Es hört sich immer noch an wie ein Witz, aber Donald Trump könnte schon in diesem Jahr zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden. Aber wie auch immer man zu dem Mann und seiner Kandidatur stehen mag, er scheint einen Nerv der aktuellen amerikanischen Befindlichkeit zu treffen. Anno 2016 sind die USA ein kaputter Staat und immerhin scheint die Bevölkerung auch zu merken, dass es so nicht weitergehen kann. Die Probleme der modernen Welt sind vielfältig und komplex, genauso wie die Lösungsansätze.
Trump wählt ein primitves Mittel: Einfache Antworten. Zugegebenermaßen hat dieser Ansatz seine Berechtigung und auch seinen Reiz, denn wer versucht, alleine den Konflikt im Nahen Osten nachzuvollziehen, geschweige denn ihn zu entwirren, dürfte schnell an seine Belastungsgrenze stoßen. Doch was Trumps Politik gleichzeitig innewohnt, ist eine Null-Toleranz-Grenze, die Kompromisse gar nicht erst in Betracht zieht. Dem haftet letztendlich eine offen gezeigte, rechte Komponente an, wie sie auch gerade in Europa immer häufiger vorgetragen wird.
Zu den bekanntesten Forderungen des Milliardärs zählt sicherlich der Bau einer Grenzmauer zu Mexiko, um der illegalen Einwanderung Einhalt zu gebieten, denn eigentlich seien ja alle Mexikaner Verbrecher. Und ja, es stimmt, gerade in den mexikanischen Städten an der Grenze zur USA erreicht die Drogenkriminalität immer traurigere Rekorde und lässt die Einwohner, wenn sie denn nicht schon weggezogen sind, in einer Hölle auf Erden leben. Doch Trump lässt in seiner Argumentation fast alles beiseite, was Regisseur Denis Villeneuve in „Sicario“ schonungslos zeigt und anspricht.
Der kanadische Filmemacher zeigte sich schon immer interessiert an umstrittenen Stoffen, doch erst seit seinem Oscar-nominierten Mystery-Film „Incendies“ erreicht er damit auch die breite Masse. Die meisten Reaktionen bekam er bislang für seinen Thriller „Prisoners“ (Rezension), mit dem er schwierige moralische Fragen mit einer Hollywood-Aufmachung verband. Neben dem namhaften Cast um Jake Gyllenhaal und Hugh Jackman überzeugte dabei noch ein heimlicher Star. Roger Deakins ist nicht nur Stammkamermann der Coen-Brüder, seine Filmographie umfasst noch viele weitere Highlights, in denen er immerzu visuelle Reizpunkte setzen kann.
In „Sicario“ schafft er es ein weiteres Ma,l die Freiheiten, die ihm Villeneuve eingesteht, zu nutzen und dem Film eine eigene Bildsprache zu verleihen. Besonders das eindrucksvolle Spiel mit Schwarz und Weiß, Dunkel und Hell hält ein paar detaillierte Botschaften bereit und kann das Material von anderen Werken aus der gleichen Region abgrenzen. Allerdings bleibt die Überschneidung mit ähnlichen Filmen (teilweise „Amores Perros“,„Babel“) oder Serien („Breaking Bad“) auch deswegen gering, weil sich nur wenige Filmemacher mit der Grenzregion zwischen Mexiko und den USA beschäftigen. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass den Hispanics in den USA kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird, und das trotz der Tatsache, dass sie die größte ethnische Minderheit des Landes stellen, größer als die der Afroamerikaner. Die weißen Amerikaner schauen aber auch deswegen gerne weg, weil sie genau wissen, dass sie eine Mitschuld trifft, was die Probleme im Nachbarland betrifft. Was aus dieser Ignoranz entstehen kann, bringt „Sicario“ auf den Punkt: ein Drogenkrieg.
