Keanu Reeves ist “John Wick”. Eine gute Rolle für den Schauspieler, der sein Publikum polarisiert. Die einen halten ihn für mimisch sehr beschränkt, die anderen loben seine ökonomische Effizienz und den Einsatz fürs Independent-Kino. John Wick kommt mit anderthalb Gesichtsausdrücken aus (plus einem geifernden Ausflug ins Method-Acting-Fach). Sein trauriger Dackelblick hat fast Steven Seagalsche Nehmerqualitäten, drückt aber perfekt die Haltung eines Mannes aus, der vom Leben nicht mehr erwartet als Enttäuschung, Schmerz und Tod. Vor allem letzteres, gerne auch als Spender. Na gut, für ein bisschen Hoffnung ist auch noch Platz, aber das dauert.
John Wicks Trauer und aufkeimende Wut ist nur allzu berechtigt. Stiehlt doch ein russischer Rowdy sein Auto und erschlägt seinen Hund. Jenen niedlichen Beagle, den Wicks geliebte Gattin ihm posthum als Erinnerung und Abmilderung der Einsamkeit schenkte und das Auto, mit dem sich Hund und Witwer vom dumpfen Schmerz, den der Tod seiner Herzallerliebsten hinterlassen hat, ablenkten.
Der rüpelige Iosef Tarasov ist nicht die hellste Leuchte im Lampenladen und bemerkt viel zu spät, dass er einen schweren Fehler begangen hat. Denn John Wick ist nicht der harmlose “Niemand”, für den Iosef ihn hält, sondern The Master Of Desaster, der Killer, der anderen Killern das Fürchten lehrt. Eigentlich befindet er sich der Liebe wegen im Ruhestand, doch der ist mit der Tat des juvenilen Delinquenten beendet.
Wie es der (Drehbuch)-Zufall will, ist Iosef der Sohn des russischen Großgangsters Viggo Tarasov, für den Wick einst arbeitete und der einen Großteil seiner Macht den durchschlagenden Methoden John Wicks verdankt. Er weiß also genau, mit wem sich sein Sohn eingelassen hat. Und hat nichts Besseres zu tun, als nach einem kurzen Angebot der Wiedergutmachung, einen Präventivschlag und die Aussetzung eines hohen Kopfgeldes anzuberaumen. Bald herrscht Krieg in der New Yorker Unterwelt. Auf der einen Seite Heerscharen opferbereiter Lakaien, Stuntmen, Kampfkünstler und auf der anderen John Wick. Fragen zum Ausgang der Schlacht? – Dachte ich mir.
“John Wick” ist ein stylisches B-Movie in schmutzig-blassem Blaugrau. Das sorgt für die intendierte Nähe zu Graphic-Novels, ebenso wie manch hochstilisiertes, farbigeres Setting. Wie das Hotel Continental (nicht “California”), das eine Art Pausenhof für jedwede Art von Kriminellen ist. Diese Parallelwelt, die noch um Clubs erweitert wird, ist die originellste Idee des Films und sorgt für ruhige und dezent komische Momente, die “John Wick”, abgesehen von ein paar staubtrockenen Onelinern, sonst abgehen.
Das passt zu den massiv auftretenden Gewaltkaskaden, die schnell, schmutzig und teilweise sehr roh abgefilmt werden. Hier macht sich stellenweise ein Hauch von Realismus breit, wenn gezeigt wird, wie viel Skrupellosigkeit und Kraftaufwand das Töten bedarf (ein Hauch des Einflusses von Park Chan-wook, den die Regisseure als eine ihrer Referenzpunkte angeben). Richtig ernst nehmen kann man diese Passagen aber nicht, da an anderen Stellen der Spaß an der ausführlichen Kampfchoreographie – auf der schmalen Grenze zwischen “Gun-Fu” und “Gun Porn” wie es Stunt-Koordinator Darrin Prescott ausdrückt – weit überwiegt.
Den Klassenprimussen “The Raid”, samt Fortsetzung, “Shoot Em Up”, “Judge Dredd”, aber auch Liam Neesons kleinem Paris-Trip “Taken” kann “John Wick” nicht ganz die Stirn bieten, besticht aber handwerklich auf angenehm altmodische Weise.
