David Abulafia – Das Mittelmeer. Eine Biographie (Buch)


David Abulafia - Das Mittelmeer (Cover © S. Fischer Verlage)Das mittelmeerische Denken, eine Philosophie, das die buchstäbliche wie metaphorische Sonne des Südens und die Einflüsse Afrikas in die europäischen Denkansätze bringen sollte, hat nie so wirklich Widerhall in den europäischen Schalt- und Denkzentralen gefunden. Womöglich, da dessen berühmtester Protagonist, Albert Camus zu früh verstorben ist, und wir eigentlich nur noch Ansätze dessen haben, was unter dem Schlagwort „Mittelmeerische Philosophie“ subsumiert werden kann. Sicher, das haben wir im Rahmen der Euro-Krise sehr deutlich sehen können, sind es die Denkschulen Nordeuropas, die den Ton und die Werte vorgeben – es straucheln die Mittelmeerstaaten.

Aber lässt sich diese geographische Einteilung tatsächlich auf ein nord- und einem diametral entgegengesetztes südeuropäisches Denken übertragen? Der kalte, genuss- und mußefeindliche Funktionalismus gegen das sonnige Gemüt des Aufschiebens, Genießens und in-den-Tag-Hineinlebens? Für Camus gibt es hierfür zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass vor allem Südfrankreich mit Algerien, Syrien oder Griechenland viel mehr gemein hat als mit Dänemark, Deutschland oder England. Sein Denken forderte schon vergleichsweise früh ein Auflösen nationalstaatlicher Verbünde hin zu einem föderalen System von Regionen – über Ländergrenzen hinweg und „nur“ verbunden durch einheitliche Werte.

Bis vor wenigen Wochen mag manch einer das Denkmodell der „Vereinigten Staaten von Europa“ mit einem Schuss Realismus versehen haben, doch die Flüchtlingskrise, die eigentlich eine Irak-, Syrien-, und Afrika-Krise ist, hat gezeigt, dass es mit gemeinsamen Werten innerhalb Europas, geschweige innerhalb Deutschlands mit seinem Horst-Land nicht allzu weit her ist. Kann es also so etwas wie eine regionale, über Ländergrenzen hinweg verwurzelte Werte- und Denk-Tradition geben, die die bereits bestehenden Nationalstaaten ersetzen kann?

Dieser Frage geht David Abulafia in seinem monumentalen Werk “Das Mittelmeer – Eine Biographie“ nicht unmittelbar nach, doch stellt sich diese Frage während und nach der Lektüre dieses so geistreichen, wie elegant geschriebenen Opus. Abulafia, Professor für Geschichte des Mittelmeerraumes an der Universität zu Cambridge, lässt das Mittelmeer mit all seinen Anrainerstaaten, deren historisch wechselnde Verstrickungen, Verbindungen und offenen Konflikte zum Protagonisten werden und stell dessen zentrale Bedeutung für das heutige Europa heraus. Die Geschichte(n) sind chronologisch angeordnet und zeigen ein ums andere Mal, dass das Mittelmeer, ob wir es wollen oder nicht, eine eher verbindende Funktion erfüllt – es hat und es bringt Afrika näher an Europa heran als dass es Afrika von Europa trennt.

Es wäre müßig, hier all die Geschichten aufzuführen, die Abulafia erzählt. Viel wichtiger ist, dass er dies so herrlich unprofessoral geschieht und man sich über die Dauer von 820 Seiten (wer dann noch mag, der kann sich den dann doch streng-wissenschaftlichen Anmerkungsteil zu Gemüte führen) in einem ebenso spannenden wie wahnwitzigen Roman wähnt, in dem die größten Tragödien ein Happy-End finden können, wo aber auch sehnsuchtsvolle Entdeckungsreisen oder schutzsuchende Fluchtversuche auf das Tragischste scheitern. Das Mittelmeer wird hier nicht glorifiziert oder romantisiert – aber das Buch zeigt doch auch einige Parallelen in der politischen, sozialen und ideologischen Entwicklung der Anrainerstaaten auf. Ansätze einer sogenannten „mittelmeerischen Philosophie“ finden sich daher ganz logisch in diesem Buch – doch Abulafia belässt es bei ebendiesen Ansätzen – und überlässt die Ausgestaltung den Philosophen und dem zaghaft angedeuteten Model einer europäisch-mediterranen Union.

Um es nach all den Exkursen, die der Rezensent in dieser Rezensionen genommen hat, noch einmal kurz und pointiert zusammenzufassen: “Das Mittelmeer“ ist ein Glanzstück und Meisterwerk populärwissenschaftlicher Prosa, dessen Lektüre auf jeder Seite fesselt und so unendlich viel Wissen vermittelt, das erst einmal verdaut werden möchte. Doch da der Stil des Autors ebenso elegant wie unaufgeregt ist, macht er das seinen Lesern so einfach wie nur irgend möglich. Er muss nicht laut tönen – er weiß, dass er mit seinem Protagonisten, dem Mittelmeer, eine Figur und einen Lebenslauf hat, der alle Geschichten der Bibel, des Korans und der klassischen Sagen sowie die Anekdoten der modernen Wissenschaft und die doch zumeist unfreiwillig komischen Geschichten der Ökonomie in sich vereinigt. Großartig und daher dem Rezensenten zum ersten Mal die Höchstpunktzahl wert!

  • Autor: David Abulafia
  • Titel: Das Mittelmeer – Eine Biographie
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  • Originaltitel: The Great Sea. A Human History of the Mediterranean
  • Übersetzer: Michael Bischoff
  • Verlag: S. Fischer Verlage
  • Erschienen: 2015
  • Einband: Taschenbuch (auch als Hardcover erhältlich)
  • Seiten: 960
  • ISBN: 978-3-596-17441-6
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 15/15 dpt


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