Kan Takahma – Stille Wasser (Buch, Graphic Novel)

Kan Takahama - Stille Wasser (Cover © CARLSEN Verlag)Dass es sich bei den insgesamt acht kurzen Erzählungen, aus denen sich Kan Takahmas Graphic Novel “Stille Wasser“ zusammensetzt, um keine von Heiterkeit geprägten Episoden handelt, offenbart sich von der ersten Seite an. Ein tiefes Schwarz prägt nicht nur diese, sondern sämtliche Seiten der Graphic Novel, ist Überleitung in die einzelnen Erzählungen und Hintergrund der ausnahmslos in Graustufen gehaltenen Bilder. Die allgegenwärtige Schwärze steht dabei in Analogie zu der melancholischen Stimmung, die sich über die Handlungsstränge der einzelnen Erzählungen erstreckt und durch die einleitende Episode bestimmt wird. Der unglücklich verliebte Protagonist stellt sich dem Rezipienten in dieser als der Autor von „Stille Wasser“ vor, der desillusioniert von der Leidenschaft und Liebe sowie ihren Schwierigkeiten zu erzählen beabsichtigt.

Gezeichnet werden in den darauffolgenden Episoden, die tatsächlich nicht mehr als flüchtige Ereignisse sind, diverse Trennungssituationen: Paare sehr ungleichen Alters – so ungleich wie die jeweilige Vorstellung über ihre Beziehung – gehen auseinander; eine saisonale Affäre findet ein folgenreiches Ende; ein junges Ehepaar gibt sich ein letztes Mal ihrer Leidenschaft füreinander hin; ein älteres Ehepaar beschreitet, sehr rational orientiert, getrennte, neue Lebenswege; drei Menschen, deren Schicksale sich kreuzen, finden in ihrer unglücklichen Liebe ein verbindendes Element; eine junge Frau wird aufgrund zu dünner Wände zur Reflexion über die eigene Beziehung angeregt. So unterschiedlich die Erzählungen in ihrem Grundschema auch erscheinen mögen, ein Aspekt ist wiederkehrend: „Stille Wasser“ manifestiert sich als Aneinanderreihung unerlaubter – wenn man so will, unmoralischer – Verhältnisse. Affäre um Affäre werden Abgründe individueller menschlicher Sehnsüchte und Bedürfnisse offengelegt. Wie nicht anders zu erwarten nimmt Sexualität dabei eine zentrale Rolle ein und wird in aller Explizitheit, jedoch ohne dabei ins Obszöne umzuschlagen, dargestellt.

Obwohl „Stille Wasser“ intime Porträts unterschiedlicher Liebesverhältnisse entwirft, reichen diese über eine rein oberflächliche Skizze nicht wesentlich hinaus und werden dem Sprichwort, an welches der Titel der Graphic Novel unweigerlich denken lässt, nicht annähernd gerecht. Die Tiefen bleiben in Takahamas Werk weitgehend unergründet. Zu undefiniert bleiben die Figuren, zu vage werden die einzelnen Beziehungen präsentiert, zu diffus wirken dadurch Entscheidungen und Ereignisse. Rapide Sprünge zwischen den Ereignissen, welche einzelnen Erzählungen zuweilen einen fragmentarischen Charakter verleihen, verstärken diese Wirkung. Genügen diese Impressionen zwar gerade noch um die für den Plot relevanten Informationen zu vermitteln, können sie jedoch den einleitend kreierten Stimmungsraum nicht aufrechterhalten.

Eine andere Verfahrensweise der Zergliederung ist in „Stille Wasser“ allerdings als positiver Kunstgriff herauszustellen. Panels, die wie Momentaufnahmen nicht das eigentliche Geschehen, sondern Nebenhandlungen ins Bild fassen, sodass Bild- und Sprachebene nicht parallel, sondern losgelöst oder auch nur versetzt voneinander auftreten, können zunächst zwar verwirrend, letztlich aber vor allen Dingen anregend wirken. Vor allem in der einleitenden Erzählung spielt Takahma mit diesem Stilmittel und lässt darüber hinaus unvermittelt zusammenhanglose Bilder zwischen Panels erscheinen. Fotographien und andere Erinnerungsstücke, deren Ursprung und Bedeutung nicht näher erläutert werden, unterbrechen so immer wieder die Handlung. Bemängelt der Protagonist etwa an einer Stelle seine Zeichenkünste, so präsentiert sich erst Panels später, auf einer neuen Seite kommentar- und zusammenhanglos ein solches Zeichnungsexemplar zwischen der eigentlichen Handlung. Die Gedanken- und Gefühlswelt des Protagonisten, der von einer distanzierten Gegenwart aus seine gescheiterte Beziehung betrachtet, wird auf diese Weise präsenter als es in den übrigen Erzählungen der Fall ist.

Der Auftakt Takahamas Graphic Novel steht jedoch sowohl gestalterisch als auch erzählerisch in Kontrast zu ihrem Abschluss. Wartet die erste Erzählung mit ihrer kollagenartigen Machart, selbstreflexivem Moment als metafiktionalem Kunstgriff, wirkungsvoller Polarität des Protagonisten – und Ich-Erzählers – zwischen berichtender Kühle und tiefer Schwermut, Metaphorik und Ironie auf, steht am Ende nicht mehr als ein lakonischer Abriss eines Trennungsszenarios, das so wenig nachvollziehbar wie anrührend ist.

Takahama schafft so in „Stille Wasser“ zuweilen zwar kurze intime Momente, während welcher sie vereinzelt auch die Oberfläche durchbricht, um in seelische Abgründe flüchtig einzutauchen, doch letztlich ist es eben diese Flüchtigkeit, welche das Werk daran hindert emotional anregend zu wirken, oder zumindest nachvollziehbar zu sein. Seite für Seite büßt „Stille Wasser“ damit nicht nur die gestalterische Qualität, sondern auch den inhaltlichen Tiefsinn und Plausibilität ein.

Cover © CARLSEN Verlag

  • Autor: Kan Takahama
  • Titel: Stille Wasser
  • Originaltitel: L’eau Amère
  • Übersetzer: Yvonne Gerstheimer
  • Verlag: Carlsen Comics
  • Erschienen: 03/2016
  • Einband: Softcover
  • Seiten: 240
  • ISBN: 978-3-551-73440-2
  • Sprache: Deutsch
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite 
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 8-9 dpt

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