Wenn die Regisseure stolz behaupten, dass sie sich an Klassikern wie “Point Blank” und “Vier im Roten Kreis” orientiert haben, nimmt man dies anerkennend zur Kenntnis, findet im fertigen Film aber relativ wenig davon wieder. Der Killer Marcus, so lässig wie gewohnt präsent dargestellt von Willem Dafoe, mag die wahrnehmbarste Hommage an jene Zeit der stilbildenden Gangsterfilme sein, doch hinter der ansehnlichen Oberfläche des Films finden sich wenig Tiefe und keine zwischenmenschlichen Konflikte, die über das simple Racheschema und ‘wer zuerst schießt, lebt länger’, hinausgehen. Wenn Alain Delon mit eisiger Miene durchs verregnete Paris streifte, wusste man, dass hinter der maskenhaften Fassade ein Sturm widerstreitender Emotionen tobte; killt sich Keanu Reeves unrasiert, mit fettigen Haaren und leerem Gesichtsausdruck durch ein nasskaltes New York, verbirgt er wenig mehr als eben diese Leere.
Während Reeves sich recht wacker schlägt (in jeder Beziehung), gilt das leider nicht für seinen Kontrahenten Michael Nyqvist, der anscheinend ziemlich unterfordert ist und deshalb auf die Kacke haut, als wäre er Star einer Luc Besson-Comicverfilmung. Es macht Laune, ihm zuzusehen, doch richtig bedrohlich ist seine Darstellung eines russischen Gangsterbären nicht, eher drollig. Da wirken sein missratener Spross und seine schmierlappigen Begleiter schon ekliger. Die größte Gefahr geht indes vom nahkampfgeübten Kirill (Daniel Bernhardt) aus, dem man mehr Einsatzzeit gewünscht hätte, und von Miss Perkins, die Adrienne Palicki sehr überzeugend als hinterhältige Wiedergeburt Emma Peels gibt.
Ian McShane und Lance Reddick haben im Continental-Umfeld schön süffisante Auftritte, Bridget Moynahan als John Wicks dahingeschiedene Gattin ist meist zu einem Aufenthalt im Smartphone verdonnert.
“John Wick” ist ein schnörkelloser Rache-Actionthriller, der seine vorgestanzte Bahn nur selten verlässt, vielfach an das Level abklappern eines Computerspiels, inklusive Hotel Continental als Speicherpunkt, erinnert (konsequenterweise wurde die Figur John Wick mittlerweile ins Videogame “Payday 2” implantiert), aber straff und technisch sauber über seine erfreulich dezente Laufzeit unterhält. Ressentiments wegen der offen propagierten Selbstjustiz kann man dank der offensichtlichen Irrealität des Ganzen gepflegt aussparen.
Da der Film an den Kino- und Kaufhauskassen recht erfolgreich war ist ein zweiter Teil in Planung.
Cover & Szenenfotos © STUDIOCANAL
- Titel: John Wick
- Originaltitel: John Wick
- Produktionsland und -jahr: USA, Kanada 2014
- Genre:
Action, Rachethriller, Krimi, Noir
- Erschienen: 04.06.2015
- Label: STUDIOCANAL
- Spielzeit:
ca. 97 Minuten auf DVD
ca. 101 Minuten auf Blu-ray - Darsteller:
Keanu Reeves
Michael Nyqvist
Willem Dafoe
Adrianne Palicki
Alfie Allen
Daniel Bernhardt
- Regie:
David Leitch, Chad Stahelski - Drehbuch:
Derek Kolsta - Kamera:
Jonathan Sela - Musik:
Tyler Bates
Joel J. Richard - Extras:
Making of; Audiokommentar von den Regisseuren
6 Featurettes, u.a. über die Stunts und den Look
Trailer; Wendecover - Technische Details (DVD)
Bild: 2,40:1 (anamorph)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 DD)
Untertitel: Deutsch
- Technische Details (Blu-Ray)
Bild: 2,40:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 DTS-HD MA)
Untertitel: Deutsch - FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite DVD und Blu-Ray
Homepage des Films
Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 10/15 dpt