Donald E. Westlakes (aka Richard Stark) Parker und Gary Dishers Wyatt finden als nahe Verwandte Crissa Stones und Inspiration Wallace Strobys Einzug ins informative Nachwort Alf Meyers. Charley Varrick, der Crissa noch näher steht, bleibt leider unerwähnt. “Heiße Beute” (“The Looters”, 1968), der Roman von John H. Reese, ein rühriger, trotzdem wenig bekannter Autor von zahlreichen Western und Krimis, ist weitgehend unbeachtet geblieben, doch diente er als Vorlage für einen der stärksten, homogensten Don Siegel-Filme, in dem Walter Matthau in einer nominellen Lee Marvin-Rolle (der ja Westlakes Figur in “Point Blank” bereits kongenial verkörperte) brilliert.
Wie bei “Kalter Schuss ins Herz” wird ihm ein Überfall zur falschen Zeit an falscher Stelle fast zum Verhängnis. Zwar kommt Crissa Stone der scheinbar in Panik von einem Komplizen erschossene Schwiegersohn eines Mobsters in die Quere und nicht gebunkertes Mafiageld, doch die Konsequenzen sind die gleichen.
Charley Varrick muss sich gegen den auf ihn und seine Kumpel angesetzten psychopathischen Killer Molly (eine dankbare Rolle für Joe Don Baker, die er mit der Wucht einer Dampfwalze auf Speed ausfüllt) zur Wehr setzen, Crissa bekommt es mit Eddie Santiago zu tun, einem formvollendeten Nachkommen Mollys. ‘Eddie der Heilige’ ist einer der faszinierendsten Bad Guys der letzten Jahre. Ein wenig wie Rex Millers “Fettsack” in schlanker und mit besseren Manieren. Die fiese Seite im lieben Lesenden beginnt bereits beim ersten Auftritt des perfiden Eddie mit einer Art Prequel mit ihm als Hauptfigur zu liebäugeln.
Vorerst haben aber Crissa Stone und ihr Umfeld den kaltschnäuzigen Soziopathen Eddie am Hals. Der nach seiner Haftentlassung ständig unter Strom steht und für seinen Auftraggeber nicht zu kontrollieren ist (auch darin hat er Ähnlichkeit mit Charlie Varricks Verfolger Molly).
Sie bewegen sich unweigerlich aufeinander zu, kriminelle Profis ganz unterschiedlicher Couleur, deren Obsessionen ihnen immer wieder in die Quere kommen. Die positiv Konnotierten leiden an Loyalität und Liebe, die negativen Protagonisten an Dummheit, Gier, Perfidie und manischem Verhalten.
Crissa steht von Beginn an mit dem Rücken zur Wand, ihr Geliebter und Mentor Wayne sitzt im Gefängnis, sie braucht 250 000 Dollar um seine mögliche Entlassung voranzutreiben. Die kleine Tochter wächst bei Crissas Schwester auf, sie selbst betrachtet und fotografiert sie alle paar Monate lediglich aus der Ferne.
Eddie Santiago hat den Knast gerade verlassen und versucht sich wieder zu konsolidieren, den unbedarften Terry als Laufburschen und geduldigen Zuhörer im Schlepptau. Eddie geht nicht nur bei der Geldbeschaffung über Leichen, er kultiviert seine Kaltschnäuzigkeit und lässt Terry genüsslich daran teilhaben, so lange der sein Gewissen und alle Bedenken ausschaltet und auch sonst nicht lästig wird.
Da Crissa dringend die Viertelmillion Dollar benötigt, lässt sie sich trotz Unbehagens auf eine schnelle, lukrative Aktion ein. Zwar machen Crissa und ihre beiden Komplizen reichlich Beute, doch anscheinend verliert der ansonsten besonnene Stimmer in einem unbeobachteten Moment die Nerven, und ein Teilnehmer der Pokerrunde stirbt. Der oben bereits erwähnte Schwiegersohn.
Woraufhin das Trio ins Visier des heiligen Eddie gerät. Obwohl der sich alleine um den Schützen Stimmer kümmern sollte. Doch die Befehle des greisen Gangsterbosses Tino Conte interessieren Eddie Santiago nicht, wenn es um Geldbeschaffung geht. Die Jagdsaison auf Crissa und den loyalen Chance ist eröffnet. Der abgefeimte Eddie weiß schnell um die Schwachpunkte seiner Beute. In die Enge getrieben ist diese allerdings sehr wehrhaft…
Mit “Kalter Schuss ins Herz” hievt Wallace Stroby das Genre auf kein neues Level. Weder den Caper-Part noch den Noir mit einer Menge Sehnsucht im schwarzen Herzen. Doch er beherrscht seine Klaviatur stilsicher und punktgenau. Keine überflüssigen Spirenzchen, keine ausufernden Tarantinoismen, der Roman beginnt bewegt mitten in einem Überfall und endet in Bewegung auf einer Fahrt ins Ungewisse. Der schnörkellose Plot wird angereichert mit pointierten Dialogen, in denen Informationsaustausch im Zentrum steht (Crissa) und ein wenig krude Philosophie, mit ganz eigener Auslegung Charles Darwins (Eddie).
