilmung
Erschienen: 18.03.2016 - Label: Ascot Elite Home Entertainment
- Spielzeit:
100 Minuten auf 1 DVD
104 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Nicholas Hoult
Edward Hogg
Ed Skrein
James Corden
Rosanna Arquette
Moritz Bleibtreu
Georgia King
Regie: Owen Harris
- Drehbuch: John Niven
- Kamera: Gustav Danielsson
- Musik: Junkie XL
- Extras: Interviews, B-Roll, Premiere, Trailer, Programmtipps
- Technische Details (DVD)
Video: 2.39:1 / 16:9
Sprachen/Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2.39:1 / 16:9 – 1080 / 24p HD
Sprachen/Ton: Deutsch (DTS-HD 5.1), Englisch (DTS-HD 5.1)
Untertitel: Deutsch
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 8/15 Vergoldete Schallplatten