Danny Wallace – Hamish und die Weltstopper (Buch)


Danny Wallace - Hamish und die Weltstopper (Cover © Heyne fliegt)Langweilig. So könnte man das Leben des zehnjährigen Hamish Ellerby in einem Wort zusammenfassen. Der wohnt in Starkley, die als viertlangweiligste Stadt Englands gilt. Nicht mal zur langweilisten Stadt hat es gereicht – das wäre ja wenigstens auf irgendeine Weise speziell gewesen. Es ist einfach gar nichts los in diesem Kaff. Auch in der Schule ist es zum Gähnen – es gibt zwar ein paar Klassenkameraden, die ihn immer wieder piesacken, wie etwa der fiese und eklige Grenville, aber selbst das wird irgendwann einfach nur zur blöden Routine. Ätz.

Im Erdkundeunterricht… pardon… im extrem langweiligen Erdkundeunterricht geschieht allerdings urplötzlich etwas sehr Schräges und Seltsames. Sein strenger, cholerischer Lehrer schreit ihn an, und Hamish befürchtet dank dessen feuchter Aussprache, dass die nächste unfreiwillige Gesichtsdusche bevorsteht. Doch die Spucketröpfchen bleiben einfach mitten in der Luft stehen. Der Erdkundelehrer erstarrt in seiner nach vorn gebeugten Anschreiposition. Als Hamish sich in der Klasse umsieht und aus dem Fenster sieht, kann er es kaum glauben: Vögel und eine Katze schweben regungslos in der Luft, und Grenville, der eben noch zappelnd und nasebohrend auf seinem Stuhl herumturnte, ist ebenfalls wie eingefroren – mit Finger tief in der schleimigen Nase. Auch der Rest der Klasse ist erstarrt. Als stünde die gesamte Welt durch einen Druck auf die Pause-Taste still. Was, ja was ist hier los?

Ein wenig später geht alles ganz normal weiter, als hätte jemand wieder die Play-Taste gedrückt. Als wäre nichts geschehen. Doch es dauert nicht lang, bis sich diese merkwürdige Situation erneut ergibt. Hamish denkt sich: “Wie cool ist das denn?” und heckt schon Pläne aus, was man so alles tun und anstellen könnte. Zum Beispiel mit einer gestohlenen Vespa mal schnell durch die Stadt flitzen und sich mit Süßkram vollstopfen. Dumm nur, dass sich heraus stellt, dass während dieser Stillstände hässliche, grauenvoll aussehende, fiese Kreaturen durch Starkley huschen und für Chaos sorgen. Beunruhigend ist nämlich, dass die Abstände, in denen die Welt stehen bleibt, immer kürzer werden.

Zum Glück lernt er bald eine Handvoll anderer Kids kennen, die wie er selbst nicht in diesen Freeze-Modus verfallen, und die Gruppe lässt ihn wissen, dass es sich bei diesen monströsen Gestalten, die zudem furchteinflößende Geräusche von sich geben, um die Weltstopper handelt. Gemeinsam rätseln die jungen Menschen, darunter auch seine neue Freundin Alice, was die Weltstopper da aushecken. Denn Menschen verschwinden auf wundersame Weise und kommen völlig verändert wieder. Solche, die kürzlich noch wahnsinnig nett und liebenswürdig waren, werden fies, gemein und eklig.

Der Autor, der die Sachbuchvorlage zur Komödie “Der Ja-Sager” und mit “Auf den ersten Blick” sowie “Der unglaubliche Sommer des Tom Ditto” zwei Erwachsenenromane lieferte sowie im Comedybereich aktiv ist, journalistischen Tätigkeiten nachget, in Fernsehen und Radio als Moderator tätig ist und auch sonst wohl keine Gelegenheit für Langeweile hat, präsentiert mit “Hamish und die Weltstopper” sein erstes Kinderbuch, und auch in diesem Metier bewegt er sich sicher übers Parkett.

Ein Blick in das Werk in Originalsprache zeigt, wie verspielt Wallace mit Sprache umgeht, und es bestehen berechtigte Befürchtungen, dass gerade bei so viel Kreativität und Wortspielerei durch die Übersetzung viel verfälscht werden und verloren gehen kann – doch Übersetzer Jörn Ingwersen tat sein Bestes, diese Hürde so souverän wie möglich zu nehmen. Dass dies nicht immer zufriedenstellend möglich ist, sollte man hierbei nicht erwarten.

