Joan Schenkar – Die talentierte Miss Highsmith (Buch)


Joan Schenkar - Die talentierte Miss Highsmith (Buch, Cover © Diogenes)»Sie war nicht nett. Sie war selten höflich. Und niemand, der sie gut kannte, hätte sie großzügig genannt.« Das ist ein neugierig machender Beginn einer Biografie – weit ab vom üblichen “… nil nisi bene”-Geschwafel, dem man ansonsten anlässlich des 20. Todestages der gefeierten Kriminalautorin begegnen konnte. Obwohl der zitierte Paukenschlag auf Seite 11 noch nachhallte, hat der Rezensent “gesündigt” und das Buch gewissermaßen von hinten weg gelesen. Also erst den 16-seitigen “Bildteil” durchstrolcht (ein Genuss, nicht nur wg. der Nacktaufnahme der jungen Pat und der zahlreichen Katzenbilder). Und dann “Anhang 1 – Die reinen Fakten”. Das hat sich auch als ein gangbarer Zugang zum Werk erwiesen, denn dieser auf einige Zeilen pro Jahr verdichtete Lebenslauf bereitet ideal auf den Hauptteil vor. Tatsächlich sind die “reinen Fakten” so gut geschrieben, dass man sich manchmal bei der Frage ertappt: “Was will Frau Schenkar uns ‘vorne’ eigentlich noch so viel mehr erzählen?” Doch das klärt sich relativ bald: Als selbst auffallend sichtbare, präsente Biografin erzählt sie das Leben “der Highsmith” geradezu nach, kommentiert es, bewertet es (bis hin zu literarischen Bewertungen: Das »Säurebad ihrer detailgesättigten Prosa«, S. 11, vgl. auch unten), ja versucht, die Schriftstellerin im Reportage-Stil vor unseren Augen erstehen zu lassen (“Ein ganz normaler Tag”, S. 23 ff.).

Wer das nicht schon als Vorwissen mitgebracht hat, lernt jetzt schnell: Pat säuft wie ein Loch, geht zwar durchaus mit Männern aus, ist aber eine promiskuitive Lesbe, die von einer amour fou zur nächsten taumelt und das Gros ihrer literarischen Inspiration aus diesen (gerne auch à trois inszenierten) Affären und Beziehungen zieht – ist diese Inspiration gesichert, entstehen trotz verblüffender Mengen ab bzw. statt dem Frühstück verkosteten Alkohols durchschnittlich acht Seiten pro Tag (S. 20). Ihrer Mutter ist sie in einer fanatischen Hassliebe verbunden. Einzig ihr Antisemitismus kann hiermit konkurrierende Attacken auslösen (S. 60). Zudem ist sie fabulös geizig (S. 65) – ein Charakterzug, den sie sich bis in ihr sehr wohlhabendes Alter bewahrt – und eine zwanghafte Listen-Führerin (vgl. die als Faksimile enthaltene benotete Matrix ihrer Liebhaberinnen!) und scheut sich nicht einmal, einer von ihr enttäuschten Geliebten den Selbstmord anzuempfehlen (S. 483)!

Dazu ist sie ein “Macho” (S. 465), die zunächst ältere Frauen begehrt, mit zunehmenden Alter aber permanenten Nachschub junger Frauen benötigt. Nicht zuletzt lässt Schenkar Highsmith als bigott (S. 455) und heuchlerisch erscheinen: Etliche Jahre arbeitet sie sehr erfolgreich als Comic-Texterin, ein Umstand, den sie stets ebenso zu verschleiern bemüht ist wie die Autorenschaft ihres einzigen unter Pseudonym erschienenen lesbischen Romans.

Auch wenn all dies dem Freund von Highsmiths Werk zwar wenig behaglichen, aber doch stets faszinierenden Wissenszuwachs gewährt, so werden einem Schenkars herablassende bis abstrafende Wertungen unfehlbar irgendwann doch zu viel, z. B. »Aber Logik war nie Pats Stärke« (S. 273); »… waren Pats Frauenfiguren so nah an der Comickarikatur, wie ein ernsthafter Schriftsteller sie nur schreiben kann« (ibid.).

Im Tone des Allwissens dekretiert Schenkar: »Dialogschreiben ist wie das absolute Gehör; man ist entweder mit der Fähigkeit geboren oder eben nicht. Pat war es nicht« (S. 287). Die Biografin weiß zugegeben wirklich viel, doch sie urteilt das Werk nicht nur ab, wie weiland das Büchernörgele, sondern weiß selbst noch bezüglich der Lebensführung, als Frau Highsmiths Vita einfach alles besser: »Wäre sie doch nur öfter nach London gefahren«.

Mit ein wenig Misstrauen sowohl dem Gegenstand der Biografie (der Rezensent hätte sie leidenschaftlich gern gekannt, wäre aber – jedenfalls nach dem Lesen dieses Buches – ausdrücklich ungerne ihr Gast gewesen) als auch seiner Autorin gegenüber genossen ergibt dies dennoch eine enorm süffige Lektüre und ist teilweise spannend wie ein Highsmith-Kriminalroman. Das hat u.a. auch mit den auftretenden Personen zu tun, darunter beispielsweise Wim Wenders, Alfred Hitchcock (der Pat zu übervorteilen versucht, S. 900 ff.), Somerset Maugham, W.H. Auden, der Gründer des Diogenes-Verlags Daniel Keel, Peter Handke, Rita Mae Brown und – natürlich – viele Katzenviecher!

Ein vorbildlicher Anhang bzw. geradezu wissenschaftlicher Apparat rundet das (mit den genannten Abstrichen) hervorragende Werk ab: Vita, “Patricia Highsmiths New York” (mit Karte und Legende), “Tabellen, Karten, Diagramme und Pläne”, “Anmerkungen und Quellen”, “Auswahlbiographie” (Primär- und Sekundärliteratur) und schließlich ein ausgezeichneter Index (“Register”).

Cover © Diogenes

Wertung: 13/15 dpt


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