“What goes up must come down/Spinnin’ wheel, got to go round/Talkin’ ’bout your troubles, it’s a cryin’ sin/Ride a painted pony, let the spinnin’ wheel spin”, sangen Blood Sweat & Tears. Sean Duffy weiß wie sich das Spinnrad dreht. Wurde er am Ende der “Sirenen von Belfast”, trotz, beziehungsweise wegen, seiner ergebnisreichen Ermittlungen degradiert und dazu verdonnert als einfacher Sergeant in Uniform Dienst zu verrichten, so wird er diesmal gleich zu Beginn unfreundlich in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Wegen eines kleinen Unfalls während eines Einsatzes, an dem er überhaupt keine Schuld trägt.
Doch bevor Duffy sich mit bescheidener Rente nach Spanien absetzen kann, klingelt der britische Inlandsgeheimdienst MI5 an, und flugs sieht er sich in seinen alten Rang und sein ehemaliges Revier in Carrickfergus zurück befördert. In den Zustand VOR der Degradierung. Natürlich hat diese Reaktivierung ihren Preis: Sean soll seinen alten Schulfreund Dermot McCann auffinden und dingfest machen. McCann ist ein ranghohes IRA-Mitglied, aus dem Gefängnis ausgebrochen und wird verdächtigt folgenschwere Bomben-Attentate zu planen.
Es braucht nicht lange, um Sean Duffy auf die Such- und Finde-Mission zu schicken, er ist so ehrlich sich einzugestehen, dass er viel zu gerne Polizist ist, um auszusteigen, und unehrlich genug, sich eine Motivation zurecht zu basteln, die begründet, warum gerade er selbst Dermot McCann aufspüren sollte.
Nach zähen, ergebnislosen Befragungen sieht sich der katholische Bulle tatsächlich als gewiefter Ermittler gefordert, denn die einflussreiche Ex-Schwiegermutter McCanns verspricht Duffy dessen Kopf, wenn es ihm gelingt, die Umstände, die zum Tod ihrer jüngsten Tochter führten, aufzuklären. Augenscheinlich ein Unfall, sieht sich Duffy mit einem klassischen Verbrechen in einem geschlossenen Raum konfrontiert. Wer konnte Lizzie Fitzpatrick das Genick brechen, die Leiche in einer komplett von innen verschlossenen und verriegelten Bar liegen lassen und entkommen, ohne Spuren zu hinterlassen?
Es wird ein zähes Ringen, das Spinnrad dreht sich weiter – nach oben? Der letzte Satz des Buches: “Ich klappte den Mantelkragen hoch und ging zu meinem Wagen, machte mich bereit für den kommenden langen, langen Krieg …” klingt nicht gerade nach einem Happy End.
Obwohl es für Sean Duffy zunächst steil bergab geht, der Straßenkampf noch tobt, ist “Die verlorenen Schwestern” der verspielteste Teil der Sean Duffy-Trilogie. Nicht, dass verquere Beziehungen, Schmerz und Düsternis ausgeblendet werden, aber trotz seiner beruflichen Krisensituation, einiger Erschütterungen und Hindernisse, geht Sean Duffy stoisch und recht zuversichtlich zu Werke, sodass man sich als Leser diesmal keine große Sorgen um ihn machen muss.
Außerdem wird er unterstützt von seinem Schöpfer, der die politische Komponente zwar nie aus den Augen und dem Focus verliert, aber durch die Wiederbelebung des klassischen ‘Locked Room Mystery’ dem Genre seine Referenz erweist und gekonnt Hardboiled und Cozy verbindet, ohne ins Straucheln zu geraten. Vielleicht ufert die Ermittlung ein wenig aus, aber die Auseinandersetzung mit Frustrationen auf einem hohen Level ist nun mal substantieller Bestandteil der Polizeiarbeit und Duffys Biographie.
Aufgelockert wird das Geschehen durch Duffys kleine Drogenexperimente sowie vielfältige literarische, musikalische und selbstreferentielle Verweise.
Mit lakonischem Charme wird ein Auftritt des jungen Michael Forsythe (McKintys Protagonist der “Dead”-Trilogie) einprägsam eingebaut und mit guten Ratschlägen Sean Duffys garniert. Adrian McKinty beherrscht die Kunst, Szenen so beiläufig wie selbstverständlich aufzulösen und beweist wieder Geschick bei der pointierten Charakterisierung seiner zahlreichen Nebenfiguren. Von denen einige der realen Historie entstammen.
Dabei opfert McKinty keine seiner Figuren für einen lauen Gag oder zur bloßen Zurschaustellung, seine Toten haben ein Gesicht und Gewicht. Gerade dies macht die gelungenen Plot-Twists zum Ende hin so bitter, lässt die politische und gesellschaftliche Bedeutungsebene nicht hinter den zahlreichen Pointen, Kniffen und spannungssteigernden Volten verschwinden. Ebenso wenig wie das führende Thema der Trilogie, die Ambivalenz individueller Entscheidungen. Vielleicht das Spannendste an McKintys Romanen: Wie agieren seine Protagonisten an einschneidenden Punkten ihres Lebens und welche Auswirkungen hat dies auf ihre Autobiographie und das Leben der Menschen um sie herum? Wann ist man Spielball und wann selbst der Spieler? Relevanter noch – wann vermischt es sich?
McKinty, der seine kritischen Leser anscheinend kennt, weist klugerweise im Text mehrfach darauf hin, dass die Auflösung eines (kriminellen) Rätsels nur enttäuschend sein kann, da der Aufbau, das Arrangement und die Aufführung eines Tricks wesentlich komplizierter sind als seine Auflösung. Er hat natürlich vollkommen Recht, trotzdem erhält der Mord an Lizzie Kirkpatrick eine nachvollziehbare Analyse, samt Konsequenz mit bitterem Nachgeschmack.
“Die verlorenen Schwestern” greift die beiden Vorgänger auf unerwartete Weise auf und bringt die (bisherige) Trilogie zu einem vorläufigen Abschluss. Ob es ein endgültiger ist – darauf kann man wetten. Mit ungewissem Ausgang.
Cover © Suhrkamp Verlag
- Autor: Adrian McKinty
- Titel: Die verlorenen Schwestern
- Teil/Band der Reihe: Teil 3 der Duffy-Reihe
- Originaltitel: In The Morning I’ll Be Gone
- Übersetzer: Peter Torberg
- Verlag: Suhrkamp
- Erschienen: 07.03.2014
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 378
- ISBN: 978-3-518-46595-0
- Sprache: Englisch
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt