Leere Stühle im Kallasch& am 16.04.15 um 23 Uhr. Es waren da: Maruan Paschen und Rike Scheffler, die aus ihren neuen Büchern gelesen haben; gerahmt von den Organisatorinnen Patricia Spies und Viktoria Hahn, die Begrüßung und Moderation übernommen haben. Dafür, dass die Literaturreihe ‘Hauser & Tiger’ das Format Lesung in ungezwungener Wohnzimmeratmosphäre präsentieren will, war das Setting überraschend konservativ; inklusive Publikumsgespräch, Buchsignierung und Wasserglas. Drei stunden früher war das Wohnzimmer allerdings ziemlich voll. Zu recht, denn der Kampf um das Wohnzimmer zwischen Bürgerlichkeit und unprätentiöser Innovation ist zwar nicht immer einfach, dafür aber sehr unterhaltsam zu beobachten. Was vielleicht auch erklärt, warum der Andrang zu Beginn der Lesung – und der Publikumsschwund nach der Pause – groß war.
Im Moabit jenseits der Turmstraße hat sich die Reihe jedenfalls einen erfolgsversprechenden Platz ausgesucht, der die inhaltliche Spannung spiegelt: Wo südlich von Kallasch& das eher ruhige Moabit beginnt, geht es jenseits ein wenig hipper zu: Nachdem Friedrichshain und Kreuzberg in den Prenzlauer-Berg-Kreis des Kapitalismus eingespeist worden sind, ist der nördlich gelegene Wedding die günstige Alternative. Das Publikum war entsprechend durchmischt von Leuten, die bürgerlich geworden sind und anderen, die es niemals werden wollen.
Die gleichzeitig lässige und altbackene Wohnzimmereinrichtung steht Pate für diesen auch sozialen Raum. Ein Raum, der die Lyrikerin Rike Scheffler, die ihre Loopmaschine und den neuen Band ‘der rest ist resonanz’ mitgebracht hat, in die Bredouille gebracht hat. Einerseits hingen die Biographien auf der Toilette, andererseits wurden die Autor*innen gefragt, wie sie zum Schreiben gekommen sind. Es war spannend, die Ausweichmanöver zu sehen. Auch zu sehen, wie schwierig es ist, lyrische Experimente durch sich selbst zu rechtfertigen: Wenn Scheffler ihre Klangräume und lyrische Partituren mit der Inspiration durch Yoko Ono begründet, kann man sich fragen, ob dieser Verweis sich nicht auch auf vermeintliche Genies bezieht (wenn auch aus einem avantgardistischen Kanon). Nichtsdestotrotz war Rike Schefflers Performance selbst genießbarer und ihr Auftreten sympathischer als das von Ono. Was aber nicht heißen soll, ihr Part wäre leicht genüssliche Kunst gewesen.
Gerade im Dialog mit Rike Scheffler war Maruan Paschen, dessen Erstlingswerk ‘Kai. Eine Internatsgeschichte’ weniger sperrig ist, ein Glücksgriff. Die Deplatziertheit, die verschämte Verwendung von Bildungssprache und der elegant auf Pointen hin gelesene Text war im Anschluss an die Klangcollagen ein angenehmer Kontrast, der die sehr lange Veranstaltung nicht in Langeweile oder Müdigkeit hat übergehen lassen. Daneben zeigten die Texte, obwohl gänzlich verschiedenen Genres angehörig, durchaus Ähnlichkeiten: Die Wiederholung von alltäglichen Floskeln in melancholisch-humorvollen (Paschen) oder avantgardistischen (Scheffler) Kontexten irritiert und kritisiert, konstruiert aber auch scheinbar gelebte Sexualität, Erziehung oder Vorurteile. Prozesse, die es sich aber zu beobachten lohnt.
Das nächste Mal dann am selben Ort, auf denselben Stühlen: Jan Decker und Dota Kehr am 18.06. im Kallasch& in der Unionstraße 2, Berlin-Moabit. Es lohnt sich, beim nächsten Mal zu kommen, allein um zu sehen, was die Wohnzimmeratmosphäre dann hervorbringt; folgt man Kyle (#savethelivingroom), ist das nämlich durchaus ein prekärer Raum!
Foto © Tim König
Weitere Informationen zur Literaturreihe gibt es hier: http://www.hauserundtiger.de/ und hier: https://www.facebook.com/hauserundtiger