Krieg deshalb, weil die Mittel, die zur Bekämpfung des Problems und der Kriminellen eingesetzt werden, regelmäßig über moralische Grenzen hinausgehen. Das muss auch Kate Macer (Emily Blunt) erfahren, eine ausgezeichnete Ermittlerin des FBI, die zu Beginn des Films ein unvorstellbares Verbrechen aufdeckt und sich fortan verantwortlich fühlt das Problem des Drogenkriegs am Kopf zu packen. Sie wird für eine geheime Operation engagiert, in der sie mit den zwielichtigen Charakteren Matt Graver (Josh Brolin) und Alejandro Gillick (Benicio del Toro) zusammenarbeitet. Ihre Rolle wird ebenfalls vor ihr geheim gehalten, ihr bleibt nur das Vertrauen, dass dieser Job im Rahmen des Gesetzes von statten geht.
Zunächst entwickelt sich ein psychologisches Katz- und Mausspiel, das durchaus komplex dargestellt wird. Das Stichwort heißt „Staub aufwirbeln“ (was immer wieder von der feinen Kameraarbeit Deakins auf den Punkt gebracht wird), denn beide Seiten haben sich aneinander so sehr abgearbeitet und dadurch weiterentwickelt, dass ausgeklügelte Pläne nötig werden, wie man sie eben nur aus dem Krieg kennt. Es ist faszinierend und zugleich in höchstem Maße deprimierend diesem von Drehbuchautor Taylor Sheridan erdachten Schachspiel beizuwohnen, bei dem nur indirekt Signale der anderen Seite zu provozieren sind und erkennbar werden. Dabei bleibt es aber leider nicht, die Polizisten und FBI-Agenten sind schließlich nicht umsonst wie Soldaten ausgerüstet und bewaffnet.
„Sicario“ stellt abermals die alte Frage des Rechtsstaats, wie einem Gegner zu begegnen ist, der mit unfairen Mitteln spielt, denn die Gesetzeshüter dürfen ja selbst nur in Ausnahmefällen und auch dann auch nur sehr eingeschränkt das Gesetz brechen. Der Film interessiert sich wie viele andere Beiträge zum Thema für die Angemessenheit von Folter und Rache, er hat dem aber erst dann etwas hinzuzufügen, wenn es um den Hintergrund des Drogenkriegs geht. Diese Verbindung gelingt Villeneuve ebenso wie das unbequeme, aber vollkommen konsequente Fehlen einer Antwort, sowie die Konstruktion eines spannenden Films, doch darüber hinaus fehlt „Sicario“ ein wenig die Bindung zum Zuschauer.
Dieser soll sich eigentlich mit Emily Blunts Figur identifizieren, doch Kate bleibt zu idealistisch und handelt deswegen oft zu naiv. Der viel spannendere Charakter ist Alejandro, dessen Motive und Taten der wahre Kern des Plots sind und weswegen schon ein Prequel zu „Sicario“ geplant ist, das sich mit dem Krieger auseinandersetzt. Natürlich braucht es Kate als Gegenpol, aber viel spannender bleiben die menschlichen Widersprüche, wie sie auch Matt Graver verkörpert. Doch das vielleicht größte Manko des Films ist, dass er neben den gerade genannten, durchaus wichtigen Themen nicht mehr viel Profundes aufdeckt. Irgendwann geht es nur noch darum, wie die Operation endet und mit welcher Szene der Film schließt.
Stattdessen eine Dokumentation oder einen auf wahre Begebenheiten fußenden Film zu drehen, wäre wohl auch nicht unbedingt die bessere Variante, doch ein wenig fehlt das, was einen echten Thriller ausmacht: Das Mitfiebern. Eigentlich kann man „Sicario“ nicht viel anlasten, denn er ist wunderbar und mutig von Roger Deakins bebildert, von Jóhann Jóhannsson mit beklemmender Musik unterlegt, mit dem Handwerkszeug eines Thrillers in Szene gesetzt und dazu auch in angenehmer Entfernung von den üblichen Hollywoodkonventionen angesiedelt worden. Aber all das ist vielleicht ein wenig zu perfekt und ein Stück weit zu gut konstruiert, dass es vom Plot insoweit ablenkt, als dass man zu jeder Zeit daran erinnert wird, dass es sich um einen Film handelt. Besonders deutlich wird dieser ernüchternde Widerspruch in der Nachtsicht-Szene, die zu allem Überfluss auch noch aus der Ich-Perspektive gedreht ist. Das sieht fantastisch aus, aber das (Mit-)Gefühl bleibt etwas auf der Strecke, was rein gar nichts mit der schauspielerischen Leistung zu tun hat, die durchweg als überragend zu bewerten ist.
