1970 erschien die erste Ausgabe des erfolgreichen Mangas “Kozure Ōkami” (“Der Wolf mit dem Kind”), geschaffen vom japanischen Autor Kazuo Koike und dem Zeichner Goseki Kojima. 142 Episoden lang wird der Ronin Ittō Ogami gemeinsam mit Sohn Daigoro durch das Japan der Edo-Zeit reisen, Mordaufträge ausführen, immer auf der Jagd nach Retsudō Yagyū, dem Oberhaupt des Yagyū-Clans, dessen mörderische Intrigen Ittō Ogamis Familie, mit Ausnahme des jüngsten Sohnes Daigoro, das Leben kostete. Sechs Jahre werden im Manga bis zur finalen Konfrontation vergehen.
Die in den Jahren 1972 bis 1974 entstandene sechsteilige Filmreihe entschied sich für ein anderes Ende und blieb eine große Unvollendete. Was man von der wesentlich schwächeren TV-Variante, die es zwischen 1973 – 1976 auf 79 Folgen brachte, nicht behaupten kann. Sowohl Filme wie Fernsehserie erschienen bereits vor Jahren auf DVD und liefen auch auf deutschen Sendern. Die Filme immerhin auf arte, wenn auch etwas deplatziert im Rahmen der seinerzeitigen “Trash”-Reihe (2010).
Rapid Eye Movies, das verdienstvolle und kaum hoch genug zu schätzende Label, hat das komplette Filmpaket dankenswerterweise in einer Box auf drei Blu-Rays veröffentlicht. Auf umfängliches Bonusmaterial wurde verzichtet, dafür sind alle Filme in ansprechender Form, im Original mit Untertiteln, zu einem moderaten Preis erhältlich. Das Bild der Blu Ray-Version ist scharf, aber dem Alter und dem Zustand der jeweiligen Master-Bänder geschuldet, ziemlich körnig, was bei den ersten Filmen vor allem Nachtaufnahmen äußerst grisselig aussehen lässt. Im Verlauf der Reihe bessert sich die Qualität ungemein, die beiden Filme auf der letzten Disc sind von bestechender Optik.
“Lone Wolf & Cub” handelt vom ehemaligen Kaishaku-Nin (Scharfrichter des Shogunats) Ittō Ogami und seinem Sohn Daigoro, die als einsamer Wolf und sein Kind auf dem selbstgewählten “Weg der Hölle” Mordaufträge erledigen und sich ihrer erbitterten Feinde vom Yagyū-Clan samt Verbündeter erwehren. Wobei der kleine Daigoro meist nur aufmerksamer, aber äußerst gelassener Zeuge ist, wenn sein Vater Heerscharen von Gegnern niedermäht. Gelegentlich darf er allerdings Schalter in seinem waffenstarrenden, hölzernen – und gepanzerten – Kinderwagen drücken und seinen Vater tatkräftig beim Metzeln unterstützen.
Akihiro Tomikawa ist der coolste Kinderdarsteller, den man sich nur vorstellen kann. Er steht an Stoizismus und Abgeklärtheit seinem Rache suchenden Vater, gespielt vom hervorragenden, kampfbewanderten Tomisaburo Wakayama, kaum nach. Regie und Schnitt setzen ihn geradezu ikonografisch und gelegentlich als ironischen Kommentar in Szene. Alleine seine Frisur macht ihn zum stilistischen Vorbild und stiehlt bis heute allen schmandigen Undercuts die Schau.
Von Beginn an geht Ittō Ogami ganz eigene Wege. Denn anstatt sich des strengen und fragwürdigen Diktats feudalherrschaftlicher Regeln zu unterwerfen und als Konsequenz aus der feigen Ermordung seiner Familie und des, auf einer Intrige des machthungrigen Retsudō Yagyūs beruhenden, Verdachts auf Hochverrat, Seppuku zu begehen, wählt der Samurai einen individuellen Weg und wird zum Outlaw, zum Mietkiller auf dem Pfad der Hölle, den Regisseur Kenji Misumi eindrücklich zu bebildern weiß. Bereits im ersten Teil der Serie werden Traditionen in Frage gestellt und bei Bedarf gebrochen. Die Verklärung der japanischen Historie und Politik zu hinterfragen und kritisch zu bewerten, schwingt bei “Kozure Ōkami” jederzeit mit.