Die Handlung bewegt sich geschmeidig und schnell voran, besitzt einige doppelte Böden, deren Vorhandensein der Leser erahnt, um sich befriedigt zurücklehnen zu können, wenn er sie tatsächlich vorfindet.
Mit Schwung wirft Stroby seine Protagonisten ins einundzwanzigste Jahrhundert, lässt Handys und Laptops mit links bedienen und weist ihnen teilweise handlungsprägende Funktionen zu. Die allgegenwärtige Überwachung, Paranoia und ausgeklügelte Sicherheitssysteme werden einfach ausgeblendet. Wir befinden uns schließlich nicht bei CSI, NCIS oder der Homeland-Security. “Kalter Schuss ins Herz” erzählt von fast alltäglichen Verbrechen, die sich an Hightech-Szenarien geschickt vorbeischmuggeln.
Die Figurenzeichnungen sind gelungen, angefangen beim attraktiven, in jeder Hinsicht schlagfertigen Mittelpunkt Crissa Stone bis hin zum Bauernopfer, dessen blutige Beseitigung tatsächlich berührt. Gefangene werden nicht gemacht, “Kalter Schuss ins Herz” ist Literatur im Fluss, ein überzeugendes Gemisch aus Aktion und Reaktion, selbst Geiselnahmen werden nur kurz diskutiert aber nicht durchgeführt. Hält bloß auf. Der Kriminalroman als bewegte Lesebilder. Schnell, spannend, durchsetzt vom allseits beliebten lakonischen Witz und auch vor Nachdenklichkeit und traumwandlerischer Grenzüberschreitung nicht Halt machend.
Dabei betreibt der Roman keine melodramatische Outlaw-Romantik. Fast überdeutlich steht im Zentrum der Zwiespalt, einerseits ein selbst gewähltes, autarkes Leben führen zu können, andererseits dafür jede Bindung, jedes Gefühl für andere Menschen in Frage stellen zu müssen. Während Crissa mit ihrer Sehnsucht nach Sesshaftigkeit und Familienbildung kämpft, lebt Eddie der Heilige einen rücksichtslosen Hedonismus aus. Da die Crissa-Stone-Reihe derzeit bereits zum Quartett angewachsen ist, dürfte es kein großes Geheimnis ein, welches Begehren den ethischen Diskurs gewinnt. Mit viel Glück und dank lässlicher Unaufmerksamkeit des Gegners…
Womit wir bei den Schwächen des Buchs wären. Berechenbarkeit und mangelnde Innovation werden durch formale Perfektion ausgeglichen. Das Reißbrett steht klar und deutlich sichtbar im Raum, ist aber bestechend designt und fein herausgeputzt. Der Showdown leidet allerdings unter einer blässlichen Konstruktion. Die eigentlich cool und klug agierende Crissa wird kurz aber entscheidend zum naiven Milchmädchen (wenn der Soziopath am Telefon sagt, er muss noch 500 Meilen fahren, dann glaubt sie ihm dies unbedarft. Denn Hand aufs Ganovenherz: Soziopathen lügen nie. Das glauben sie zumindest). Eddie im Gegenzug wird unachtsam, nachsichtig und schluderig. Kommt vor.
Hier war Charlie Varrick vor über vierzig Jahren einen Schritt weiter. Selbst seine scheinbare Niederlage war Teil eines ausgeklügelten Plans. Crissa Stone improvisiert. Das kann sie und brennt damit eine Schneise für die Unberechenbarkeiten, die das Leben mit sich bringt.
Charlie Varrick steht am Ende als scheinbarer Sieger da. Reich, aber allein. Crissa Stone ist nicht ganz so reich, hat aber Freunde, Geliebten und Kind. Professionalismus ohne ethischen, moralischen, emotionalen Gegenwert bleibt eine Leerformel.
Fast eine Doppelbesprechung. Bot sich an zum hundertdritten Geburtstag des großen Hollywood-Professionals Don Siegel am 26.10. Ist auch ohne Feiertag nur zu empfehlen: Erst “Charlie Varrick – Der große Coup” anschauen, dann “Kalter Schuss ins Herz” lesen. Oder umgekehrt. Beides ein Gewinn.
Cover © Pendragon Verlag
- Autor: Wallace Stroby
- Titel: Kalter Schuss ins Herz
- Teil/Band der Reihe: Der 1. Auftritt von Crissa Stone
- Originaltitel: Cold Shot To The Heart
- Übersetzer: Alf Mayer
- Verlag: Pendragon Verlag
- Erschienen: 31.08.2015
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 352
- ISBN: 978-3-86532-487-0
- Sprache: Englisch
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 großen Coups
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