So wurde aus der Passage

Hamish wanted to get up and look around. But he couldn’t.
He was too frightened even to move a single muscle.
This was incredi-weird!

dies hier

Am liebsten wäre Hamish aufgestanden und hätte sich umgesehen. Aber er konnte nicht. Er traute sich nicht, auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen.
Es war unglaubli-schräg!

…, und solche Gratwanderungen sind, gerade wenn die Vorlage nicht sachlich ist oder Standardsprache aufweist, immer besonders schwierig. Von daher macht Ingwersen hier eine doch ganz passable Figur.

Gespickt mit äußerst witzigen, coolen und comichaften Illustrationen von Jamie Littler, die sich irgendwo in der Schnittmenge von “Fréderic Bertrand light” und “Anton Riedel in etwas schräger” befinden, erzählt Wallace eine turbulente, humorvolle und temporeiche Story, die durch typographische Spielereien und Farbspiele (es wird dunkel, also sind auch die Buchseiten dunkel) zusätzlich belebt wird. Obendrein ist “Hamish und die Weltstopper” eine sehr vielseitige Geschichte, denn sie bietet noch so viel mehr: Zum einen ist dieser Kampf gegen diese seltsamen Kreaturen ein aufregendes Abenteuer, zum anderen wohnt dem Ganzen ein nicht unerheblicher Gruselfaktor inne. Außerdem werden Wertigkeiten aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Freundschaft (zusammen kämpfen), Gewissen (soll ich das jetzt wirklich stehlen), Gerechtigkeit, zweite Chancen (Pakt mit dem Feind) – es geschieht auf subtile Weise so einiges, das zum Nachdenken anregt. Auch ist es sehr zu loben, dass man ohne Geschlechterklischees auskommt und aufzeigt, dass zwischen den Buchdeckeln, in einer fiktiven Geschichte, auch mal etwas Anarchie erlaubt sein darf.

Somit hat “Hamish und die Weltstopper”, welches ab 10 Jahren empfohlen wird, durchaus einen pädagogischen Wert. Doch nicht auf die oberlehrerhaft-dinkelvollkornkeksige Bio-Gemüsebratling-Art mit erhobenem Zeigefinger, sondern spielerisch und actionreich, auf Augenhöhe mit dem Kind. Ab und an fallen sogar mal einige derbere Worte, die zartbeseiteten Eltern, welche ihrem Kind sogar das Fluchen bei einem heruntergefallenen Marmeladentoast untersagen, Ausdrücke der Empörung in die entgleisenden Gesichtszüge zaubern dürften. Flüche, die letztendlich eigentlich nur allzu menschlich sind.

Mit über dreihundert Seiten ist dieses in einen schicken Hardcovereinband gewandete Werk ein verhältnismäßig langes Kinderbuch. Zwar ist es locker-luftig layoutet und reich an gezeichneten Elementen, doch es ist definitiv kein Buch, das man als Viert- bis Fünftklässler mal eben kurz vor dem Einschlafen in einem Rutsch durchlesen kann, außer natürlich, man ist bereits in jungen Jahren ein sehr trainiertes Lesekind, das schon früh begonnen hat, Bücher zu verschlingen. Auch für Erwachsene ist “Hamish und die Weltstopper” eine unterhaltsame Angelegenheit. Das kindliche Gemüt wird erweckt, man muss ob der verrückten Ereignisse und der voller Witz und Detailverliebtheit steckenden Illustrationen dauergrinsen und schüttelt angesichts des Unfugs, der mitunter geschieht, amüsiert den Kopf.

Danny Wallace hat also alles richtig gemacht, denn er gibt bei aller Unterhaltung, die er bietet, auch einige Dinge mit auf den Weg, die kostbar sind. Er findet die Balance zwischen Verrücktheit und Sinn, vor allem aber beweist er Mut, der speziell im Kinderbuchbereich manchmal doch sehr fehlt.

Cover © Heyne fliegt

Wertung: 12/15 dpt


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