Stoisch und mit der sicheren Erkenntnis, dass man sein Schicksal anerkennen, aber nicht tatenlos akzeptieren muss, schreiten der einsame Wolf und sein Kind wortkarg und völlig in sich ruhend voran. Er sei ein Monster und kein Mensch heißt es an einer Stelle, mit einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu ausgesprochen, trifft das den Tenor der Erzählungen ziemlich genau. Ittō Ogami ist ein Mann mit Verständnis, aber ohne Gnade, den selbst Hundertschaften nicht besiegen können. Sogar als man ihn mittels Mystik und Morden in den Wahnsinn treiben will, bleibt er ungerührt und hat am Ende für seine verblutenden Widersacher nur ein geknurrtes: “Eure Methoden sind erbarmungswürdig!” übrig.
Eigentlich bin ich ein Freund von gelungenen Synchronisationen, aber “Kozure Ōkami” ist selbst von Könnern nicht ohne große Verluste in eine andere Landessprache übertragbar. Die eigenwillige, poetische Diktion, das gesamte Tondesign der Filme verlangt nach dem Original (mit Untertiteln). Hier wird sich auf das Wesentliche konzentriert, so werden selbst bei große angelegten Actionszenen alle Geräusche bis auf die zum Kampf gehörenden ausgeblendet, während davor und danach teilweise atemlose Stille herrscht. Oder Wasser rauscht. Wasser, der ewige Fluss, das Undurchdringliche, ist per se ein eminent wichtiges Element aller Filme. Eigentlich alles, was fließt oder spritzt. Wie Blut.
Eine liberaler werdende Zensur nutzten die Macher von “Lone Wolf & Cub” aus, um in fünf Filmen gewagte oben-ohne-Szenen zu präsentieren, am Eindrucksvollsten sicherlich im vierten Teil “Die tätowierte Killerin”. Wilder noch trieb man es mit den Splatter-Effekten. Handgemacht von bewusst ausgesuchter Künstlichkeit, wurden Schädel, ganze Körper zerteilt und Blutfontänen spritzen flutartig in den Himmel oder malerisch in den blütenreinen Schnee. Quentin Tarantino hat wie üblich gut aufgepasst und zelebrierte diese Blut-Explosionen, in “Kill Bill I” modernisiert, bis zum Exzess. Trotzdem ist Beatrix Kiddo keine Konkurrenz für Ittō Ogami, erledigte sie doch gerade mal die Hälfte der Kontrahenten (78), die eine Begegnung mit dem einsamen Wolf im finalen Film nicht überlebten (150). Damit steht er auch nach über vier Jahrzehnten unangefochten an der Spitze der cineastischen Solisten-Metzelliste.
Doch diese rituelle Überhöhung ist kein Triumph der Barbarei, sondern das Signet eines zu allem entschlossenen Mannes, der Bushido, den Weg des Kriegers, bis zur Massenvernichtung geht. “Lone Wolf & Cub” feiert zwischen meditativer Inbrunst und Pop-Art-Überzeichnungen den Sieg der Individualität über starre und sinnlose Regelsysteme, stilisiert den Weg der Hölle, den Ogami und sein Sohn Daigoro beschreiten, als düstere Suche nach Erlösung. Für sie selbst und ihre Opfer. Besonders ergreifend gezeichnet durch die Figur der tätowierten Killerin. Oyuki ist ein Vergewaltigungsopfer, das sein Trauma zum einzigen Lebensantrieb macht, sich mitleidlos durch die Männerwelt mordet, um sich am Ende an ihrem Vergewaltiger zu rächen. Ittō Ogami hilft ihr dabei, bevor er sie tötet und damit von ihrer Qual erlöst. Oyukis Geschichte ist ein kleiner Vorgriff auf “Lady Snowblood”, ebenfalls von Kazuo Koike erdacht und umgesetzt.