Das fehlende „involvement“ macht es vielleicht etwas einleuchtender, warum die FSK-Stelle das Siegel „16“ vergeben hat, denn selbst die brutalste Darstellung von Gewalt berührt einen nicht so, wie sie es sollte. Andersherum ist aber durchaus die Frage angebracht, ob es in der Anfangsszene nicht auch ein paar Leichen weniger getan hätten. Natürlich geht es dem Film darum, die Vorgänge neutral zu zeigen und die Reaktionen der Charaktere kommentarlos stehen zu lassen, denn in ihnen zeigen sich die Erklärungsmuster und die moralische Herangehensweise der US-Bürger und Gesetzeshüter an diesen Krieg. Doch der Blick bleibt zu sehr auf die amerikanische Seite fokussiert, trotz der bewusst offen gelassenen Biographien der Figuren hätte es mehr als nur eine ambivalente Figur auf Seiten der Mexikaner geben sollen. Es bleibt aber dabei: Villeneuve schreckt nicht vor heiklen Themen zurück und möchte das möglichst vielen Zuschauern vermitteln. Wenn ihm das gelingt, kann man nur den Hut ziehen.
FAZIT: Mit „Sicario“ beweist Denis Villeneuve erneut, dass ein unbequemes Thema keinesfalls eine große Aufmachung ausschließen muss. Musik, Kamera, Drehbuch, Cast, alles ist von Hollywood-Format, doch der Drogenkrieg und dessen Schauplätze an der mexikanisch-amerikanischen Grenze passt nicht so wirklich zu der Feel-Good-Welt der Oscars. Wäre nur die Machart zu bewerten, gäbe es kaum etwas zu bemängeln, doch wenn es um die Wirkung des Films geht, kommt es zu Widersprüchen. Es fehlt das Moment, das den Zuschauer ins Geschehen zieht und die moralischen Fragen akut werden lässt. Das liegt auch an der Perfektion der Bildkomposition, die manchmal etwas zu sehr vom eigentlichen Geschehen ablenkt. Sollte es der Film dennoch schaffen, dass die US-Bürgerinnen und Bürger diesen brutalen Konflikt nicht mehr ignorieren und ihn als Krieg anerkennen, dann hat Villeneuve sein ambitioniertes Ziel erreicht, Anspruch mit Massentauglichkeit zu verquicken.
- Titel: Sicario
- Produktionsland und -jahr: USA, 2015
- Genre:
Thriller - Erschienen: 04.02.2016
- Label: Studiocanal
- Spielzeit:
121 Minuten auf 1 DVD
121 Minuten auf 1 Blu-ray - Darsteller:
Emily Blunt
Benicio Del Toro
Josh Brolin
Victor Garber
Jon Bernthal
Daniel Kaluuya
- Regie: Denis Villeneuve
- Drehbuch: Taylor Sheridan
- Kamera: Roger Deakins
- Schnitt: Joe Walker
- Musik: Jóhann Jóhannsson
- Extras:
-Takte aus der Wüste: Die Filmmusik
-In die Finsternis eintreten: Das visuelle Design
-Blunt, Brolin, & Benicio: Die Darstellung der Charaktere
– Kampfzone: Der Hintergrund von SICARIO - Technische Details (DVD)
Video: 2,40:1 anamorph
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2,40:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: Nur Zahl, z.B. 12 (ohne “Jahre”)
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 11/15 dpt