Es hat sich in der Entwicklung humanoider Roboter herausgestellt, dass es effektiver ist, lernfähige Programme zu erstellen, als voll funktionsfähige Handlungsabläufe zu programmieren. Der durchschnittliche denkende Roboterarm braucht ungefähr siebzig Versuche, um Bilboquet zu lernen; um so komplizierte Tätigkeiten wie Treppen laufen zu lernen, braucht man hingegen schon mehrjährige Entwicklungsarbeit. Die philosophische Konsequenz dieser Idee ist dennoch brisant: Der ideale lernfähige Roboter benähme sich nach der Fertigstellung wie ein Kleinkind – und müsste entsprechend erzogen werden. Soweit, so normal: Neill Blomkamp, bekannt durch die technisch innovative Animationen in “Halo”-Videospielverfilmungen und die intelligente Mixtur aus Sozialkritik und Action in “District 9” (Sony Pictures, 2009) hat aus der Idee einen Film gemacht. Mit einer kleinen Besonderheit: Das Roboterbabybewusstsein ist in einen Kampfroboter implantiert worden. Nur: Wer soll das Blag erziehen?
Wer während der WM 2010 in Südafrika aufgepasst hat, für den sind ¥o-Landi Vi$$er und Ninja von ‚Die Antwoord‘ keine Unbekannten. In einem ihrer bekanntesten Musikvideos, “Fatty Boom Boom” (25.000.000 Klicks), in dem ein als Lady Gaga verkleideter Transvestit durch Johannesburg gefahren wird, erklärt der Fahrer einen Touristenwitz: „Now we’re stopping at a ROBOT. People from overseas they like that one. Because they say: ‘What do you mean ROBOT?’ Because in South Africa, we call a traffic light ROBOT.“ Was folgt, ist Wahnsinn mit viel Bass und Raps, die zumindest eingefleischte Bukowski-Leser*innen nicht zu sehr erschrecken sollte. Genau die richtigen also, um ein illegales Roboterbaby mit Kampffunktionen zu erziehen. Es gibt sicherlich einige Philosoph*innen der zweiten Reihe, mit denen man ‚Die Antwoord‘ als subversiv herausstellen könnte – man kann sich aber auch einfach von dem Wahnsinn berauschen lassen, der von Blomkamp natürlich sehr viel seichter, aber immer noch unterhaltsam in Szene gesetzt wurde. Es ist jedoch bezeichnend, dass sie auf dem Cover nicht genannt werden – obwohl sie neben der Roboteranimation die größten Rollen haben.
Sie sind anfangs lediglich Gangster, die Geld bekommen müssen, um ihre Schulden bei einer urban-mafiösen Söldnertruppe zu bezahlen. Da in Johannesburg keine normalen Polizisten, sondern ferngesteuerte Roboter für Sicherheit sorgen, ist das jedoch praktisch unmöglich. Die beiden entführen also den Entwickler der Roboter, Deon Wilson, damit dieser die Androiden-Polizei ausschaltet; zufällig war dieser gerade dabei, einen Roboter zu klauen, um diesem illegalerweise ein frisch programmiertes Bewusstsein zu implantieren. ¥o-Landi und Ninja sehen schnell die Möglichkeit, sich mit dem denkenden Roboter zu verbünden – doch vorher müssen sie ihm seinen Pazifismus abtrainieren.
Slumdog-Millionaire-Star Dev Patel in der Rolle als Entwickler gibt den rationalen Gegenpart zu den überdrehten Rappern, bleibt dabei aber auch ein wenig blass, besonders die etwas langwierigen Programmierszenen sind nur ironisch genießbar: Es ist aber durchaus witzig, wenn zu stressigem Techno „consciousness.dat“ per USB übertragen wird und im Takt dazu Energy-Drink-Dosen zerknüllt werden. Patel ist aber nicht der einzige Star des in Südafrika gedrehten Films: Ein kaum wiedererkennbarer Hugh Jackman hat eine Rolle als tumber Bösewicht – einen Job, den er solide durchzieht, seiner Karriere aber sicherlich nicht sehr zuträglich ist. Obwohl auch eine charismatische Sigourney Weaver mitspielt, bleibt der Fokus aber auf dem perfekt und liebevoll animierten Chappie und seinen nicht minder irreal wirkenden Zieheltern von ‚Die Antwoord‘.
Das wirklich Überraschende und Schöne an dem Film zeigt sich nicht nur in den überdrehten Dialogen und imposanten, wenn auch etwas trashig anmutenden Animationen, sondern der Tatsache, dass Chappie der stärkste und sympathischste Charakter des Films ist. Gerade sein Gesicht ist geschickt animiert und wesentlich feinsinniger als die stereotypen Rollenprofile des bärtigen Jackman, dem hornbrillentragenden Patel oder der überschminkten ¥o-Landi und volltätowierten Ninja. Damit ist er sehr viel konsequenter als die meisten Filme mit transhumanistischem appeal: Chappie ist einfach menschlicher als die Menschen, und das einfach nur, indem er keine Versprechen bricht und 1+1 zusammenzählt. Dafür muss kein religiöses Register angeschlagen werden: Es wird dank der absurden Antilogik von ‚Die Antwoord‘ und den Actionfilmkonventionen glaubwürdig.
Wenn man von ein paar Längen des zweistündigen Films absieht und sich auf die eigenwillige Ästhetik einlässt, hat man es bei “Chappie” mit einem Film zu tun, der in vielen Hinsichten zu begeistern weiß: Die Action ist innovativ inszeniert, die Charakter interessant und nachvollziehbar, das Gesamtkunstwerk kritisch; selbst eine Liebesgeschichte ist untergebracht. Schade nur, dass geschlechtliche Zwischenräume etwas zu kurz kommen: Chappie etwa ist deutlich männlich, obwohl technologisch geschlechtslos. Damit wird der Film zwar Menschen und Roboter gleichermaßen glücklich machen, aber keine Anhänger*innen des Cyborg-Manifests.Cover & Szenenbilder © Sony Pictures Home Entertainment
- Titel: Chappie
- Produktionsland und -jahr: (USA, Mexiko 2015)
- Genre: Action, Familienfilm
- Erschienen: 09.07.2015 (BluRay); 05.03.2015 (Kino, DE)
- Label: Sony Pictures Home Entertainment
- Spielzeit:
115 Minuten - Darsteller:
Sharlto Copley
¥o-Landi Vi$$er
Ninja
Dev Patel
Jose Pablo Cantillo
Hugh Jackman
Sigourney Weaver
- Regie: Neill Blomkamp
- Drehbuch:
Terri Tatchell
Neill Blomkamp - Kamera: Trent Opaloch
- Schnitt:
Julian Clarke
Mark Goldblatt - Musik: Hans Zimmer
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2,40:1
Sprachen/Ton:
Deutsch DTS-HD MA 5.1
Englisch DTS-HD MA 7.1
Englisch (Hörfilmfassung) DD 2.0
Französisch DTS-HD MA 5.1
Türkisch DD 5.1
Untertitel: Deutsch, Englisch, Englisch für Hörgeschädigte, Französisch, Polnisch, Hindi, Türkisch, Arabisch, Niederländisch
- FSK: 12 (DVD) ; 16 (BD)
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 12/15 dpt