Eine der wichtigsten Regeln für Frauen in Lagos ist: »Man heiratet nicht den Mann, den man liebt. Man heiratet den Mann, der einen am besten aushalten kann.« Ifemelu ist gerade von einem mehrjährigen Aufenthalt in den Staaten zurück nach Nigeria gekommen und obwohl sie sich ihren nigerianischen Akzent bewahrt hat, ist sie eine Americanah – eine Vertreterin derjenigen, die die Provinzialität des westafrikanischen Staates hinter sich gelassen hatte, um im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihre Träume zu verwirklichen. Als sie Nigeria verließ, ließ sie auch ihre große Jugendliebe Obinze zurück, Sohn aus einer Intellektuellenfamilie und großer Amerikafan. Seine Pläne, Ifemelu zu folgen, werden durch die neuen Sicherheitsbestimmungen nach dem 11. September zunichte gemacht. Stattdessen strandet er als illegaler Einwanderer in London.
In Amerika bricht Ifemelu schnell den Kontakt zu Obinze ab und baut sich ein neues Leben auf. Zunächst verunsichert von den dortigen Gepflogenheiten, assimiliert sie sich in ihre neue intellektuelle Akademikerwelt mit neuen Liebschaften und einem erfolgreichen Internetblog unter dem Titel “Amerika für nicht-amerikanische Schwarze“, in dem sie einen Alltag beschreibt, der von der Rassenfrage beherrscht wird. Hierbei werden nicht nur die Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß thematisiert, sondern auch die zwischen amerikanischen Schwarzen und nicht-amerikanischen Schwarzen (NAS). Ifemelu versucht als NAS ihren Wurzeln treu zu bleiben, ohne zu realisieren, dass NAS auch nur eine Kategorie der amerikanischen Rassenfrage ist, und sehr schnell wird sie selber Teil einer liberal-intellektuellen Elite, die Obama im Wahlkampf anfeuert und über Leute, die zwischen Grace Jones-Schwarz und Halle Berry-Schwarz unterscheiden, diskutiert.
Doch Nigeria und besonders ihre Erinnerung an Obinze lassen sie über all die Jahre nicht los. Als sie in ihr Heimatland zurückkehrt, trifft sie Obinze wieder. Dieser ist inzwischen erfolgreicher Immobilienmakler, unglücklich verheiratet mit einer Frau, die sich aushalten lässt und außer ihrer Position als weibliches Oberhaupt einer scheinbar perfekten Familie und Ehefrau an seiner Seite keine Forderungen stellt – ein Umstand, der Obinze vor Augen führt, wie oberflächlich und langweilend die Statussymbole der High Society sind. Die Kompromisslosigkeit seiner neu aufflammenden Liebe zu Ifemelu stellt die beiden vor dem Hintergrund der Realität der neuen nigerianischen Schickeria vor große Herausforderungen.
Chimanda Ngozi Adiches Roman “Americanah“ beschreibt die Lebensverhältnisse Nigerias nicht, indem sie Entwicklungsland-Klischees bemüht. Denn das Buch ist viel zu subtil und klug, als dass es es nötig hätte, islamistischen Terror (Boko Haram), wirtschaftliche Ausbeutung (Shell und Co) und soziale Missstände mit dem moralischen Zeigefinger anzuprangern. Viel mehr beschreibt es eine verunsicherte Gesellschaft, die ihre als provinziell angesehene Herkunft abzustreifen versucht, um ihren Drang nach Luxus und Wohlstand zu erfüllen. Obinze erklärt dies lakonisch mit der Tatsache, dass Nigeria als Dritte-Welt-Land seine beste Zeit noch vor sich hat – während Europa und Amerika einen “Fetisch der Vergangenheit“ pflegen.
So sehr es problematisch ist in Nigeria seine Identität zu wahren, in Amerika ist dies schlicht unmöglich – die Realitäten, die hier aufeinanderprallen, scheinen sich gänzlich auszuschließen. Nach 13 Jahren in der Fremde realisiert dies auch Ifemelu.
Adiche weiß wovon sie schreibt. Die Autorin ist selbst nach ihrer Schulzeit in die USA gegangen. In ihrem dritten Roman schafft sie es immer wieder, das Große im Kleinen zu erkennen und zu beschreiben. Wenn die Protagonistin zu Beginn des Romans einen Friseursalon aufsucht, um sich die Zöpfe machen zu lassen, ist die Begegnung mit den dort arbeitenden afrikanisch-stämmigen Frauen und den anderen – schwarzen und weißen – Kundinnen exemplarisch für die Situation in Amerika. Die Haare von afro-amerikanischen Frauen sind politisch – oder hat Michelle Obama von Natur aus glattes Haar?
Abschließend lässt sich sagen, dass “Americanah“ ein großartig erhellendes (kein Wortspiel!) und trotz der vielfältigen sozialen Themen, die beschrieben werden, kurzweiliges Buch ist, das an dieser Stelle auch allen Männern empfohlen ist, die sich von dem furchtbaren Wort “Frauenroman“, welches auf dem Buchrücken zu finden ist, zu schnell abschrecken lassen.
Cover © S. Fischer Verlag
- Autor: Chimamanda Ngozi Adichie
- Titel: Americanah
- Originaltitel: Americanah
- Übersetzer: Anette Grube
- Verlag: S. Fischer Verlag
- Erschienen: 2014
- Einband: Gebunden
- Seiten: 608
- ISBN: 978-3-10-000626-4
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