Im dritten Film “Der Wind des Todes” wird der Bushido am intensivsten und explizitesten ausdiskutiert. Der in Ungnade gefallene ehemalige Samurai Kanbei stellt die Frage nach dem Wert des Bushido, wenn man nur die Wahl hat zwischen Verbannung und Tod. Kanbei hatte den schweren Fauxpas begangen, seinen Herren in Eigeninitiative im Kampf gegen eine Räuberbande das Leben zu retten, anstatt still und starr neben der Sänfte stehend, den sicheren Tod zu erwarten. Durch dieses Widersetzen gegen einen sinnlosen Befehl, der aber seinen Ehrenkodex als Samurai definiert, wird er zum Geächteten. Ein Dilemma, dem der Ronin nicht entkommen kann. Dabei ist Ittō Ogamis Antwort auf die Art des Lebenswandels so lapidar wie schlüssig: “Leben im Angesicht des Todes.” Darin sind “Lone Wolf and Cub” wahre Meister. Obwohl sie meist im Angesicht des Todes anderer leben.
“Lone Wolf and Cub” ist tief verwurzelt in der japanischen Geschichte und Philosophie. Beides wird von der Saga aber eigensinnig interpretiert und weiter entwickelt. In der Filmreihe ergänzt um ein kenntnisreiches Spiel mit westlicher Mediengeschichte. Insbesondere James Bond hat tiefe Spuren hinterlassen. Das beginnt mit den zahlreichen Gimmicks des waffenstarrenden Kinderwagens und führt über gelegentliche Detektivarbeit Ittō Ogamis bis zu den Massenkampfszenen der zahlreichen Showdowns, ein beliebtes Finale, besonders der frühen 007-Werke mit Sean Connery. Nicht zuletzt wird das musikalische-James-Bond-Thema im letzten Teil mehrfach, leicht verfremdet, zitiert. Ebenfalls Einfluss haben auch Italo-Western, wobei diese sich ja thematisch und inszenatorisch gerne ihrerseits beim japanischen Samurai-Film bedienten.
In allen sechs Episoden beweist “Lone Wolf And Cub” meisterlich und inspirierend wie hervorragend Action ohne hektische Schnitttechnik funktionieren kann, wie wichtig Innehalten für einen dramatischen Aufbau ist, der neben der Geschichte(n) und der handelnden Figuren auf die Kraft seiner Bilder vertraut. Auch auf dieser Ebene hat die Reihe einiges zu bieten. Landschaftsaufnahmen, Profilstudien, szenische Tableaus die barock, manieristisch, impressionistisch, expressionistisch und geradezu surreal sein können. Stillleben, Komik, Drama, Philosophie, Politik und blutiges Kampfgetümmel fügen sich zu einem stimmigen ganz Großen zusammen, von dem man nur eins sagen kann: Pflichtprogramm zum lieb haben. In der vorliegenden Form kaufen, ohne zu zögern – Zen-wa isoge.
I have decided to escape, to defy the shogun. Today I will begin walking the road to hell. But you will choose your own path. So, soon you may be seeing heaven. Choose the sword, and you will join me. Choose the ball and you join your mother, in death. You don’t understand my words, but you must choose. So… come boy, choose life or death.
Cover und Szenenfotos © Rapid Eye Movies
- Titel: Lone Wolf And Cub
- Originaltitel: 子連れ狼, Kozure Ōkami
- Produktionsland und -jahr: Japan, 1972-74
- Genre:
Action, Kunst, Drama, Exploitation
- Erschienen: 05.12.2014
- Label: Rapid Eye Movies
540 Minuten auf 6 DVDs
537 Minuten auf 3 Blu-Rays
- Darsteller:
Tomisaburo Wakayama
Akihiro Tomikawa
- Regie: Kenji Misumi (1,2,3,5)
Buichi Saito (4)
Yoshiyuki Kuroda (6) - Drehbuch: Kazuo Koike
Goseki Kojima - Kamera: Chishi Makiura (1,2,3,4,6)
Fujio Morita (5) - Musik: Hideaki Sakurai
Hiroshi Kamayatsu
Kunihiko Murai (6 – Der japanische Isaac Hayes)
- Technische Details (DVD)
Sprache/Ton: Japanisch Mono
Untertitel: Deutsch (opt.)
Bildformat: 2,35:1 (16:9)
Extras: Poster & Postkarten, Trailer
- Technische Details: (Blu-Ray)
Sprache/Ton: Japanisch (Mono)
Untertitel: Deutsch (opt.)
Bildformat: 16:9 – 2.35:1
Extras: Booklet, Trailer
- FSK: 18
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 14/15 dpt